Russlands Nationalgarde – kritikwürdig oder nötig?

Russlands Nationalgarde – kritikwürdig oder nötig?

[von Anastasia Petrowa ] Immer wieder sorgte die sogenannte Russische Garde „Rosgwardija“ in den letzten Jahren für Schlagzeilen. Zuletzt stieß die gewaltsame Auflösung ungenehmigter Demonstrationen während der Wahlen der Moskauer Staatsduma auf scharfe Kritik. Über den eigentlichen Sinn und Zweck dieser neuen russischen Machtstruktur weiß allerdings kaum jemand wirklich Bescheid; schauen wir uns deshalb doch mal genauer an, was es mit der „Rosgwardija“ auf sich hat.

Wurzeln der Nationalgarde

Die Russische Garde hat ihre Wurzeln bereits im kaiserlichen Russland: Damals handelte es sich hierbei um eine spezielle Gruppe von Ordnungshütern, die der inneren Sicherheit diente. Im Zuge der Russischen Revolution wurde sie aufgelöst. Ideen zur Wiederbelebung einer solchen Sicherheitsstruktur kamen bereits in den 90er Jahren auf, konnten jedoch, aufgrund von Uneinigkeiten innerhalb der Regierung, zunächst nicht umgesetzt werden. Im Rahmen der Reform sämtlicher innerer Sicherheitsorgane in Russland, rief schließlich am 5. April 2016 Präsident Wladimir Putin den „Föderalen Dienst der Truppen der Nationalgarde Russlands“ ins Leben – die „Rosgwardija“ war wiedergeboren.

Der neue Machtapparat umfasst Truppen des Innenministeriums, das mobile Sondereinsatzkommando der Polizei (OMON), das „Sonderkräftezentrum für das operative Reagieren und Fliegerei“, sowie Einheiten zur Kontrolle von Waffenhandel und privaten Sicherheitsdiensten. Die Garde ist direkt Präsident Putin unterstellt; mit mehr als 340.000 Gardisten ist sie heute eine der größten Machtstrukturen Russlands.

Gründe für die Aufstellung

Die Frage der Fragen lautet nun: warum genau wurde die Nationalgarde geschaffen? Wie unterscheidet sie sich von der Polizei oder dem Föderalen Dienst für Sicherheit (FSB)? In einem entsprechenden Erlass werden die Zuständigkeiten und Befugnisse der Nationalgarde aufgeführt:

  • Schutz der öffentlichen Ordnung,
  • Terrorismusbekämpfung,
  • Extremismusbekämpfung,
  • Verteidigung des Landes,
  • Unterstützung des Grenzdienstes,
  • Kontrolle im Bereich des Waffenverkehrs,
  • private Sicherheit.

In der Bekämpfung von Terrorismus und Extremismus sowie im Schutz der Staatsgrenze, scheinen sich die Funktionen von „Rosgwardija“ mit jenen des russischen Inlandsgeheimdienstes, FSB, zunächst zu überschneiden. Bei genauerem Hinsehen, spielen diese beiden Strukturen allerdings unterschiedliche Rollen: Während die Russische Garde die innere Ordnung, notfalls auch mit Hilfe von Gewalt, zu schützen hat, handelt es sich beim Föderalen Dienst für Sicherheit um einen Geheimdienst, der den Staat und staatliche Informationen gegen innere und äußere Gegner verteidigt.

Im Vergleich mit der Polizei sind Unterschiede hingegen nicht ganz so einfach auszumachen, schließlich besteht das Hauptziel beider Institutionen darin, die innere Ordnung zu schützen und die Sicherheit der Bürger sowie des Staates zu gewährleisten. Doch während die Polizei dem Innenministerium unterstellt ist, untersteht die Russische Nationalgarde direkt dem Präsidenten. Und auch die Funktionen sind nicht die gleichen: Die Polizei dient nicht nur der Ordnung und Sicherheit, sondern befasst sich auch mit

  • Verbrechensverhütung,
  • Aufdeckung von Straftaten,
  • Ordnungswidrigkeiten,
  • der Arbeit von Kriminalisten und Forensikern

Obwohl es sich bei beiden Sicherheitsstrukturen um Strafverfolgungsbehörden handelt, besteht der Hauptunterschied letztendlich darin, dass die Polizei der Sicherheit der Bürger dienen soll, während „Rosgwardija“ den Schutz des Staates zum Ziel hat.

Kritik an der Garde

Warum nun wird die Nationalgarde von einem großen Teil der russischen Bevölkerung kritisiert? Da die zuvor genannten Unterschiede nur recht schwer auszumachen sind, fragen sich viele Russen, warum sie einen weiteren großen Machtapparat durch ihre Steuerzahlungen unterstützen sollten, wo Polizei und Geheimdienst doch bereits existieren. Es wird allgemein vermutet, dass die Nationalgarde geschaffen wurde, um die Regierung im Falle einer Krise zu schützen. Solche Überlegungen scheinen im Hinblick darauf, dass der Chef von „Rosgwardija“, Viktor Solotow, früher Leiter des Sicherheitsdienstes von Putin war, durchaus ihre Berechtigung zu finden.

Doch beschädigen bereits verschiedene Korruptionsskandale das gute Ansehen der neu entstandenen Institution. Einen eklatanten Skandal gab es im vorigen Jahr, 2018: Nachdem Oppositionspolitiker und Anwalt Aleksey Nawalny die Russische Garde und ihren Chef der Korruption bezichtigt hatte, forderte Viktor Solotow ihn zu einem Duell heraus, mit den Worten, ihn hierbei in ein „Schnitzel“ zu verwandeln. Nawalny nahm die Herausforderung an. Nach den Regeln eines Duells wählt derjenige, der herausgefordert wurde, die Waffen aus und so lud Nawalny den Chef der Russischen Garde zu einer Live-Debatte ein. Dieser lehnte die Einladung jedoch am Ende ab.

Die Befugnisse der Russischen Garde stehen in besonders scharfer Kritik. Bei der Festnahme von Bürgern besitzen die Gardisten in bestimmten Fällen das Recht, körperliche Gewalt und besondere Hilfsmittel, einschließlich Schusswaffen, anzuwenden – und das ganz ohne Vorwarnung. Körperliche Gewalt ist hierbei nicht nur in der Bekämpfung von Kriminalverbrechen, sondern auch zur Verhinderung von Verwaltungsrechtsverletzungen gestattet. Das Spektrum der Hilfsmittel zum Schutz der öffentlichen Ordnung und Sicherheit des Staates reicht dabei von Elektroschockgeräten über Schusswaffen, bis hin zu Wasserwerfern und gepanzertem Kriegsgerät.

Die Schlagzeilen im Zusammenhang mit „Rosgwardija“ und der Überschreitung ihrer Befugnisse häufen sich. So auch bei der Auflösung nicht genehmigter Demonstrationen während der Wahl der Moskauer Staatsduma im August und September 2019. Tausende Demonstranten wurden festgenommen, viele unter brutalster Gewaltanwendung. Die Nationalgarde und die Polizei verklagen ihre Opfer und bekommen von russischen Gerichten Recht zugesprochen. Andersherum können Menschen, die geschlagen und inhaftiert wurden, in den seltensten Fällen Gerechtigkeit erlangen (wir werden die Gerichtsurteile im so genannten „Moskauer Fall“ weglassen – dies ist ein Thema für einen gesonderten Artikel). Einer der beispielhaften Fälle ereignete sich am 10. August 2019. Nach einer genehmigten Demonstration wurde Daria Sosnovskaya von den Gardisten festgenommen und während der Verhaftung in den Bauch geschlagen. Das Video wurde schnell verbreitet, Stars und Politiker setzten sich für das Mädchen ein. Aber bisher haben sich weder Polizei noch die russische Garde zu ihrer Schuld bekannt.

Bewirkt die Russische Garde auch etwas Sinnvolles, Gutes? Natürlich, ja. Es gibt ständig Berichte über Inhaftierungen von Kriminellen und Terroristen und über erfolgreiche Sondereinsätze. Allerdings sind offizielle Berichte oft undurchsichtig und enthalten wenig konkrete Information.  Man bekommt keine klaren Antworten auf Fragen, die nach zahlreichen Skandalen aufgeworfen werden. Insgesamt gesehen, existieren demnach eher wenige Nachrichten, die ein positives Bild der Russischen Garde erscheinen lassen und ihr Wirken rechtfertigen würden.

Foto: kremlin.ru, Creative Commons 4.0 über Wikimedia Commons

COMMENTS