Russlands Industrie 2015 rezessionsbedroht

[Von Ullrich Umann Moskau-gtai] – Russlands Industrie schlittert 2015 in eine Rezession. Die Inlandsnachfrage nach Industrieerzeugnissen lässt nach und die Finanzierungsprobleme der Betriebe nehmen zu. Verschobene oder gar ausbleibende Modernisierungsmaßnahmen rufen einen zunehmenden Verschleiß der laufenden Maschinen und Anlagen hervor. Noch 2014 konnte die Industrie auf Grund von Sondereinflüssen unter dem Strich ein positives Ergebnis erzielen.

Die Industrieproduktion legte 2014 um 1,7% zu, nach einem Miniwachstum von 0,3% im Vorjahr. Für 2015 werden dagegen wenig Chancen für ein erneutes Industriewachstum gesehen. Die eingebrochene Konjunktur und inzwischen auch knappe Finanzen in den öffentlichen Haushalten und Unternehmenskassen führen zu einer nachlassenden Nachfrage nach Industrieerzeugnissen und damit zu Betriebsschließungen und Entlassungen. Ein erstes prominentes Opfer ist der Hersteller von Schienenfahrzeugen, Transmaschholding, am Standort Brjansk. Hier herrscht seit dem 4.2.2015 wegen ausgebliebener Bestellungen Zwangsurlaub für 50% der Belegschaft. In den Industriebetrieben, die vorrangig von Aufträgen des Staates oder staatlich kontrollierter Konzerne leben, sind die Kapazitäten in der Regel voll ausgelastet. Verzögerte oder gar ausbleibende Modernisierungen verhindern jedoch eine ausreichend schnelle Produktivitätsentwicklung. In der Zukunft werden sich zudem Maschinenausfälle häufen.

Russische Regierung unterstützt systemrelevante Unternehmen

Um gegenzusteuern, stellte die russische Regierung Anfang Februar 2015 eine Liste von 190 systemrelevanten Unternehmen auf, denen bevorzugt staatliche Hilfen zuteil werden sollen. Im 1. Quartal 2015 nimmt das Kabinett für Stützungsmaßnahmen 22 Mrd. Rubel (29,23 Mio. Euro, 1 Euro = 75,5201 Rubel, Stand: 5.2.2015) in die Hand. Auf diese Summe konnten sich das Wirtschafts- und Finanzministerium nach einem medienwirksamen Tauziehen einigen.

Industrieproduktion wuchs 2014 durch Importsubstitution und Rüstungsaufträge

Angesichts der wachsenden Probleme in naher Zukunft lohnt sich ein Blick auf die Industrieentwicklung des Jahres 2014, in dem eine Reihe von Sondereinflüssen zum Wachstum beigetragen haben. Zu diesen Einflüssen gehörten ausgefallene Importe aus der Ukraine und aus Ländern, die Sanktionen gegen Russland verhängt haben. Zur Substitution der Minderlieferungen aus dem Ausland ergingen im Gegenzug Mehraufträge an heimische Hersteller. Ein Beispiel sind die russischen Anbieter von offenen Güterwaggons, deren Produktion 2014 um 19% zulegte. Ein robuster Wachstumsimpuls ging auch vom breit angelegten Rüstungsprogramm des Verteidigungsministeriums aus. Hier sind 2015 nur wenige oder gar keine Abstriche zu erwarten, ebenso in den Folgejahren. Gerade in der Rüstungsindustrie wirkt sich der Zwang zur Importsubstitution industriepolitisch besonders stark aus, nachdem ukrainische Zulieferbetriebe ihre Exporte nach Russland dezimiert oder gar komplett eingestellt haben.

Die Landwirtschaft und Nahrungsmittelindustrie profitierten vom russischen Einfuhrstopp auf Agrargüter aus der Europäischen Union, Norwegen, den USA, Kanada und Australien, der am 6.8.2014 in Kraft getreten ist. Und nicht zuletzt bewirkte der zum Jahresende stark gefallene Außenwert des Rubels, dass Unternehmen und Privathaushalte die Flucht in Sachwerte – darunter in Industrieprodukte – angetreten haben.

Genau aus diesem Grund stieg die Industrieproduktion allein im Dezember 2014 um 3,9% auf Vorjahresbasis, nachdem sie im November noch um 0,4% gefallen war. Die durch die RubelAbwertung gestiegenen Preise auf ausländische Produkte haben die Wettbewerbsposition russischer Betriebe auf dem Inlandsmarkt zusätzlich gestärkt.

Produktion von Kunststoffen, Agrargütern und Erdölprodukten stieg

Verteuerte Importe und gleichzeitig verbilligte Exportpreise waren Wasser auf die Mühlen unter anderem der Petrochemie, insbesondere bei der Erzeugung von Polymeren (+33%). Zudem wurden 2014 neue Kapazitäten für 200.000 jato bei Tobolsk und Kazan fertig gestellt. Doch liegt die Produktion pro Kopf damit immer noch hinter den Vergleichswerten aus anderen Industriestaaten zurück. Aus diesem Grund sind zusätzliche Anlagen in der Planung. Vorerst muss das Defizit bei Polymeren per Einfuhr gedeckt werden.

Der Agrarwirtschaft kam 2014 neben dem erwähnten Einfuhrstopp bei Lebensmitteln die Rekordernte von 105 Mio. t Weizen zugute. Ein hoher Selbstversorgungsgrad wurde dem Vernehmen nach bei Geflügelfleisch erreicht. Verbessert hat sich auch das Angebot bei Schweinefleisch. Dagegen bleibt eine teilweise erhebliche Importabhängigkeit bei Milch und Milchprodukten, Rindfleisch und Fischereierzeugnissen auf absehbare Zeit erhalten.

Bei der Rohstoffförderung legte vor allem die Gewinnung von Begleitgas (+9,3%), Gips (2,7%) und Rohöl (0,8%) mengenmäßig zu. Die Weiterverarbeitung von Rohöl stieg von 280 Mio. auf 294 Mio. t. Infolge wuchs auch der Ausstoß von Benzin um 7,2%, von Dieselkraftstoff um 7,4%, von Heizöl um 2,0% und von Gaskondensat um 11,1%. Hierbei wirkte sich zudem die in den Vorjahren durchgeführte Modernisierung von Raffinerien aus.

Größte Produktionsrückgänge im Maschinenbau und bei Nutzfahrzeugen

Der deutliche Einbruch bei der Herstellung von Drähten, Seilen, Trossen und Kabeln ohne Isolationsummantelungen (-30,1%) wird dagegen mit der rückläufigen Entwicklung im zivilen Teil des Maschinenbaus erklärt. So werden Drähte zur Herstellung von Metallfedern sowie Seile und Trossen zur Fertigstellung unter anderem von Baukränen benötigt, deren Absatz ebenfalls sinkt. Eine ähnliche rückläufige Tendenz war bei Kugellagern zu verzeichnen.

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