Von Ullrich Umann und Edda Wolf – Moskau (gtai) – Russlands Außenhandel ist im 1. Halbjahr 2015 im Wert um fast 30% eingebrochen. Grund ist die schlechte Konjunktur mit sinkendem Konsum und ausbleibenden Investitionen. Zudem hat der Rubel stark abgewertet. Das mindert die Geschäftschancen der deutschen Exportwirtschaft. Die Politik der Importsubstitution und Zugangsbeschränkungen zu öffentlichen Ausschreibungen tun ein Übriges. Einen Ausweg bilden Direktinvestitionen in Russland zur Lokalisierung der Produktion.
Die Einfuhren Russlands sind im 1. Halbjahr 2015 um 39,5% auf 87,7 Mrd. US$ gesunken, meldet der Föderale Zolldienst. Aufgrund der Krise wird nur noch das Nötigste nach Russland eingeführt. Hierzu gehören Agrarprodukte und Nahrungsmittel. Diese werden allerdings nur noch aus Ländern importiert, die sich den aktuell geltenden westlichen Sanktionen nicht angeschlossen haben.
Inzwischen wurde diese Vorschrift sogar auf eine ganze Reihe von Industriegütern ausgeweitet, die von staatlichen Einrichtungen und Unternehmen auch – wenn möglich – nur noch aus befreundeten oder neutralen Staaten zu beziehen sind.
Einfuhr von Maschinen, Ausrüstungen und Transportmitteln sinkt um über 40%
Am stärksten fielen die Einfuhren von Maschinen, Ausrüstungen und Transportmitteln aus dem fernen Ausland (Länder, die nicht Mitglied der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten sind) im Wert: um 42,9%. Die Rückgänge im einzelnen: mechanische Ausrüstung -35,1%, elektrische Ausrüstung -38,8%, Fahrzeuge (außer Schienenfahrzeuge) -56,5%, optische Instrumente und Apparate -32,5%.
Russland importierte auch viel weniger Metalle und Metallwaren im 1. Halbjahr 2015. Deren Einfuhr aus dem fernen Ausland sank im Wert um 35,9% und in der Menge um 29,5%. Es wurden vor allem tonnenweise weniger Stahlrohre (-44,2%) und Walzgut aus Eisen und unlegiertem Stahl (-33,0%) bezogen.
Russland kauft weniger chemische Erzeugnisse im Ausland
Bei der für die deutsche Industrie wichtigen Warengruppe der chemischen Erzeugnisse sah es kaum besser aus. Die Importe aus dem fernen Ausland gingen im Wert um 28,2% und in der Menge um 14,5% zurück. Russland verringerte seine Einfuhrmenge von Kunststoffen und Waren daraus um 29,3%, von Kautschuk, Gummi und Erzeugnissen daraus um 26,4% sowie von Kosmetika um 15,3%. Russische Exporte im 1. Halbjahr 2015 um fast 30% gefallen
Die russischen Exporte betrugen im 1. Halbjahr 2015 rund 183 Mrd. $ und sind damit um 28,8% gefallen (laut Föderalem Zolldienst). Die gesunkenen Weltmarktpreise für Erdöl und Erdgas ließen den Wert der exportierten Energieträger um 34,5% schmelzen, während die ausgeführte Menge sogar noch um 10,3% stieg. Es wurden 11,5% mehr Rohöl, 25,0% mehr Elektroenergie und 20,2% mehr Erdölprodukte exportiert. Dagegen sank die Ausfuhrmenge von Erdgas um 4,1% und von Steinkohle um 1,2%.
In bestimmten Branchen hatte die drastische Rubelabwertung Mitte Dezember 2014 den russischen Exporten einen kurzzeitigen Auftrieb verschafft. Wachstumsimpulse erhielten vor allem die Metallindustrie (Eisen, Stahl, Nickel, Aluminium) und die chemische Industrie. Aber chinesische Wettbewerber fluteten wegen der Nachfrageschwäche in ihrem Heimatland den Weltmarkt mit diesen Produkten. Die Wechselkursgewinne russischer Exporteure wurden dadurch bis zum Sommer 2015 wieder weitgehend kassiert.
Russlands Nachfrage nach Investitionsgütern bricht ein
Hauptgrund für die schwache Nachfrage nach Importen sind die sinkenden Bruttoanlageinvestitionen. Diese fielen im 1. Halbjahr 2015 um 4,5% gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Im Juli 2015 erreichten sie mit -8,5% einen vorläufigen Tiefststand. Das anhaltend hohe Zinsniveau, die Kreditknappheit, die sich ausweitende Haushaltskrise und eingetrübte Geschäftsaussichten in vielen Industrie- und Dienstleistungsbranchen verursachen den Rückgang.
Besonders hart trifft es die Bauwirtschaft, nachdem im föderalen Nachtragshaushalt 2015 die Ausgabentitel „Finanzierung Tiefbau“ um 25% und „Finanzierung Hochbau“ um 10% gekürzt wurden. Die Haushaltsentwürfe für 2016 und 2017 beinhalten weitere Kürzungen der staatlichen Investitionen. In der Folge sinken die Einfuhren von Bautechnik und Baumaterialien.
Russische Maschinenkäufer nur schwer zu finden
Die Importe von Maschinen und Anlagen brechen 2015 drastisch ein. Besonders stark betroffen sind Einfuhren aus Deutschland. Schätzungen zufolge werden sie um über 30% zurückgehen. Bereits 2014 waren die deutschen Lieferungen von Maschinen und Anlagen um 17% gefallen. Damit verschlechtert sich die Absatzsituation für den deutschen Maschinen- und Anlagenbau in Russland das zweite Jahr in Folge.
Im 1. Halbjahr 2015 lag die Bandbreite der deutschen Lieferrückgänge – je nach Maschinenart – zwischen 15,5% bei Antriebstechnik und 70,0% bei Bau- und Baustoffmaschinen. Dramatischer fiel die Lage lediglich im Krisenjahr 2009 aus, als die US-Immobilienkrise die komplette Weltwirtschaft in den Abwärtssog riss und Russland um 45% weniger Maschinen und Anlagen als im Vorjahr aus Deutschland einführte.
Wichtigster Grund für die sinkende Nachfrage nach importierten Maschinen ist die eklatante Investitionsschwäche russischer Industriekunden. Hinzu kommt die Politik der Importsubstitution. Das gilt vor allem für Werkzeugmaschinen, die in der Rüstungsindustrie benötigt werden.
Liefermöglichkeiten für Maschinen und Anlagen nach Russland gibt es zurzeit nur punktuell: in den Chemiesparten Kunststoffe in Primärformen, Agrarchemikalien, Arzneimittel, Farben und Lacke, in der Landwirtschaft und in der Nahrungsmittelherstellung. Auch Russlands Stahlkocher führen Teilmodernisierungen aus.
Auch den Import von Arzneimitteln und Medizintechnik schränkt die russische Regierung zunehmend ein. Noch stärker als die Importsubstitution macht deutschen Anbietern zurzeit aber die Kürzung der Budgets im Gesundheitswesen zu schaffen. Beides lässt die Einfuhren aus Deutschland sinken.
Direktinvestition als Geschäftsstrategie für ausländische Firmen
Zum Halten oder gar Ausweiten ihrer Marktanteile bleibt deutschen Unternehmen vorerst die Einrichtung einer lokalen Produktion mit schrittweisem Aufstocken der lokalen Wertschöpfung. Dadurch würden sie als juristische Person nach russischem Recht einen unbeschränkten Zugang zu Ausschreibungen bekommen. Denis Manturow, Minister für Industrie und Handel, umschrieb die Ansiedlungspolitik mit der Formel „Technologietransfer gegen Marktanteile“. Sein Ministerium bietet dafür spezielle, individuelle Investitionsverträge an.
Die Verwaltungen der 83 russischen Regionen stehen in einem regelrechten Wettbewerb um Investoren. Für deren Anwerbung haben sie unterschiedliche Vorgehensweisen entwickelt und nehmen auch unterschiedlich viel Geld in die Hand. Viele Gebietsverwaltungen richten Industrieparks ( http://www.indparks.ru) ein und gewähren Steuervorteile und administrative Unterstützung.
Neben den russischen Regionen engagiert sich die Föderation in der Investorenanwerbung – mit eigenen Zusagen für Steuervergünstigungen und mit verschiedenen Zuschüssen, etwa zur Entwicklung der Infrastruktur oder zur Fachkräfteausbildung. Darüber hinaus hat die Föderation landesweit 17 Sonderwirtschaftszonen ( http://www.russez.ru) eingerichtet. Anträge auf die Einrichtung von 20 weiteren Sonderwirtschaftszonen werden im zuständigen Ministerium für wirtschaftliche Entwicklung derzeit geprüft. Ein Geoinformationssystem weist potenziellen Investoren russlandweit den Weg zu Industrieparks, Technoparks und Clustern ( http://www.gisip.ru ).
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