Russland will Importabhängigkeit verringern

Von Ullrich Umann Moskau (gtai) – Russland will seine Abhängigkeit von Industriegütereinfuhren bis 2020 senken. Einerseits handelt es sich um eine außen- und sicherheitspolitische Maßnahme. Andererseits soll der seit Jahrzehnten vernachlässigte Strukturwandel in der Wirtschaft angeschoben werden. Ob das Konzept aufgeht, ist ungewiss. Denn die finanziellen Ressourcen und die Innovationsfähigkeit sind beschränkt. Obendrein geht die Nachfrage nach Industriegütern aktuell krisenbedingt zurück.

„Importsubstitution“ könnte in Russland zum Wort des Jahres 2015 gekürt werden, so häufig wird es verwendet. Im Staatssektor hat es den Rang einer Direktive. Im Privatsektor findet es punktuell Anwendung, wenn staatliche Unterstützungszahlungen in Anspruch genommen werden.

Das für Industriepolitik zuständige Ministerium für Industrie und Handel versucht bereits seit Sommer 2014, den Anteil der Importe bei öffentlichen Beschaffungen zu reduzieren. Die für den Einkauf von Waren und Dienstleistungen verwendeten Steuergelder soll möglichst der heimischen Industrie zugutekommen.

Die neuen Regelungen zur Importsubstitution vom 31. März 2015 setzen nun an einer anderen Stelle an – bei der Herstellung benötigter Industrieerzeugnisse im eigenen Land. Dadurch sollen Einfuhren aus der Ukraine und aus den Staaten, die Sanktionen gegen Russland erlassen haben, ersetzt werden. Die Pläne des Industrieministeriums sehen vor, künftig 800 Produkte in Russland selbst herzustellen. Bis 2020 sollen dafür 2.059 Einzelvorhaben in 18 Industriezweigen realisiert werden. Es wurde eigens eine Staatliche Kommission für Importsubstitution in der Industrie Russlands gegründet. Die Gesamtkosten für die großangelegte Importablösung schätzt die russische Regierung auf 1,5 Billionen Rubel (27,433 Mrd. Euro, 1 Euro = 54,6783 Rubel, Stand: 14.4.2015). Davon will sie 235 Mrd. Rubel aus der Staatskasse bereitstellen. Den Großteil sollen die Unternehmen selbst tragen, indem sie Eigenkapital einsetzen oder Kredite aufnehmen.

Fokus liegt auf Maschinenbau und Elektronikindustrie

Eine große Bedeutung hat der Maschinenbau. Maschinen, für die eine hohe Importabhängigkeit besteht, sollen spätestens ab 2020 in Russland vom Band laufen. Das gilt vor allem für Werkzeugmaschinen, die in der Rüstungsindustrie benötigt werden. Zurzeit kauft Russland komplexe Komponenten für Werkzeugmaschinen fast vollständig im Ausland. Künftig sollen Hochgeschwindigkeitsspindeln für Bearbeitungszentren und die dazugehörigen Lager, Wälzlager (Kugel- und Rollenlager), CNC-Steuerungssysteme, High-Tech-Schneidwerkzeuge aus Hartmetall und Systeme zur zerstörungsfreien Diagnose des Zustands von Maschinen aus russischer Produktion kommen.

Einen weiteren Schwerpunkt bildet die Elektronikindustrie, die – zumindest im zivilen Bereich – weit entfernt von der Weltmarktführerschaft ist. Der Schwerpunkt liegt hier auf Funkelektronik. Das Industrieministerium ist sich jedoch im Klaren darüber, dass die Entwicklungsmöglichkeiten für elektronische Komponenten oder Rechenchips in Russland begrenzt sind. Der Anteil tragbarer PC mit heimischem Chip soll von derzeit 0% bis 2020 für den Bedarf von Schulen und Bildungseinrichtungen auf 2% und für die Verwendung im öffentlichen Dienst auf 12% steigen.

Importabhängigkeit soll nicht bei allen Maschinenarten gleichermaßen sinken

Die deutsche Wirtschaft hat jahrzehntelang gut an der Lieferung von Werkzeugmaschinen nach Russland verdient. Es darf davon ausgegangen werden, dass dies auch künftig möglich bleibt, wenn auch in geringerem Ausmaß. Den Plänen des Industrieministeriums zufolge soll der Importanteil bis 2020 sinken, aber in keiner einzigen Maschinensparte auf weniger als 51%. Bei einigen wenigen Maschinenarten wird die Importabhängigkeit sogar steigen beziehungsweise gleich hoch bleiben. Konkret handelt es sich um hydraulische Abkantpressen (Importanteil 2015: 90%, 2020: 93%), thermische Ausrüstungen (2015: 80%, 2020: 83%), Schlosser- und Montagewerkzeug (2015: 92%, 2020: 96%) und Spritzgießmaschinen (2015: 100%, 2020: 100%). Importsubstitution als Chance für Anbieter von Maschinen

Die Importsubstitutionspolitik der russischen Regierung dürfte die Nachfrage nach hochwertigen Werkzeugmaschinen und Maschinenteilen kurzfristig sogar steigen lassen. Wie anders sollten sich mehr Maschinenarten in der russischen Industrie fertigen lassen? Und das in hoher Qualität und großer Stückzahl.

Importe sollen aber nicht nur in Sparten abgelöst werden, in denen die Einfuhrabhängigkeit besonders hoch ist. So deckt sich Russland mit nichtrostenden Stählen schon heute zu 67% aus eigener Fertigung ein. Dieser Anteil soll auf 82% gesteigert werden. Die Modernisierung und Erweiterung von Stahlwerken ist somit vorprogrammiert. Hierfür werden Investitionsgüter benötigt. Ein noch schwungvolleres Vorgehen ist bei automatischen Getrieben für den Einbau in Fahrzeugen angesagt: Der Importanteil von aktuell 100% soll binnen fünf Jahren auf 30% oder gar 20% fallen. Dies ist nur durch die Modernisierung bestehender und den Bau neuer Getriebewerke zu vollbringen.

Hinzu kommt, dass die russische Wirtschaft realistischer Weise nicht annähernd in der Lage sein wird, sich komplett von Kapitalgüterimporten zu lösen. Selbst bei größter Anstrengung. Sei es aus Mangel an Finanzmitteln und Entwicklungsingenieuren oder aufgrund von schlechtem Projektmanagement und Veruntreuung von Geldern. Deswegen werden ausländische Investoren mit offenen Armen empfangen. Technologietransfer ist gewollt, um die Importabhängigkeit zu verringern.

Geographische Neuausrichtung der Handelsströme

Ob deutsche Maschinenbauer Aufträge erhalten im Rahmen der erforderlichen Modernisierung und Erweiterung von Fertigungskapazitäten, sei jedoch dahin gestellt. Denn die Kampagne zur Importsubstitution wird medienwirksam von einer Politik der außenwirtschaftlichen Umorientierung auf Lieferländer begleitet, die sich den Sanktionen von EU und USA nicht angeschlossen haben. Hier kommen insbesondere die Schweiz, VR China, Korea (Rep.) und Taiwan ins Spiel. In Deutschland dürften damit nur noch Kapitalgüter mit Alleinstellungsmerkmalen geordert werden.

Dass es die russische Regierung mit der geographischen Neuausrichtung der Lieferströme durchaus ernst meint, konnte schon Anfang Januar dem allerersten Entwurf des am 2.4.2015 verkündeten Programms zur Importsubstitution entnommen werden. Zwar wurde der Erstvorschlag radikal ausgedünnt – von ursprünglich 4.000 auf die nun verkündeten 2.059 Einzelvorhaben. Doch lag im Januar noch eine Liste von traditionellen westlichen Maschinen- und Anlagenbauern bei, ergänzt von einer Aufstellung alternativer Anbieter aus Asien, die zwischenzeitlich oder dauerhaft beauftragt werden sollen.

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