Russland will Elektronikindustrie ausbauen

[Von Ullrich Umann Moskau-gtai] – Russlands Elektronikindustrie befindet sich aktuell im Konjunkturtal. Die ersten Anzeichen wurden 2013 sichtbar, als die Branche nach drei Wachstumsjahren in das Minus rutschte. Damit es künftig wieder aufwärts geht, muss saniert und investiert werden. Absatz- und Exportchancen rechnen sich die Hersteller unter anderem bei Systemen der Nachrichten- und Signalübertragung, bei Satelliten- und Navigationstechnik sowie bei LTE-Systemen aus.

Die Staatsholding OAO Roselektronika hat als Reaktion auf die aktuelle Situation der Elektronikbranche, aber auch im Hinblick auf die sich verändernde außenpolitische, außenwirtschaftliche und finanzielle Lage in der Russischen Föderation im April 2014 eine modifizierte Entwicklungsstrategie formuliert. Die Modernisierung des Kapitalstocks in den Holdingunternehmen, deren Bündelung und die Stärkung von Forschung und Entwicklung werden als Oberziele genannt.

Russland: Projekte in der Elektronikindustrie

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Quelle: Recherche Germany Trade & Invest, Moskau, 2014

Bis 2020 soll die Zahl der weltmarktfähigen Hochtechnologiegüter aus russischer Produktion steigen und gleichzeitig der Gesamtumsatz der Holding von 42,7 Mrd. auf 130,7 Mrd. Rbl (etwa 2,6 Mrd. Euro; EZB-Wechselkurs vom 16.4.14: 1 Euro = 49,86 Rubel) verdreifacht werden. Rund 139 Mrd. Rbl will die Holding bis 2020 in ihre Modernisierung und Restrukturierung investieren, davon ein Großteil in Form staatlicher Zuwendungen. Von den Staatshilfen fließt etwa ein Drittel in den zivilen Bereich, der jedoch durch Eigenmittel der Holding und durch Aufnahme von Fremdmitteln aufgestockt wird. Die verbleibenden zwei Drittel kommen nicht-zivilen Projekten zu Gute.

Russland: Produktion von Erzeugnissen der Elektrotechnik, Elektronik und von optischen Ausrüstungen (Veränderungen zum Vorjahr in %)

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Quelle: Föderaler Statistikdienst Rosstat, Moskau, 2014

Roselektronika mit interessanten Forschungsfeldern

Absatz- und Exportchancen rechnet sich Roselektronika unter anderem bei Systemen der Nachrichten- und Signalübertragung für die Luft- und Raumfahrt sowie für Zwecke der Nuklearindustrie aus. Des Weiteren forscht die Holding auf den Gebieten LTE-Mobilfunk, Industrieelektronik, Kfz-Elektronik, Medizin- und Energietechnik, Sicherheits-, Feuermelde- und Überwachungselektronik, Hochleistungsrechenzentren, Mikrowellentechnologie, Algorithmen zur Informations- und Signalmodulation, Licht- und LED-Technik, Radar-, sowie Nachtsichttechnik.

Aus dem Verkauf von Sicherheits-, Feuermelde- und Überwachungselektronik für Stromnetze nimmt Roselektronika aktuell 0,9 Mrd. Rbl pro Jahr ein. Die Abnehmer sitzen zurzeit allesamt noch im eigenen Land. Doch sollen sich die Einnahmen bis 2020 in diesem Bereich auf 30 Mrd. Rbl vergrößern, auch durch den Export entsprechender Technologien.

Holding OAO Roselektronika: Umsatzplanung für den Zeitraum 2012 bis 2020 (in Mrd. Rbl)

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Quelle: OAO Roselektronika, Moskau, 2013

Zuwächse erwartet sich die Holding aber auch durch den Verkauf von LTE-Netzwerkausrüstungen für den Mobilfunk. So will der russische Mobilfunkanbieter MTS Antennenanlagen, elektrische Ausrüstungen, Spezialkabel, Akkumulatoren und Generatoren sowie Klimatechnik für Basisstationen von Holdingunternehmen der Roselektronika erwerben. Andere russische Mobilfunkfirmen wollen sich erst näher mit der LTE-Technologie von Roselektronika vertraut machen, bevor sie eine Entscheidung treffen. Grundsätzlich wären sie aber zum Kauf bereit, wenn die Qualität und der Preis stimmen.

Importsubstitution wichtiges Ziel

Ein weiteres Betätigungsfeld sieht die Holding in der Komponentenfertigung für Satelliten. Ziel ist es hier, importierte Bauteile durch eigene Produkte ersetzen zu können. Bis 2019 sollen alle russischen Satelliten zu mindestens 90% aus inländischen Komponenten bestehen. Durch die Einführung nationaler Lieferklauseln bei öffentlichen Beschaffungen von Medizintechnik am 1.4.14 erklärt sich Roselektronika nun auch bereit, die Forschung und Entwicklung von Röntgentechnologie zu forcieren und diese in absehbarer Zeit zur Produktionsreife zu bringen.

Roselektronika hat bereits Investitionen von 1,27 Mrd. Rbl (circa 26,5 Mio. Euro) für die Jahre 2014 bis 2016 ausgewiesen. Die Planer erhoffen sich davon eine Senkung der Herstellungskosten für elektronische Erzeugnisse. Eingerichtet werden unter anderem Technologieparks und virtuelle Innovationsplattformen. Weiterhin werden Forschungsprojekte sowie die Gründung einer auf die Elektronikindustrie spezialisierten Auditgesellschaft finanziert.

Branchenfirmen verschmelzen miteinander

Russland geht bei der Sanierung der Elektronikindustrie seinen ganz spezifischen Weg. Anstatt Großunternehmen in kleine bis mittelgroße flexible Spezialfirmen zu zerlegen, wurden Kapazitäten gebündelt und unter dem Dach der Staatsholding OAO Roselektronika zusammengefasst. Damit bildete sich ein noch größerer Branchengigant heraus.

Ein erster Schritt war die 2012 erfolgte Zusammenlegung der beiden Holdings Sirius und Orion mit Roselektronika. Die Zahl der Holdingfirmen soll von 2014 bis 2016 durch Fusionen und Übernahmen von derzeit 124 auf 20 sinken. Am Ende der vorgesehenen Konsolidierungsphase wird zudem die thematische Trennung zwischen produzierenden Unternehmen sowie Forschungsund Entwicklungseinrichtungen überwunden – sie gehen allesamt in sogenannten Forschungsund Produktionsvereinigungen auf.

Selbst über Zukäufe ausländischer Branchenfirmen denkt Roselektronika nach, speziell aus den Bereichen Design und Herstellung von Mikroschemen. Als Zielregion kommt Südostasien in Frage, wo elektronische Komponenten billiger als in Russland hergestellt werden können. Zudem produzieren die beiden russischen Hersteller Mikron und Angstrem keine Mikrochips unter 45 Nanometern (nm), wie der Geschäftsführer von Roselektronika, Andrej Zwerew, betonte.

Dreistufige Entwicklung bis 2020

Die mittelfristige Entwicklungsstrategie erstreckt sich auf drei Zeitetappen. In den Jahren 2014/15 werden Kapazitäten juristisch und organisatorisch innerhalb der Holding-Struktur zu vorerst 71 Firmen zusammengefasst. Daraufhin erfolgt 2016/17 eine neue Bilanzierung zwischen der rein zivilen Produktion und der Herstellung von Dual-Use-Gütern sowie zwischen Produkten für den Inlands- und Auslandsabsatz. Der Anteil staatlich garantierter Absatzgarantien am Gesamtausstoß könnte gleichzeitig von 70 auf 40% sinken.

In der Endphase von 2018 bis 2020 wird an der Bildung einer offenen und kooperationsfähigen Elektronikholding mit weltmarktfähigen Produkten gearbeitet. Gekrönt wird die Entwicklung nach den Worten von Holdingchef Andrej Zwerews für alle neu strukturierten Firmen von einem Gang an die Börse.

Eine ähnliche Bündelung in Holdings vollzog sich auch in anderen Industriezweigen. Zwei Beispiele: Im Werkzeugmaschinenbau entstand auf diese Weise die Staatsholding OAO Stankoprom. Hubschrauber werden ausschließlich in der Holding OAO Wertoljoty Rossii gebaut. Alle Branchenholdings zusammen sind wiederum einer einzigen staatlichen Superholding, der OAO Rostec (Rostechnologija), unterstellt.

Konsolidierung politisch flankiert

Politisch und organisatorisch wird OAO Rostec de facto durch den Maschinenbauverband Sojuz Maschinostroitelej flankiert. Der stellvertretende Geschäftsführer des Verbandes, Wladimir Gutenew, ist gleichzeitig gewählter Abgeordneter der Staatsduma. Dort bekleidet er das Amt des stellvertretenden Kommissionsvorsitzenden für Industrie.

Nicht von ungefähr rief Wladimir Gutenew unlängst zur Modernisierung unter anderem der elektronischen Industrie auf. So unterstrich er, dass für Rechenchips und Mikroschemen immer noch die GOST-Normen aus den 1970er Jahren Anwendung finden: „Selbstverständlich kann keine Rede davon sein, dass sie modernen technologischen Ansprüchen genügen“.

 

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