Russland will alle Videoüberwachungssysteme vereinheitlichen und per Gesichtserkennungssystem verbinden

Russland will alle Videoüberwachungssysteme vereinheitlichen und per Gesichtserkennungssystem verbinden

Das russische Ministerium für digitale Entwicklung Mintsifry schlägt vor, in das nationale Projekt „Datenwirtschaft“ eine Initiative zur Schaffung einer nationalen Plattform für die Speicherung und Verarbeitung von Informationen aus allen städtischen Videoüberwachungssystemen der Russischen Föderation aufzunehmen. Das Ministerium schätzt die Kosten für die Entwicklung dieser Plattform auf 122,4 Millionen Euro. Marktteilnehmer, die Erfahrung mit der Organisation solcher Systeme haben, sind jedoch der Meinung, dass die Kosten für eine vollständige Konsolidierung fünf- bis sechsmal höher sein werden und dass es kostengünstiger ist, eine zentralisierte Videoüberwachung vor Ort zu entwickeln.

Die russische Zeitung Kommersant konnte die Präsentation von Digital-Minister Maxut Schadajew lesen, die am 21. November bei einem Strategietreffen zum nationalen Projekt „Datenwirtschaft“ vorgestellt wurde. Das Dokument enthält Vorschläge zur Struktur des künftigen nationalen Projekts, dessen Umsetzung bis 2030 auf 15,4 Milliarden Euro geschätzt wird. Eine der Initiativen betrifft die Zentralisierung der in der Russischen Föderation betriebenen Videoüberwachungssysteme.

Den Unterlagen zufolge sind derzeit 1,2 Millionen Videoüberwachungskameras in russischen Städten in Betrieb – das sind 0,8 Überwachungskameras pro 100 Russen. Von den auf Staatskosten installierten Kameras ist nur die Hälfte mit den zentralen Systemen in den Regionen verbunden. Auf die privaten Kameras haben die regionalen Behörden keinen Zugriff. Das Ministerium für digitale Medien hält es für notwendig, eine nationale „Plattform für die Verarbeitung und Speicherung von Daten aus Videoüberwachungskameras“ zu schaffen, die mit den regionalen Systemen verbunden werden kann. Das Projekt sieht auch einen obligatorischen Anschluss von Zugangskameras an die Plattform vor, deren Installationskosten in das Budget für die Renovierung von Wohngebäuden aufgenommen werden können.

Der Videostrom wird mit Gesichts- und Bilderkennungsmechanismen analysiert. Das Ministerium schätzt die Kosten für die Entwicklung der Plattform auf 122,4 Millionen Euro. Das Ministerium geht davon aus, dass bis 2030 die Zahl der Videoüberwachungskameras im Land auf 5 Millionen ansteigen wird und alle Kameras mit KI-Systemen verbunden sein werden, die den Videostrom verarbeiten können. Das Ministerium geht davon aus, dass dadurch unter anderem die Verbrechensaufklärung um 30 Prozent gesteigert werden kann. Die Dichte der Videoüberwachung in ganz Russland soll dann mindestens auf das Niveau von Moskau (2,3 Kameras pro 100 Einwohner) steigen.

Das Ministerium kündigte an, dass „bestimmte Kategorien von Eigentümern“ verpflichtet sein werden, Videokameras auf eigene Kosten zu installieren und anzuschließen.

Eine ähnliche Initiative wurde vom Katastrophenschutzministerium für die Jahre 2020-2022 im Rahmen des Projekts „Sichere Stadt“ entwickelt. Sie sollte alle Regionen dazu verpflichten, intelligente urbane Sicherheitssysteme zu installieren (derzeit tun sie dies nach eigenem Ermessen). Die Regionen sollten zu einheitlichen Standards für die Datenerfassung und -verarbeitung (Videostreams, Informationen von Industrie- und Brandmeldern usw.) übergehen, diese aber lokal speichern. Im Oktober 2021 bereitete das Katastrophenschutzministerium einen Gesetzentwurf über die Funktionsweise des Systems vor, der jedoch vom Innen- und Wirtschaftsministerium kritisiert wurde (siehe Kommersant vom 7. Februar 2022). Ein mit der Situation vertrauter Gesprächspartner von Kommersant sagt, dass „die Initiative auf Eis gelegt wurde“.

Ilja Mucha, Leiter der Abteilung für Digitalisierungsstrategien bei Reksoft Consulting, bezeichnet die vom Ministerium gestellte Aufgabe als ehrgeizig: „Sie erfordert nicht nur seriöse Ausrüstung für die Speicherung, Verarbeitung und Streaming-Video-Analyse mit künstlicher Intelligenz, sondern auch Kommunikationskanäle, Redundanz und ein großes, hochqualifiziertes Team.“

Gleichzeitig ist eine Quelle, die mit der Organisation der Videoüberwachungssysteme in Moskau und den Regionen vertraut ist, der Meinung, dass eine Zentralisierung der Daten keinen praktischen Sinn macht: „Die Daten über Vorfälle in den Regionen werden von den Diensten in den Regionen benötigt, es gibt keinen Grund, sie auf die nationale Plattform zu übertragen, sie ist sehr teuer, funktioniert nicht für alle Nutzer von Videoinformationen und wird von den Diensten vor Ort nicht genutzt“.

In Moskau ist das Erkennungssystem seit 2019 in Betrieb und wurde bereits sehr erfolgreich eingesetzt, um nicht nur flüchtige Straftäter, sondern auch Bürgerrechtler zu identifizieren. In der Hauptstadt gibt es mittlerweile 276.600 Kameras, die mit dem Gesichtserkennungssystem verbunden sind. Sie sind in Höfen, auf öffentlichen Plätzen, an Eingängen etc. installiert. Betreiber des Systems ist die Abteilung für Informationstechnologien der Hauptstadt, die Strafverfolgungsbehörden haben über eigene Gateways wie PARSIV Zugriff auf die Datenbanken.

Ein Gesprächspartner eines großen IT-Unternehmens gab an, dass die Übertragung von Videomaterial aus Videoüberwachungssystemen vor Ort in eine zentralisierte nationale Datenbank „fünf- bis sechsmal soviel kosten würde wie das Ministerium für digitale Daten“, da eine große Zahl von Computern angeschafft und gewartet werden müsse, um die riesigen Datenmengen zu verarbeiten. In Bezug auf die Kosten sei die dezentrale Organisation intelligenter Überwachungssysteme effizienter.

Laut einer Studie von Comparitech und Datawrapper, die 2022 in hundert Ländern weltweit durchgeführt wurde, haben Behörden und Strafverfolgungsbehörden in siebzig Prozent der Länder in gewissem Umfang Zugang zu Gesichtserkennungsdaten aus Überwachungskameras. Je nachdem, wie häufig und nahtlos die Polizei diese Technologie einsetzt, haben die Forscher fünf Stufen des Zugangs und der Verbreitung identifiziert.

Zur ersten Gruppe der Länder mit dem höchsten Grad der polizeilichen Nutzung von Gesichtserkennungstechnologie – von den Forschern als „übermäßig/aufdringlich/aggressiv“ definiert – gehören China, Japan, Argentinien, Russland und Belarus.

Zu den Ländern mit einem hohen Nutzungsgrad gehören Iran, Indien, Myanmar, Usbekistan, die Vereinigten Arabischen Emirate, Frankreich, Italien, Griechenland, die Niederlande, Kanada, Mexiko, Bolivien, Chile und Ecuador.

Ein mittleres Niveau weisen Länder wie die USA, Deutschland, das Vereinigte Königreich, die Ukraine, Schweden, Polen, Serbien, Rumänien, die Türkei, Brasilien, Peru, Kolumbien, Venezuela, Kasachstan, Pakistan, Irak, Thailand und Indonesien auf. Von den Ländern, in denen sich diese Technologien noch in der Erprobungsphase befinden und daher in ihrer Anwendung gesetzlich eingeschränkt sind, wird nur Spanien genannt.

Die letzte Gruppe von Ländern, in denen der Einsatz dieser Technologien durch die Polizei verboten ist oder keine Daten über ihren Einsatz vorliegen, umfasst hauptsächlich afrikanische Länder, Papua-Neuguinea, Kuba, Afghanistan, Syrien und Kambodscha. Die Forscher vermuten, dass dies daran liegt, dass die Behörden in diesen Ländern einfach nicht über die Mittel verfügen, um die Anzahl von Überwachungskameras anzuschaffen, die einen effektiven Einsatz von Gesichtserkennungstechnologien ermöglichen würden.

Das Europäische Parlament hat im Sommer mit der Beratung eines Gesetzesentwurfs (.pdf ) begonnen, der den Einsatz von Gesichtserkennungstechnologien in Überwachungskameras deutlich einschränken würde.

[hrsg/russland.NEWS]

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