[Von Ullrich Umann Moskau-gtai] – Russlands Einfuhrstopp auf Agrarerzeugnisse und Nahrungsmittel aus der EU, den USA, Kanada, Australien und Norwegen wird modifiziert. Am 20.8.2014 kürzte der Ministerrat die Liste der vom Einfuhrverbot betroffenen Güter. Damit wurde offensichtlich, dass nicht alle Warengruppen aus alternativen Quellen bezogen werden können. Getränke (ohne Milch), Genussmittel, Kindernahrung und verarbeiteter Fisch waren schon von Anfang an von den Sanktionen ausgeschlossen.
Ab sofort können folgende, ursprünglich am 6.8.2014 verbotenen Waren aus der EU, den USA, Australien und Norwegen wieder nach Russland eingeführt werden:
– laktosefreie Milchprodukte
– biologisch-aktive Nahrungsergänzungsmittel
– Vitamin- und Mineralpräparate
– Aromastoffe
– Eiweißkonzentrate und -mischungen pflanzlichen oder tierischen Ursprungs
– Ballaststoffe
– Lebensmittelzusatzstoffe
– Saatgut für Kartoffeln, Erbsen, Zuckermais-Hybriden und Zwiebeln
– Zuchtbrut für atlantischen Lachs und Forellen
Der Ministerrat nannte als Begründung für diese Ausnahmen, dass die Versorgung der heimischen Nahrungsmittelindustrie und Agrarwirtschaft mit Roh- und Zusatzstoffen sichergestellt werden muss. Wie es amtlich hieß, wurde aber auch das berechtigte Interesse besonderer Bevölkerungskreise an Importwaren berücksichtigt. Mit anderen Worten, für bestimmte Einfuhrgüter gibt es ohne weiteres keine alternativen Bezugsquellen.
Hätten die für den Import wieder zugelassenen Warengruppen auf Dauer gefehlt, müssten bestimmte Zweige der Nahrungsmittelindustrie, Agrarproduktion und Fischzucht nach Verbrauch der Lagerbestände den Betrieb einstellen. Auch Menschen mit Allergien wären betroffen gewesen. Aus Norwegen liefen noch am gleichen Tag die Lieferungen von Fischbrut an zwei Zuchtbetriebe im Gebiet Murmansk wieder an. Dies war auch bitter notwendig, da sonst ab 2016 kein einziger Lachs aus russischer Zucht mehr kommen würde. Darauf wies der Branchenverband Rybny Sojuz hin. Derzeit halten heimische Zuchtbetriebe 15% der Marktanteile bei rotem Fisch in Russland. Das gesamte Marktvolumen lag 2013 bei dieser Fischart bei 530 Mrd. Rubel (11 Mrd. Euro, 1 Euro = 48,2398 Rubel, Zentralbank Russland, Stand: 19.8.2014).
Lieferungen aus Deutschland wieder möglich
Andere Warengruppen, die seit dem 20.8.2014 wieder importiert werden dürfen, beispielsweise Eiweißkonzentrate, beziehen sich unter anderem auf sogenannte Sportnahrung. Dieses Marktsegment wird zu 96% von Herstellern aus der EU und den USA bedient. Mit einem Wert von jährlich 1,3 Mrd. Rubel (26,9 Mio. Euro) ist der Markt interessant.
Biologisch-aktive Nahrungsergänzungsmittel wurden 2013 nach Angaben der DSM Group in russischen Apotheken im Wert von 36,2 Mrd. Rubel (750 Mio. Euro) vertrieben. Der Importanteil betrug 38%. Hauptlieferländer sind Deutschland und die USA. Ein wichtiger Anbieter von Vitaminund Mineralpräparaten für Kinder und Erwachsene ist unter anderem die Bayer AG. Daher dürfte auch hier das gestrichene Einfuhrverbot für Erleichterung sorgen.
Mengen bei Frischlachs werden zurückgehen
Auf Grund des Einfuhrverbots von Frischlachs aus der EU und Norwegen wird künftig die abgesetzte Mengen nach Expertenmeinung zurückgehen, allein schon wegen steigender Preise im Groß- und Einzelhandel. Mit den Sanktionen vom 6.8.2014 wurden bei Frischfisch Lieferländer belegt, die 2013 etwa 45% der gesamten russischen Fischimporte lieferten. Dies betraf eine Menge von 462.000 Tonnen. Betroffen sind Bezüge von frischem Lachs, Hering, Makrele, Garnelen und Sprotten. Zwar wurden Ersatzlieferungen bei Lachs unter anderem mit Chile vereinbart; so disponierten sogar norwegische Anbieter auf ihre Niederlassungen in diesem südamerikanischen Land um.
Doch wird der chilenische Lachs im Unterschied zum norwegischen Lachs ausschließlich in gefrorener Form angeliefert, wegen der längeren Transportwege. Mit der ersten Lieferung wird in Russland frühestens nach 45 Tagen gerechnet. Eine Weiterverarbeitung gefrorenen Fischs ist vor Ort ohne Umrüstung der russischen Betriebe nicht ohne weiteres möglich, denn bis dato wurde hier Frischfisch verarbeitet. Lachsanbieter von den Färöer Inseln wiederum haben ihre Preise kurzfristig um 60% angehoben.
Von einem Einfuhrverbot ausgespart blieben die Warencodes 1604 und 1605. Das heißt Fische, zubereitet oder haltbar gemacht, sowie Krebstiere, Weichtiere und andere wirbellose Wassertiere, zubereitet oder haltbar gemacht, dürfen eingeführt werden. Das gleiche gilt für Fischkonserven. Der Branchenverband Rybny Sojuz sieht darin eine Inkonsequenz der Regierung, da russische Fischverarbeiter im Unterschied zur Milch- und Fleischwirtschaft dadurch fortgesetzt in einem direkten Wettbewerb mit allen ausländischen Anbietern stehen.
Eine Umdisponierung auf Frischfisch aus dem russischen Fernen Osten erweist sich als schwierig. Die Preise auf diese Erzeugnisse sind dort in den letzten Tagen bis zu 50% in die Höhe geschossen. Hinzu kommt der Transport, der auch erst organisiert werden müsste. Daher wird dem Vernehmen nach ernsthaft diskutiert, ob es nicht besser sei, Verarbeitungs- und Konservenfabriken im Baltikum aufzukaufen, um dort unter eigener Marke zu produzieren und den verarbeiteten Fisch von dort einzuführen.
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