Russland setzt weiter auf ausländische Investoren

[Von Ullrich Umann  Moskau-gtai] – Russlands Regierung passt ihre Wirtschaftspolitik der aktuellen Krise an. Dazu  gehören Umschichtungen im Haushalt und Modifikationen der langfristigen  Entwicklungsprogramme für ganze Industriezweige. Doch stößt das Kabinett dabei teilweise auf  den Widerstand der Staatsduma. Dagegen beabsichtigt die Regierung nicht, ihren Kurs bei der  Förderung von Industrieansiedlungen ausländischer Firmen und bei der Anwendung nationaler  Lieferklauseln im Fall öffentlicher Ausschreibungen zu ändern.

Die Regierung sieht sich zu Kürzungen von Fördergeldern für die Industrie gezwungen. Damit  reagiert sie auf zurückgehende Einnahmen aus Steuern und Außenhandel sowie auf zunehmende  Schwierigkeiten bei der Aufnahme von Fremdmitteln auf den internationalen Kapitalmärkten. Dass  ausgerechnet zu den ersten Kürzungen staatlicher Fördergelder der Flugzeug- und  Hubschrauberbau gehören soll, hat in Moskau allerdings für Irritationen gesorgt.

Prompt meldete sich die Parlamentarische Kommission für Industrie zu Wort. Ihr stellvertretender  Vorsitzender, Wladimir Gutenew, bemängelte öffentlich die vorgeschlagene Kürzung der  Staatshilfen für den Flugzeug- und Hubschrauberbau bis 2025 von ursprünglich zugesagten 1,2  Billionen Rubel (etwa 24 Mrd. Euro) auf 0,714 Billionen Rubel (etwa 14,3 Mrd. Euro). Wladimir  Gutenew ist zugleich stellvertretender Geschäftsführer des einflussreichen  Maschinenbauverbandes Sojuz Maschinostroitelej und nimmt in dieser Funktion auch die  Interessen der Staatsholding Rostec wahr. Unter dem Dach von Rostec sind unter anderem die  wichtigsten Unternehmen aus dem Bereich Luft- und Raumfahrt angesiedelt.

In seiner Eigenschaft als stellvertretender Vorsitzender der Parlamentarischen Kommission für  Industrie rief Gutenew die Regierung zur Revision der Kürzungsentscheidung beziehungsweise  zum Dialog mit dem Parlament in dieser Frage auf. Es ist daher davon auszugehen, dass Vertreter  von Regierung und Parlament auf Arbeitsebene bestehende und künftige Kürzungen aushandeln  werden.

In anderen Bereichen, etwa der Gesundheitswirtschaft, droht ab 2016 eine Unterfinanzierung von  300 Mrd. Rubel, wie der Vizeminister für wirtschaftliche Entwicklung, Andrej Klepatsch, ausführte.  Im Straßen- und Autobahnbau stünden mittelfristig um 30 bis 40% zu wenig Mittel zur Verfügung.  Aus diesem Grund schlägt Klepatsch eine Lockerung der Haushaltsdisziplin vor, um der  Regierung mehr Geld für Förderprogramme in die Hand zu geben. Dagegen sträubt sich, bislang  erfolgreich, das Finanzressort. Finanzminister Anton Siluanow bevorzugt eine konservative  Ausgabenpolitik, um kein Haushaltsdefizit auflaufen zu lassen.

Denis Manturow, Minister für Industrie und Handel, kündigte vor der Association of European  Businesses (AEB) am 24.4.2014 an, dass vom eingeschlagenen Kurs zur Förderung  ausländischer Industrieansiedlungen sowie von der Anwendung nationaler Lieferklauseln im Fall  öffentlicher Ausschreibungen keinen Deut abgerückt werde – auch nicht angesichts der aktuellen  Sanktionsszenarien. Viel mehr sagte Manturow allen niedergelassenen ausländischen Firmen  Bestandsschutz sowie ein regulatives, normatives, steuerliches und finanzielles Entgegenkommen  bei Neuinvestitionen zu.

Bei seinem Auftritt unterstrich Manturow, dass es gegenwärtig viel mehr um die Ausarbeitung von  Reglements sowie um die Harmonisierung von Normen und Standards zwischen der Zollunion aus  Russland, Belarus und Kasachstan einerseits und der Europäischen Union andererseits gehen  müsse.

Die russische Regierung will europäische Unternehmen an der weiteren Wirtschaftsentwicklung  unverändert teilnehmen lassen. Eigens sei ein Gesetz über Industriepolitik in Vorbereitung, auf  dessen Grundlage die Investitionsbedingungen sogar noch verbessert werden. Dazu gehören  Steuervorteile, die künftig die Verwaltungen der russischen Regionen ausländischen Firmen  zusagen können, selbst auf den föderalen Teil von Steuern.

Das Netz an Industrieparks, die über eine Infrastruktur verfügen, wird von derzeit 49 langfristig auf  200 ausgebaut. Aktuell seien 30 neue Industrieparks in Vorbereitung. In Anbetracht drohender  Sanktionen meinte Manturow, dass von russischer Seite nicht adäquat geantwortet würde.  Vielmehr würden Gebietsverwaltungen und die föderale Regierung von einmal gegebenen  Zusagen während der Vertragslaufzeit nicht abrücken, um Investoren volle Planungssicherheit zu  garantieren.

Präsident Putin äußerte allerdings am Rande eines Treffens des Obersten Eurasischen  Wirtschaftsrates am 29. April 2014 in Minsk vor Pressevertretern, dass Russland sich gezwungen  sehen könnte, auf Wirtschaftssanktionen mit Gegenmaßnahmen zu antworten. „Ich wiederhole  noch einmal: nichts Gutes liegt in diesen Sanktionen, sie schaden. Die Regierung der Russischen  Föderation hat bereits einige Schritte als Antwort vorgeschlagen. Ich glaube, dass darin keine  Notwendigkeit besteht. Aber wenn sich so etwas wie dies fortsetzt, müssen wir natürlich darüber  nachdenken, wer und wie in der Russischen Föderation tätig ist, in den Schlüsselsektoren der  russischen Wirtschaft, darunter dem Energiesektor“. Gleichzeitig betonte Putin: „Wir wollen  wirklich nicht zu solchen Schritten oder Maßnahmen als Antwort greifen. Ich hoffe, dass dies nicht  geschehen wird.“

Außerdem will die Regierung einen Industriefonds im Rahmen des geplanten Gesetzes über  Industriepolitik auflegen, sagte Manturow. Dieser soll dazu dienen, die finanziellen Nachteile  auszugleichen, die den russischen Unternehmen durch den Kursverfall des Rubel und die  Anhebung des Basiszinssatzes der Zentralbank, die zu einer Verteuerung der Kredite führte,  entstehen. Aus dem Fonds können dann Mittel zur Zinssubvention für Industrieprojekte fließen.  „Rubelkredite sollen mit Zinssätzen von unter 10% ausgestattet sein. Der derzeitige  durchschnittliche Zinssatz von 15% kann nicht als normal bezeichnet werden.“ Er fügte hinzu,  dass diese Mittel unter anderem dazu genutzt werden, um teilweise noch nicht vorhandene  Zulieferindustrien zu entwickeln. „Dies interessiert besonders Endfertiger aus dem Ausland mit  Niederlassungsabsichten.“

„Die derzeit fallenden Rubelkurse haben auch eine positive Seite, und zwar für Exporteure von  Gütern und Dienstleistungen. Importe verteuern sich, was einmal mehr für die Errichtung von  Produktionsniederlassungen in Russland spricht. Doch kann die Regierung die Wechselkurse  nicht direkt beeinflussen. Die Zentralbank interveniert, kann aber auch keine Wunder bewirken.  Der Rubelkurs bildet sich auf natürliche Weise“, so der Minister.

In Bezug auf nationale Lieferklauseln bei öffentlichen Ausschreibungen wird die Regierung keine  Kursveränderung vornehmen. Manturow argumentierte, dass Russland damit gegen keine einzige  internationale Abmachung verstoße. Sein Land habe entsprechende Zusatzprotokolle zum WTOBeitritt  nicht unterschrieben. Auch würde bei öffentlichen Ausschreibungen auf Geld des  Steuerzahlers zurückgegriffen, weshalb eine gewisse Verpflichtung zur Unterstützung russischer  Unternehmen bestehe.

Den Mitgliedsfirmen der Association of European Businesses gab Manturow zu verstehen, dass  über nationale Lieferklauseln auch die Interessen in Russland niedergelassener ausländischer  Investoren geschützt werden, handelt es sich doch um Firmen nach russischen Recht. Somit sind  Niederlassungen ausländischer Firmen den russischen Unternehmen bei Ausschreibungen  gleichgestellt, sofern sie ihre Investitionsverpflichtungen, darunter die local-content-Bestimmungen  erfüllen.

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