Russland erlebt landesweite Proteste zur Unterstützung von Nawalny

Russland erlebt landesweite Proteste zur Unterstützung von Nawalny

Die Demonstrationen am Samstag zur Unterstützung des inhaftierten Oppositionsführers Alexei Nawalny waren die größten Proteste seit vielen Jahren, die ohne offizielle Genehmigung stattfanden. Schätzungsweise 20.000 bis 40.000 Menschen gingen in Moskau auf die Straße, das Innenministerium meldete 4.000 Teilnehmer. Insgesamt waren bis zu 100.000 Menschen in mehr als 100 Städten auf der Straße. Über 3.400 Menschen wurden verhaftet – ein weiterer Rekord.

Die Polizei hatte vorher gewarnt, die Proteste als „massive Störung der Öffentlichkeit“ zu behandeln, bei der nach russischem Recht Organisatoren mit bis zu zehn Jahre und Teilnehmer bis zu acht Jahre Haft rechnen müssen. Der Moskauer Bürgermeister Sergei Sobjanin forderte die Bewohner der Stadt auf, zu Hause zu bleiben und wies auf die Risiken der aktuellen Pandemie hin.

Nach Zahlen vom Projekt ovdinfo wurden bisher insgesamt über 3.400 Menschen kurz- oder mittelfristig verhaftet. Es gab Dutzende Berichte von Polizisten, die Schlagstöcke benutzten oder Menschen zu Boden traten. Demonstranten reagierten mit Schneebällen und Plastikflaschen. Nach Angaben der Behörden wurden 42 Sicherheitskräfte verletzt. „Trotz der Handgemenge kann das Vorgehen der Polizei nicht als brutal bezeichnet werden – zumindest nicht nach russischen Maßstäben“, schreibt the bell. „Hinweise auf die meist übliche Brutalität der Polizei, die öffentliche Empörung auslösen könnte, gab es keine. Dem Verhalten der Sicherheitskräfte nach zu urteilen, versucht der Kreml zu vermeiden, einen Radikalisierungsprozess auszulösen.“

In Moskau versammelten sich nach offiziellen Zahlen 4.000 Demonstranten auf dem zentralen Puschkin-Platz. Die Polizei begann sofort mit Verhaftungen. Etwa eine Stunde nach Beginn der Kundgebung versuchten die Demonstranten, zu den Kremlmauern zu marschieren, aber die Polizei versperrte ihnen den Weg und die Demonstranten zerstreuten sich über das gesamte Stadtzentrum. An mehreren Stellen kam es zu gewaltsamen Zusammenstößen an den Straßensperren der Polizei.

Die zweitgrößte Demonstration des Landes fand in St. Petersburg statt. Weiterhin wurde in Wladiwostok, Krasnojarsk, Nischni Nowgorod, Woronesch, Krasnodar und viele anderen Städten protestiert. Bemerkenswert ist die Ausbreitung der Aktionen auf Dutzende regionaler Städte, in denen die Opposition traditionell schwach ist. Es fanden mindestens 111 Kundgebungen statt, in denen es zu Verhaftungen kam. Man kann also von einem landesweiten Protest sprechen und einem großen Erfolg des Nawalny-Teams.

Der russische Politologe Sergei Markow kommentierte die Proteste ganz im Duktus der Silowiki. Sie seien nicht das Werk von Nawalnys Team, sondern eindeutig aus dem Ausland geführt. Als „Matrix“ stünden dahinter die Geheimdienste der Vereinigten Staaten und Großbritanniens. Markow habe beobachtet, dass sich die Proteste allmählich „radikalisieren“. Die Demonstranten begannen, die Polizisten aktiv anzugreifen. Er halte die „Jugendpolitik im Land für eindeutig gescheitert. Die Verantwortlichen müssen mit ihren Posten bezahlen. Es lohnt sich auch, eine Säuberung der Medien zu organisieren, die unter der Kontrolle der radikalen Opposition stehen, die an der Vorbereitung des Staatsstreichs beteiligt ist“. Zusätzlich warnte der Politikwissenschaftler den Kreml vor Verrätern in der Regierung, die „an der Organisation der Proteste beteiligt“ waren. Wladimir Putin stehe vor einer sehr einfachen und klaren Aufgabe: die inneren Reihen zu reinigen und die Menschen zu entlassen, die bereit sind, ihn zu verraten“, so Markow.

Der weithin vorhergesagte Anstieg der Zahl von Schülern unter den Demonstranten blieb aus. Reporter vor Ort berichteten einstimmig, dass es nicht mehr junge Demonstranten als gewöhnlich gab. Deren erwartete Beteiligung soll auf das Portal TikTok zurückgehen – den TikTok-Faktor. Beiträge im Zusammenhang mit den Protesten erhielten über 200 Millionen Aufrufe auf der Plattform. Andererseits verkündeten staatliche Medien und Online-Sender, die Opposition versuche, Kinder bei den Kundgebungen als „menschlichen Schutzschild“ benutzen. Die russische Internetaufsichtsbehörde Roskomnadsor hatte Internetplattformen aufgefordert, Beiträge zu löschen, die zur Teilnahme aufriefen. Russlands größtes soziales Netzwerk, VKontakte, sowie TikTok, Facebook, Twitter, Instagram und YouTube veröffentlichten alle Warnungen, nachdem ihnen Geldstrafen von bis zu 10 Prozent ihrer russischen Einnahmen angedroht wurden.

Dem russischen Außenministerium zufolge hat die die US-Botschaft in Moskau aktiv Veröffentlichungen in sozialen Netzwerken veröffentlicht, um unkoordinierte Protestaktionen in russischen Städten zu unterstützen. Das sei eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten Russlands und demonstriere die Missachtung diplomatischer Normen und Regeln. Die Botschaftsführung „hat ein ernstes Gespräch vor sich“.

Ein Moskauer Gericht verhängte am Montag eine 30-tägige Haftstrafe gegen Nawalny, nachdem er aus Deutschland zurückgekehrt war. Seine Unterstützer riefen sofort zu Protesten auf und veröffentlichten ein Video, in dem sie Präsident Wladimir Putin der Korruption beschuldigen und Details eines Schwarzmeerpalastes zeigen, der auf seinen Befehl hin gebaut wurde. Innerhalb von vier Tagen verzeichnete das Video über 70 Millionen Aufrufe.

[hrsg/russland.NEWS]

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