russland.COMMUNITY: Russlands atomare Aufrüstung ist ein Beitrag zum Frieden

Bei der Fähigkeit des jeweiligen Gegners zum Vergeltungsschlag ist der nukleare Erstschlag für keine Seite ein Akt rationalen Handelns.

Martialisch war sie, die Überschrift von Focus Online aus dem Mai 2016: „Satan 2: Russen bauen Höllenrakete – sie wäre fähig, ein ganzes Land auszulöschen.“ Neben dieser offensichtlichen Effekthascherei zwecks möglichst vieler Klicks hält der zugehörige Artikel kaum Informationen für den Leser bereit.

Was sich in der englischen Wikipedia zu der „Sarmat RS-28“ finden lässt, klingt durchaus beeindruckend: Bei einer Reichweite von 10.000 Kilometern, 100 Tonnen Gewicht und einer Geschwindigkeit von Mach 20,7 (25.000 km/h) ist die Interkontinentalrakete in der Lage, bis zu 15 Gefechtsköpfe mit einer Sprengkraft von 50 Megatonnen ins Ziel zu tragen.

Die für Zehntausende Opfer verantwortliche Hiroshima-Bombe wird gemeinhin auf 13 Kilotonnen taxiert – daraus ergibt sich die 3800-fache Sprengkraft der Sarmat RS-28. Angesichts solcher Daten sind manche Beobachter schnell dabei, den Russen Aggressivität und Drohgebärden im Stil des Kalten Krieges vorzuwerfen – auch ist oft gemeinhin vom „Wahnsinn“ die Rede, wenn es um das Zerstörungspotential von Atomwaffen geht. Eine solche rein emotionale Einschätzung verkennt die Tatsache, dass die Existenz von Atomwaffen in ein zutiefst rationales Spiel zwischen verschiedenen Akteuren eingebettet ist.

In einer kriegerischen Auseinandersetzung ist die Ausübung von Gewalt an ein Gewaltmittel gebunden. Im Laufe der Jahrhunderte nahm dieses an den technischen Fortschritt gekoppelte Gewaltpotential mehr und mehr zu und mündete 1945 schließlich im Einsatz der Atombombe gegen die Japaner durch die Vereinigten Staaten.

Schnell zeigten sich zwischen den im Zuge des Zweiten Weltkriegs erstarkten Supermächten massive Spannungen, zunächst besaßen die USA durch die Atombombe einen beachtlichen Vorsprung gegenüber der Sowjetunion. Unter starkem Druck der politischen Führung, dem Einsatz Tausender Zwangsarbeiter und gravierenden Umweltschäden gelang der Sowjetunion im Jahr 1949 der Ausgleich auf dem Feld der Nukleartechnologie. Das Wettrüsten war eröffnet, die nächste Stufe der Waffentechnologie stellte Anfang der 1950er Jahre die Entwicklung der Wasserstoffbombe dar. Damit war im Bereich der Kriegsführung eine völlig neue Situation geschaffen.

Die Meisterdenkerin Hannah Arendt erläutert in ihrem brillanten Essay „Macht und Gewalt, dass von nun die alte Maxime, der zufolge der Krieg die letzte Instanz der Außenpolitik darstellt, ihre Gültigkeit verloren hat. Der Wettlauf der Rüstung habe von nun an nicht mehr den Sinn, den Krieg vorzubereiten, sondern ihn im Gegenteil durch wechselseitige Abschreckung zu verhindern.

Durch die Fähigkeit zum massiven Vergeltungsschlag des jeweiligen Gegners ist die Vernichtung des Angreifers garantiert. Laut Arendt folgt daraus, dass die Mittel (Atomwaffen) den Zweck (Kriegsführung) unmöglich machen – Krieg ist nicht mehr zur Ausdehnung der Macht geeignet, sondern durch die damit verbundene garantierte Selbstzerstörung ein Akt zutiefst irrationalen Handelns. Nur dieses Gleichgewicht des Schreckens hat während des Kalten Krieges die militärische Konfrontation zwischen den Supermächten verhindert.

Längst nicht jeder hat die eiskalte Realpolitik zu Zeiten des Kalten Krieges gutgeheißen. Im Zuge des Nato-Doppelbeschlusses als Reaktion auf die sowjetische Stationierung von SS-20-Mittelstreckenraketen hatten sich in der Bundesrepublik zahlreiche Demonstranten und auch die SPD der naiven Utopie einer atomwaffenfreien Welt hingegeben. Eine solche Welt ist, solange es Kriege gibt, eine gefährliche Illusion.

Durch die nukleare Aufrüstung Anfang der 1980er Jahre durch die Pershing 2 wurde das Gleichgewicht wiederhergestellt. Der vorherige geringfügige Vorteil der Sowjetunion wurde ausgeglichen, und gleichzeitig wurde dadurch der mögliche Nutzen eines Erstschlags zunichtegemacht, da die Kosten den Nutzen aufwogen.

Zwar ist der Kalte Krieg seit mehr als 25 Jahren vorbei, jedoch fügt sich auch die Sarmat RS-28 in die Logik des Gleichgewichts des Schreckens ein. Allein aufgrund ihres Zerstörungspotentials ist die Interkontinentalrakete nicht für die Durchsetzung von Interessen im Rahmen kriegerischer Auseinandersetzungen geeignet. Sie dient allein der Abschreckung und der Gewährleistung, sie niemals einzusetzen. Kommt es jemals zu ihrem Einsatz, hat sie versagt.

In der sogenannten Bush-Doktrin aus dem Jahr 2002 manifestiert sich die unilaterale, auf die globale Dominanz der USA abzielende außenpolitische Agenda der Bush-Administration. Dabei fällt der Satz, dass Russland die einzige Nation auf Erden ist, welche über die Möglichkeit verfüge, die Vereinigten Staaten in Schutt und Asche zu verwandeln. Ein wichtiger Baustein zur Umsetzung der Bush-Doktrin besteht in der National Missile Defense (Nationale Raketenabwehr). Durch ein weltweit gespanntes Netz aus Radaranlagen und Boden-Luft-Raketen soll damit die Möglichkeit gegeben werden, anfliegende Interkontinentalraketen abzufangen.

Offiziell gegen die „Achse des Bösen“ (George W. Bush) und damit gegen Staaten wie Nordkorea und Iran gerichtet, könnte das System auch dazu dienen, Russland als einzigen ernstzunehmenden militärischen Gegner die Fähigkeit zum Zweitschlag zu nehmen. Natürlich ist es fraglich, ob das System überhaupt wie geplant funktioniert und wirklich sämtliche auf die USA anfliegende Flugkörper abfangen könnte. Die Gefahr liegt vielmehr darin, dass vor dem Hintergrund eines vermeintlichen Gefühls der Sicherheit vor einem Zweitschlag auf Seiten der USA die Hemmschwelle für militärische Aggressionen herabgesetzt werden könnte.

Gemäß der Logik des Gleichgewichts des Schreckens schraubt die Sarmat RS-28 die Kosten für derartige Schritte in einen Bereich, welcher den Nutzen weit übertrifft. Gemäß verschiedener Quellen ist die russische Interkontinentalrakete in der Lage, sämtliche westliche Abwehrmaßnahmen zu überwinden. Und schließlich ist für die russische Seite die Aufrechterhaltung eines schlagkräftigen Defensivpotentials mit einer gewissen Notwendigkeit zur Weitsicht verbunden – man kann nicht erst damit beginnen, wenn sich eine konkrete Bedrohungslage ergibt.

MJ

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