russland.COMMUNITY: Putin handelt aus Angst, wenn er den Liberalismus einmal mehr für tot erklärt

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[von Julian Müller] „Die liberale Idee ist obsolet geworden. Sie ist mit den Interessen der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung in Konflikt geraten“. Diese wenig originelle, weil schon vor 100 Jahren in rechtsnationalen Kreisen der Weimarer Republik zirkulierende These entstammt dem breit rezipierten Interview, welches Vladimir Putin vor gut einem Monat mit der Financial Times geführt hat. Wiederholt ist die Rede von der „liberalen Idee“, ohne deren Inhalt jemals zu explizieren. Mal inszeniert sich der Kreml-Herrscher als Vollstrecker des Volkswillens (den es unter Bedingungen einer freien Gesellschaft überhaupt nicht geben kann) und schwadroniert von der wachsenden Kluft zwischen Volk und Eliten im Westen, mal geht es um „ungestraft plündernde, mordende und vergewaltigende Migranten“

Putin wird gewiss seine Quellen haben, wo genau im liberalen Westen derlei Taten (wenn es sie denn überhaupt gibt) nicht bestraft werden. Darüber hinaus zeigt sich hier sein grundlegendes Missverständnis des Liberalismus: Liberal zu sein heißt nicht, schwach zu sein. Die durch rechtsstaatliche Institutionen gezügelte Staatsmacht setzt den Rahmen für individuelle Entfaltung, indem sie Angriffe auf diese mit aller Härte des Gesetzes sanktioniert und sich ansonsten aus dem Leben der Menschen heraushält. Meinungs- und Pressefreiheit werden bedingungslos gewährleistet, auch der Schutz von Minderheiten und die Versammlungsfreiheit stehen nicht zur Disposition.

Ein liberaler Staat kann es sich leisten, wenn junge Oppositionelle auf die Straße gehen. Er nimmt die Vielfalt der Meinungen und Interessen als unvermeidlich hin. Für ein angeblich so fest im Sattel sitzendes Regime wie jenes von Vladimir Putin ist der großangelegte Polizeieinsatz gegen ungenehmigte Demonstrationen mit hunderten Festnahmen (so geschehen am letzten Wochenende in Moskau) nichts anderes als ein Zeichen von Schwäche. Derartige Maßnahmen braucht man nur, wenn es mit der Überzeugungskraft des Regimes zu Ende geht. Schon einmal ist auf russischem Boden mit der Sowjetunion ein vermeintlich allmächtiger Staat zu Grunde gegangen, weil er seine Bürger nicht zur Entfaltung hat kommen lassen.

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