Russland atmet durch – westlichen Investoren wird die Luft knapp

Russland hat den Höhepunkt der wirtschaftlichen Schwierigkeiten allem Anschein nach überwunden.Das meint zumindest die für Europa und Zentralasien zuständige Vizepräsidentin der Weltbank, Laura Tuck, und bestätigt damit Wladimir Putin, der vor wenigen Tagen Ähnliches verkündet hatte. „Ich denke, seine Einschätzung ist richtig, dass der schlimmste Teil des derzeitigen Schocks hinter dem Land liegt. Nach unserer Beobachtung hat sich das Vertrauen in die Wirtschaft leicht gebessert, der Wert des Rubels stieg durch die Haushalts- und geldpolitischen Maßnahmen“. Allerdings sei nach wie vor ein großer Unsicherheitsfaktor die weitere Entwicklung des Ölpreises. „Vermutlich sinkt er wieder auf die so genannte neue Norm“, glaubt die Bankerin, und außerdem könne die Gewöhnung an die neuen Bedingungen „weiterhin sehr schmerzhaft sein“,womit sie die „Neuordnung verschiedener Faktoren“ meinte, die dafür notwendig seien, niedrigere Wechselkurse für sich zu nutzen.

In der Wirtschaftslogik bedeutet das, die eigenen, nun preiswerteren Waren gewinnbringend auf dem Weltmarkt feilzubieten. Blöd nur, wenn da außer Rohstoffen nicht viel ist. Die Exporte von Maschinen und Anlagen, womit echter Mehrwert erwirtschaftet werden könnte, machen gegenwärtig im Wert drei Prozent der Öl- und Gasexporte aus. Zwar lugt der Gaspreis mit derzeit etwa 64 US-Dollar je Barrel wieder vorsichtig unter der Grasnabe heraus, aber ob er wieder frühere Größe erreicht, ist äußerst fragwürdig, zumal in absehbarer Zeit zudem wieder iranisches Öl in die Alte und Neue Welt strömt. Sollte auch deshalb das Fässchen Öl weniger als 40 Dollar kosten, könnte der Wechselkurs zur amerikanischen Währung erneut auf 70 Rubel steigen, befürchtet die Vizechefin der russischen Zentralbank, Xenia Judajewa, die unter anderem für die Festlegung des Rubel-Wechselkurses zuständig ist. „Allerdings ist ein solches Szenario derzeit äußerst unwahrscheinlich“, macht sie ihren Landsleuten Mut.

Rubel – die Währung mit dem stärksten Aufwärtstrend 2015

Die Entwicklung der letzten Wochen gibt ihr Recht – keine Währung entwickelte sich in diesem Jahr erfolgreicher als die russische. In dieser Zeit holte der Rubel gegenüber dem Dollar um rund 16 Prozent auf, Anfang April sogar täglich ein Prozent. Der Minister für wirtschaftliche Entwicklung, Alexej Uljukajew, erklärte am Freitag, dass er einen erneuten Einbruch des Rubels für ausgeschlossen hält und prognostizierte für 2015 einen Wechselkurs zum Dollar von rund 50 :1. Auch der Chef der Sberbank, des größten Finanzinstitutes Russlands, Geman Gref, ehemaliger Wirtschaftsminister, sieht derzeit keinen Grund für starke Schwankungen des Rubels. Neben dem wieder steigenden Ölpreis macht er als Ursache dafür die relative Beruhigung der Situation in der Ukraine aus. In diesem Zusammenhang ist es nicht abwegig zu schlussfolgern, dass sowohl die EU, als auch Russland ein objektives Interesse an einem dauerhaften Frieden in dem Krisengebiet haben.

Wenn also eines der wichtigsten Ziele des Westens war, Russland durch die Sanktionen wirtschaftlich zu schwächen, so hat das nur kurzzeitig funktioniert und auch nur, weil die russische Wirtschaft ohnehin auf eine Rezession zusteuerte. Jetzt zeigt sich, dass Russland offenbar finanziell den längeren Atem hat. Die Refinanzierungskosten des russischen Staates normalisieren sich wieder und auch die Devisenreserven bleiben einigermaßen stabil. Die stärkere Hinwendung zum asiatischen Markt mit über drei Milliarden Menschen könnte für Russland strategisch vorteilhafter sein, als der „Closed shop“ Europa. Der Analyst Chris Weafer, der bereits im März einen dauerhaften Erfolg der Sanktionen angezweifelt hatte, außer für die USA gegenüber ihrem Konkurrenten Europa, kommentierte die Entwicklung in Russland mit einem Mark-Twain-Zitat: »Der Bericht über meinen Tod war eine Übertreibung«.

Wer einmal draußen ist, bleibt draußen

Als Zeichen, dass Russland dennoch keinen kompletten Bruch mit Europa will, könnte die Entscheidung des Gasprom-Vorstandes vom letzten Freitag angesehen werden, seinen Anteil von 10,52 Prozent am deutschen Verbundnetz Gas (VNG) nun doch nicht abzustoßen. Und die Bank of America Merrill Lynch teilt in ihrem Bericht mit, dass sie ihre Prognose über die Gaslieferungen von Gazprom nach Europa um sieben Prozent, von 150 Mrd. m³ auf 160 Mrd. M³, erhöht hat.

Dagegen werden bei den europäischen, nicht zuletzt den deutschen Investoren die Zeit und die Luft knapp. Sie drohen, je länger die Sanktionen aufrecht erhalten werden, einen großen Teil jenes Marktes zu verlieren, von dem sie sich so viel erhofft hatten. Denn sie befürchten, dass wer einmal draußen ist, auch draußen bleibt. Wer also hat etwas davon? Den Schaden haben auf jeden Fall zuerst die Europäer, denn der Außenhandelsumsatz der EU mit Russland ist zehnmal größer als jener der USA. Andererseits äußerte die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini bereits Ende vergangenen Jahres Unbehagen über die Sanktionen gegen Russland: Während die EU Verluste zu verzeichnen habe, nehme der Handel zwischen den USA und Russland zu.

Ratingagenturen bleiben skeptisch

Die drei großen amerikanischen Ratingagenturen Standard & Poor’s, Moody´s und Fitch, die 95 Prozent des Weltmarktes beherrschen, beurteilen die wirtschaftliche Entwicklung in Russland allerdings weiterhin sehr skeptisch. So behält Standard & Poor’s (S&P), die größte der „Big Three“, laut einer Mitteilung vom Freitag ihre Bewertung der Kreditwürdigkeit Russslands mit BB+ bei, was bedeutet, dass alle Investitionen in das Land spekulativ sind. Bei einer Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation könnte es zu Ausfällen kommen, warnt die Agentur. Auch die Negativ-Prognose blieb unverändert. Damit könnte S&P die Ratings Russlands innerhalb der nächsten zwölf Monate absenken, wenn sich dessen Außenhandels- und Haushaltsreserven schneller erschöpfen als erwartet. Die Agentur begründet ihre Einschätzung mit dem anhaltenden Konflikt und den in diesem Zusammenhang bestehenden Sanktionen gegen Russland. Würden diese allerdings abgeschwächt, könnte das der russischen Wirtschaft einen gewissen Impuls geben. Für 2015 prognostiziert die Agentur einen Rückgang des russischen Bruttoinlandsprodukts um 2,6 Prozent, aber schon im kommenden Jahr könnte es ein Plus von 1,9 Prozent geben, 2017 einen Zuwachs von zwei Prozent, der sich 2018 aber wieder auf 1,2 Prozent abschwächt. Für dieses relativ geringe Wachstum machen die Analysten strukturelle Schwächen in der russischen Wirtschaft, aber auch die Wirkung der Sanktionen und die Schwächung des Rubels verantwortlich. Nach Ihrer Meinung wird das BIP Russlands pro Kopf der Bevölkerung in diesem Jahr 8400 Dollar betragen, gegenüber 14 500 Dollar im Jahre 2013. Die Inflation sieht man 2015 bei 15,5 Prozent, 2016 bei 6,4%, 2017 und 2018 bei sechs Prozent. Die Abschwächung der Kaufkraft der Bevölkerung im Ergebnis der Abwertung des Rubels und der steigenden Inflation wirkten sich ebenfalls nachteilig auf die Wachstumsperspektiven der russischen Wirtschaft aus, heißt es in der Pressemeldung. Allerdings sei man bereit, eine Hochstufung des Ratings auf „stabil“ zu prüfen, wenn sich die finanzielle Sicherheit und die Wirtschaftsperspektiven des Landes verbesserten.

Bereits im Februar sah Moody´s einen Anstieg des Default-Risikos in Russland und senkte das Rating der russischen Devisen-Staatsanleihen von Baa3, einem geringen Empfehlungsgrad für Anlagen, auf das Glücksritter-Niveau Ba1, ebenfalls mit negativer Perspektive.

Die russische Regierung will sich allerdings nicht weiter um die Bewertungen durch die Ratingagenturen scheren. Das erklärte der erste Vizepremier Oleg Schuwalow. „Wir arbeiten unter den Bedingungen, die wir haben“, sagte er. „Wird es schlechter, werden wir entsprechend handeln, wird es besser, ändern sich die Voraussetzungen“, gab er sich gelassen. „Ratings sind dafür Ratings, dass sie einmal besser, ein anderes Mal schlechter sind.“ Er machte deutlich, dass man die Absenkung der Ratings Russlands als Versuch betrachte, die russischen Unternehmen zu veranlassen, politischen Druck auf die Regierung auszuüben.

Dass es allerdings nicht ausreicht, bei den Ursachen für den derzeitigen wirtschaftlichen Schiefstand in Russland nur nach außen zu zeigen, geht, bei allen positiven Tendenzen, an der Wirklichkeit vorbei. Aber das ist schon ein anderes Thema.

Hartmut Hübner/russland.RU

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