Russische Experten analysieren Bidens erste Dekrete

Russische Experten analysieren Bidens erste Dekrete

Russische Politikwissenschaftler haben die ersten Maßnahmen des neuen US-Präsidenten Biden analysiert und Prognosen für mögliche Veränderungen in den russisch-amerikanischen Beziehungen gestellt.

Die fünfzehn am ersten Tag seiner Präsidentschaft verkündeten Anordnungen sind nach Auffassung aller Politologen in erster Linie als „Anti-Trump-Anordnungen“ zu bewerten.

Professor Stanislaw Tkachenko, meint, in jedem Fall scheine die erklärte Absicht Washingtons, Start-3 zu retten, ein positives Signal zu sein. Diese Entscheidung sollte jedoch im allgemeinen Kontext von Bidens „Anti-Trump-Entscheidungen betrachtet werden.“

Der Politikwissenschaftler und USA-Experte Dmitri Drobnitsky sagte, „die Hauptstoßrichtung von Bidens ersten Dekreten besteht in der Aufhebung von Trumps Erbe„. Seiner Meinung nach ziehen neben der Erneuerung der US-Mitgliedschaft im Klimaabkommen die Wirtschafts- und Migrationsdekrete des neuen Präsidenten die meiste Aufmerksamkeit auf sich.

„Bidens wichtigste Dekrete betreffen Energiefragen und die Unterstützung illegaler Einwanderer. Was die Hilfe für die Amerikaner selbst betrifft, so sind die Dinge noch nicht so gut wie es scheint“, sagte der Amerikanist und merkte an, dass die kurzfristige Politik der neuen Regierung nicht darin bestehen wird, versprochene Leistungen zu verteilen, sondern damit zu beginnen, rigoros eine neue Wählerschaft aufzubauen, um die Machtposition der Ein-Parteien-Demokraten für die nächsten fünfzehn bis zwanzig Jahre zu gewährleisten.

Laut Andrei Kortunow, Generaldirektor des russischen Rates für Auswärtige Angelegenheiten (Riac), sind für die neue US-Administration die wichtigsten innenpolitischen Herausforderungen der Umgang mit der Coronavirus-Pandemie und der Bewältigung ihrer Folgen. Dazu gehören eine ganze Reihe von Fragen im Zusammenhang mit wirtschaftlichen Lösungen, einschließlich der Subventionierung von Unternehmen, die Unterstützung der Bevölkerung, Impfungen.

Drobnitsky weist darauf hin, dass es diesbezüglich bereits erste Reibereien über das Gesetz zur Finanzierung der Corona-Maßnahmen gab. „Die linke Teil der Fraktion fordert, den Amerikanern nicht pauschal 1.400 Dollar zu zahlen, sondern fast 2.000 Dollar pro Monat, bis die Krise vorbei ist. Es ist schwer zu sagen, wie das Schicksal dieses Anti-Krisen-Gesetz, das zunächst von fast allen unterstützt wurde, aussehen wird“.

Kortunow glaubt, Biden werde versuchen, „die Prinzipien der Demokratischen Partei im sozialen Bereich umzusetzen. Es geht darum, die derzeitige sozioökonomische Polarisierung der Gesellschaft zu überwinden, die ärmsten Schichten zu unterstützen, die Steuerlast von den Armen auf die Reichen umzuverteilen und zu den Programmen von Barack Obama zurückzukehren, vor allem im Bereich der Gesundheitsversorgung und der sozialen Sicherheit“.

Unter den dringenden Richtungen der US-Außenpolitik hob Kortunow die Wiederherstellung des Vertrauens in den Beziehungen zu den US-Verbündeten, vor allem den europäischen, hervor, einschließlich der Rehabilitierung der USA in der Nato und in den Beziehungen zur Europäischen Union. Auch sei es wichtig, einen, wenn auch vorübergehenden, Kompromiss mit China zu erreichen, ist der Politikwissenschaftler überzeugt.

Ebenfalls sehr wichtig für die Biden-Administration sei die Verlängerung des Start 3-Vertrages mit Russland. „Allerdings sollten wir keine radikalen Veränderungen in den Beziehungen zu unserem Land erwarten“.

„Konsultationen und Verhandlungen im Bereich der Rüstungskontrolle sind möglich, ebenso wie positive Entwicklungen für Russland im Nahen Osten. Andererseits wird es jedoch auch zu einer Verschärfung der Rhetorik kommen. Tatsache ist, dass Biden kein Fan des russischen Präsidenten Wladimir Putin ist, und er wird vor Kritik nicht zurückschrecken“, prognostiziert Kortunow.

Was den Aufbau von Beziehungen zu externen Akteuren angeht, so gebe es bisher kein Budget für solche Bedürfnisse. „Aber es ist ganz offensichtlich, dass die Programme, im postsowjetischen Raum und in Osteuropa Druck auszuüben, zunehmen werden. Die Leute, die wissen, wie man in diesen Regionen Schaden anrichtet, sind jetzt wieder in die Verwaltung zurückgekehrt“, erklärt Drobnitsky.

Der Experte ist der Ansicht, dass für die weiteren Beziehungen zu Russland die Themen Vertrag über den Offenen Himmel oder Start-3 für die Biden-Administration von rein rhetorischer Bedeutung seien. Aber für den Teil der Politiker, der sich mit Russland im Alltag beschäftigt, werde an oberster Stelle stehen, mit der Opposition in Russland zusammen zu arbeiten und, besonders in den sozialen Medien, demokratische Ideen zu verbreiten. „Das wird bestimmt geschehen und ich denke, die nächsten zwei Jahre werden in dieser Hinsicht ziemlich hart sein.“

Kortunow stimmt mit dieser Sichtweise überein. Der neue US-Präsident werde „die Unterstützung für russische Gegner im postsowjetischen Raum erhöhen, in erster Linie sprechen wir über die Ukraine, möglicherweise Georgien und Moldawien, sowie die Unterstützung für die politische Opposition in Belarus. Die Gesamtpolitik wird jedoch konsistenter und berechenbarer als bisher sein.“

Drobnitsky nannte als die Hauptpriorität der neuen US-Regierung den „Aufbau eines kompakteren westlichen Blocks“. „Dies wird einer Art von Globalisierung mit sehr strengen Regeln ähneln, die nicht alle europäischen Länder einschließen wird“, prognostiziert der Politikwissenschaftler.

„Infolgedessen wird Biden in vier bis acht Jahren versuchen, innerhalb dieses Blocks die Übertragung der Macht von den nationalen Regierungen in die Hände eines Konglomerats von multinationalen Konzernen und supranationalen Bürokratien voranzutreiben. Dies besitze für den neuen Präsidenten oberste Priorität, und jeder, der dies verhindert, einschließlich Russland und China, wird als Terrorist hart bestraft werden“, schloss der Experte.

Professor Stanislaw Tkachenko, hält die Position der neuen US-Regierung nicht für originell. „Biden begann einfach damit, die völlig falsche Position des ehemaligen Präsidenten Trump zu korrigieren. Dies ist unter anderem der Grund für die Rückkehr der USA zu den Pariser Klimavereinbarungen und der Weltgesundheitsorganisation“. Auch eine Verlängerung von Start 3 werde tatsächlich geschehen. „Ich glaube, dass die nukleare Rüstungskontrolle für die nächsten fünf Jahre bestehen bleiben wird“, betonte Tkatschenko.

Alexei Leonkow, Herausgeber der Zeitschrift Arsenal des Vaterlandes, und Militärexperte hält die Erklärung der neuen Regierung für „sehr verlockend, er äußerte sich jedoch skeptisch, dass die Vereinbarung zu Start 3 in der verbleibenden Zeit noch erweitert werden kann. „Es sind noch zwei Wochen bis zum Auslaufen des Start 3-Vertrages – am 5. Februar wird er enden. Um ihn zu verlängern, brauchen wir Treffen von Arbeitskommissionen und die Ausarbeitung eines gemeinsamen Memorandums, das die Absicht der USA, den Vertrag ohne Vorbedingungen zu verlängern, bestätigen würde. Ich glaube nicht, dass es wirklich passieren wird“, so Leonkov. Im Übrigen sei der Start-Vertrag nur einer von drei Verträgen, der die internationale Sicherheit zusammen mit dem Vertrag über nukleare Mittelstreckenwaffen (INF-Vertrag) und dem Vertrag über den Offenen Himmel definiert. „Diese Verträge wurden von Donald Trump gekündigt, und die Biden-Administration sagt nichts über ihr künftiges Schicksal.“

Zusätzlich gebe es eine öffentliche Kollision: „Einerseits drücken die USA ihre Bereitschaft aus, den Vertrag zu verlängern, aber andererseits können die Bedingungen jederzeit geändert werden.“ In diesem Zusammenhang könnten die USA neue Forderungen an Russland stellen: das Verbot von Hyperschallwaffen, dem Interkontinental-Marschflugkörper Burevestnik oder Atomtorpedo Poseidon, zu denen die USA noch nichts Gleichwertiges haben.

„Darüber hinaus muss man wissen, dass der Start 3-Vertrag die Atomwaffenarsenale von Großbritannien und Frankreich nicht berücksichtigt. Jetzt stehen sie unter der einheitlichen Leitung von Amerika“.

Außerdem bleibe der chinesische Faktor im Kontext von Start 3 wichtig. Die Weigerung des neuen US-Präsidenten, Peking in den Start 3-Erneuerungsprozess einzubeziehen, bedeute nicht, dass das Thema der chinesischen Offensivwaffenkontrolle von der US-Agenda verschwunden ist, ist sich Tkachenko sicher.

„Aber Bidens Position zu China wird viel komplexer sein als die von Trump, der die Welt in Schwarz und Weiß sah. China ist für Amerika als Mitglied des globalen Wirtschaftssystems wichtig; ohne China werden die Amerikaner ärmer und verlieren an Einfluss. Deshalb werden um China herum Verteidigungszonen geschaffen, die militärische Komponente wird gestärkt, aber gleichzeitig wird Biden versuchen, das aktuelle Niveau der Handelsbeziehungen mit diesem Land aufrechtzuerhalten“, glaubt der Experte.

„Darüber hinaus ist wichtig, dass Russland sich weigert, China in der Frage der Teilnahme an Start zu drängen. In der Tat, warum sollten wir den Amerikanern zuliebe die Kastanien aus dem Feuer holen? Unsere Position, dass China ein souveränes Land ist, das selbst entscheiden wird, wie es auf den amerikanischen Vorschlag reagiert, hat sich nicht geändert“, erklärte Tkachenko und merkte an, dass es zu früh sei, China als gleichberechtigten Partner in solche Verhandlungen einzubeziehen, da es weniger Waffen als Russland und die USA habe.

Leonkow glaubt, dass die Erklärung der neuen US-Regierung, Start 3 auch ohne China zu verlängern, mit dem Wunsch der an die Macht gekommenen Demokraten zusammenhängen könnte, die Wirtschaftsbeziehungen mit China wiederherzustellen. „Generell sind Chinas Offensivwaffen schon jetzt kein Thema mehr für Amerika, denn die Demokraten haben immer mit China kooperiert und wollen nun vor allem die Handelskriege beenden, die Trump begonnen hat. Ein Grund dafür sind die Verluste der Gruppe US-China Business Council, zu deren Mitgliedern große multinationale US-Konzerne gehören“.

Für Russland seien diese Signale einer möglichen Versöhnung zwischen Washington und Peking gerade kein gutes Signal, so Leonkow. „Für die USA ist China also nicht mehr der Feind Nummer eins. Von den beiden Hauptfeinden Amerikas – China und Russland – ist jetzt nur noch Russland übrig, und ein paar weitere Staaten, die schon immer als terroristisch eingestuft wurden: zum Beispiel der Iran und Nordkorea.“

[hrsg/russland.NEWS]

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