Einstimmig haben Moskauer Duma und Föderationsrat gestern Wladimir Putins Antrag zugestimmt, russisches Militär auf dem Gebiet der Ukraine, präziser, auf der Krim, einsetzen zu dürfen.
Wörtlich wurde beschlossen und auf der Website des Kreml veröffentlicht:
„In Verbindung mit der außerordentlichen Situation, die sich in der Ukraine entwickelt hat, der Lebensgefahr für die Bürger der Russischen Föderation, unserer Landsleute und der Angehörigen der Einheiten der russischen Streitkräfte, die nach internationalem Recht auf dem ukrainischen Territorium (autonome Republik der Krim) eingesetzt sind, unterbreite ich hiermit dem Obersten Föderalen Sowjet (entsprechend der Verfassung …ke) den Vorschlag zum Einsatz bewaffneter Truppen Russlands auf dem Territorium der Ukraine bis die soziale und politische Situation in diesem Lande sich normalisiert hat.„ (www.kremlin.ru)
Wer jetzt Invasion, Besetzung oder gar Annexion ruft, hat den Text nicht richtig gelesen und auch die darauf folgenden Ereignisse nicht richtig verfolgt oder will es nicht: Nicht Eskalation der inneren Situation in der Ukraine zum Bürgerkrieg und nicht die Verschärfung der äußeren Konflikte zu einem Stellvertreterkrieg auf ukrainischem Boden ist Ziel dieses Beschlusses; er setzt im Gegenteil ein Signal der Deeskalation in der aufgeheizten ukrainischen Situation, die sich wie ein Lauffeuer zum Bürgerkriegs zwischen ukrainischen und russischen Nationalisten und dazu noch randständigen ungarischen, rumänischen, bulgarischen und weiteren Minderheiten auszuweiten droht.
Seit die neue Macht aus prowestlichen Neoliberalen, „Nationalrevolutionären“ und Kämpfern der offen faschistischen Rechten die Macht in der Ukraine an sich gerissen hat, frisst der Impuls des nationalistischen Furors sich in ständig sich wiederholenden fraktalen Wellen von der Landesebene in die Regionen, von den Regionen noch einmal in deren lokale Besonderheiten hinein. Er ist das Produkt der wahllosen Bündnispolitik der Oppositions-Troika Jazenjuk, Klitschko und Tiagnibog mit der offenen Rechten, das Produkt der Annullierung des Gesetzes, das sprachlichen Minderheiten das Recht auf eine zweite Amtssprache gab, wo die Bevölkerung einer Region zu mehr als 10% nicht Ukrainisch spricht, das Produkt der Annullierung des Verbotes faschistischer Propaganda, der Übergabe von entscheidenden Ministerposten (Sicherheit, Generalstaatsanwaltschaft, Agrarsektor, Bildung,) in der neuen Regierung an führende Gestalten des offen faschistischen „rechten Sektors“ . Wenn dieser Bewegung, von wem auch immer, nicht Einhalt geboten wird, droht sie das Land selbst zu zerreißen und auch zur Gefahr für seine Nachbarn zu werden.
Russland ist hier, anders als die Europäische Union, erst recht anders als die übrigen „global Player“, also, die weit von der Ukraine entfernte USA auf der einen und China auf der anderen Seite, durch seine enge geschichtliche, sprachliche und wirtschaftliche Beziehung zur Ukraine in unmittelbare Mitleidenschaft und Verantwortung gezogen. Das betrifft vor allem die russischsprachigen Regionen der Ukraine im Osten und im Süden, die durch die Annullierung des Sprachgesetzes in Aufruhr geraten sind. Das trifft in ganz besonderem Maße die Krim als, man könnte beinahe sagen, russische Enklave. Sie war 1954, als Chruschtschow sie aus einer Laune der Ukraine zuschlug, ein Sonderfall im Staatskörper der Ukrainischen Sowjetrepublik und blieb dies auch nach deren Unabhängigkeitserklärung 1991. Heute hat sie nicht nur den Status einer autonomen russischsprachigen Region, sie ist zugleich Heimat einer von ihrer Deportation unter Stalin traumatisierten tatarischen Minderheit. Zudem ist die Krim durch die Stationierung der Russischen Schwarzmeerflotte in Sewastopol politisch eng an Russland gebunden. Der Stationierungsvertrag zwischen Russland und der Ukraine gilt bis 2042. Unruhen zu unterbinden, die unter der gegenwärtigen Übergangsregierung entstehen, welche nicht durch allgemeine Wahl legitimiert, nicht durch internationale Vermittler in einem Kompromiss gefunden wurde, sondern unter Bruch dieses Kompromisses sich selbst ermächtigte, ist somit nicht nur Russlands Interesse, sondern auch dessen international anerkanntes vertragliches Recht.
Es geht in der Entschließung des russischen Föderationsrates, um auch dies noch anzufügen, ganz sicher nicht um eine Spaltung der Ukraine, weder um eine Abspaltung der Krim, noch um eine Spaltung des Landes entlang der ukrainisch-russischen Sprachgrenzen. Eine Spaltung der Ukraine, selbst eine Abspaltung der Krim, liegt nicht im russischen Interesse, genauso wenig, wie im Interesse der EU. Russland kann mit einer halbierten Ukraine, auch wenn im Russland zugeneigten östlichen Teil des Landes die Schwerindustrie konzentriert ist, nicht in Frieden leben, solange der ukrainische Nationalismus Anspruch auf die „nationale Revolution“ der ganzen Ukraine erhebt. Für die EU ist ein vom Osten abgespaltener Ukrainischer Westen als Partner – gleich ob innerhalb der EU-Grenzen oder als vorgeschobenes „assoziiertes“ Glacis außerhalb – uninteressant, mehr noch, es wäre eine weitere Belastung zu den bereits vorhandenen Nöten aus den letzten Erweiterungsrunden, insbesondere der letzten, Rumänien, Bulgarien. Interessant für das um die EU herum von ihren Erweiterungsstrategen in Aussicht genommene Szenario ist nur eine ungeteilte ganze Ukraine, deren natürliche Ressourcen mitsamt ihrer Industrie ausgeplündert werden können – und selbst die eine ganze Ukraine nicht etwa als Bestandteil der EU, sondern als assoziierter „cordon sanitaire“.
So verstanden, kann die russische Ankündigung einer Bereitschaft zum militärischen Eingreifen eher zur Beruhigung der jetzigen Eskalation beitragen, auch wenn der Informationskrieg in den nächsten Wochen vermutlich tsunamiartige Stärke annehmen wird. Real hat bereits die Ankündigung der bloßen Möglichkeit eines solchen russischen Einsatzes die Wirkung eines Stoppschildes und Wegweisers für die Entwicklung innerhalb der Ukraine und auch für die Politik der großen „player“. Dies einfach deshalb, weil niemand – außer den radikalisierten Nationalisten – ein Interesse an einer weiteren Verschärfung der Situation hat. Für die aktiven politischen Kräfte in der Ukraine liegt darin die Aufforderung, zurückzukehren, besser gesagt, voranzuschreiten zu einer Legitimierung der politischen Strukturen durch die Bevölkerung – also zunächst einen offenen, ruhigen und zivilen Ablauf des für März angesetzten Referendums auf der Krim zur Frage seines autonomen Status zu ermöglichen.
Am Beispiel der Krim kann sich im Zuge der tatsächlichen Rückkehr zur Verfassung von 2004 zugleich die notwendige Neugliederung der ukrainischen Staatsgliederung als föderale Kooperation selbstverwalteter Regionen herausbilden. Dazu gehört selbstverständlich die Wiederinkraftsetzung des annullierten Sprachengesetzes ebenso die der Wiederinkraftsetzung des Verbotes faschistischer Propaganda. Dazu gehört die Durchführung von Wahlen für ein neues Parlament und einen neuen Präsidenten, dies alles unter Aufsicht eines internationalen Gremiums, am Besten vermutlich der OECD als möglichem neutralen Rahmen, welcher der Ukraine ermöglicht, sich selbst neutral zwischen Russland und der EU, zwischen China und den USA zu entwickeln.
Dies alles kann so sein, wenn die russische Ankündigung als das verstanden wird, was sie ist: als ‚Njet‘ gegenüber nationalistischem Zündeln im ukrainischen Übergangsstaat und als Aufforderung stattdessen zur Entwicklung einer stabilen neuen Staatlichkeit aufzubrechen, welche die Strukturen der oligarchischen Privatherrschaft überwindet. Wenn jemand dazu Ratschläge und politische Hilfen geben kann, dann ist das Putin, der diesen Prozess ab 1999/2000 für Russland eingeleitet hat. Im Ergebnis wurden die Oligarchen in korporative Strukturen eingebunden; wer sich nicht einfügen wollte, wurde gezwungen. Dafür stehen die Namen Beresowski, Gussinski, Chodorkowski.
Andererseits ist klar, dass sich das Oligarchentum in der Ukraine fünfzehn Jahre länger in die Gesellschaft fressen konnte und sowieso die nächsten Wochen nur dann ohne Blutvergießen überstanden werden können, wenn aus der Möglichkeit eines russischen Truppeneinsatzes in der Ukraine keine repressive Realität werden muss. Dies hängt nicht zuletzt davon ab, ob die Drohung des Einsatzes ausreicht, den nationalistischen Furor zu bannen und die Rechten in die Schranken zu weisen. Wie schwer dies ist, wird deutlich wenn man liest, dass Dmitri Jarosch, Führer des Kampfverbandes „Rechter Sektor“, sich über die Website der Gruppe (VKontakte social network) an Russlands meistgesuchten Terroristen Doku Umarow gewandt hat, um ihn zu einem gemeinsamen Vorgehen gegen Russland aufzufordern. Jarosch erklärt, dass “viele Ukrainer mit Waffen in der Hand” die Tschetschenen in ihrem Kampf unterstützt hätten, aber nun sei es an der Zeit für Umarow, „seinen Kampf zu aktivieren“, um die „einmalige Chance wahrzunehmen Russland zu besiegen.“ Das sind unmißverständliche Worte.
Kai Ehlers
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