Rückt die umweltfreundliche Abfallentsorgung in Russland in den Hintergrund?

Rückt die umweltfreundliche Abfallentsorgung in Russland in den Hintergrund?

[von Anastasia Byrka] Vor knapp vier Monaten befasste sich die Korrespondentin von russland.NEWS mit dem Thema der Müllentsorgung in Russland. Seitdem war der Fokus jedoch viel mehr auf das Thema Pandemie gerichtet, als auf die Entsorgungssituation fester Haushaltsabfälle.

In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass die jetzt in Russland ergriffenen Bemühungen um die Einführung eines Systems zur getrennten Sammlung und Verarbeitung von Abfällen bisher keine nennenswerte Wirkung erzielt haben. Zu diesem Schluss kam, NEWS.ru zufolge, eine Expertengruppe, die im Auftrag des Allrussischen Zentrums für Meinungsforschung und des Internationalen Diskussionsclubs Waldai («Валдай») arbeitete.
Die Experten bewerteten die sogenannte Zukunftsbereitschaft der Länder in den Bereichen natürliche Ressourcen und Umwelt. In der Spalte Müllverarbeitung sind Großbritannien, Deutschland und Kanada auf den vordersten Plätzen aufgeführt. Russland hingegen ist noch fast ganz unten auf der Liste. Diese Situation erklärt der Chef des Allrussischen Zentrums für Meinungsforschung, Waleri Fjodorow, damit, dass Russland sich viel später als andere Länder mit diesem Problem zu befassen begann.

Nach Informationen des leitenden wissenschaftlichen Mitarbeiters des Zentrums für ökologische Industriepolitik, Lasar Schubow, gibt es folgende Gründe für die langsame Umsetzung der Abfallreform:
„Der erste ist der extreme Fachkräftemangel. Keine Universität im Land bereitet die Spezialisten in diesem Feld vor. Der zweite ist der fehlende politische Wille für eine zivilisierte Problemlösung. Und der dritte Grund ist das Fehlen eines wissenschaftlich begründeten Aktionsplans”, meint der Experte.
Trotzdem ist die Gesellschaft schon “reif“ genug, um die Notwendigkeit einer getrennten Müllsammlung zu verstehen. Vor allem technische Probleme werden nun gelöst.

Am 31. März sollte der Premierminister Russlands das Konzept für die Reform der erweiterten Verantwortung der Hersteller und Importeure (weiter im Text – die Reform) über die Organisation der Sammlung und Verarbeitung von Waren und Verpackungen genehmigen, die vom Ministerium für natürliche Ressourcen und Umwelt Russlands entwickelt wurde. Allerdings bat das Ministerkabinett am 23. März die Verabschiedung des Dokuments aufgrund der Pandemie und der wirtschaftlichen Situation im Land auf Ende 2021 zu verschieben.

Hoffen wir, dass dies zum Besten der Reform geschieht. Denn ein Problem der aktuellen Version der Reform besteht darin, dass hier das Sammeln von Geldern und weniger ein ausführlicher Plan zur umweltgerechten Entsorgung im Vordergrund steht. Zu diesem Schluss kam die Profikommission des Gemeinderats beim Ministerium für natürliche Ressourcen und Umwelt Russlands. Eine neue Dokumentvariante muss also her. Währenddessen sind Hersteller und Importeure seit Jahrzehnten dabei, Verpackungen zu sammeln und zu recyceln. Ihre Expertise ist dementsprechend groß, genauso wie ihre Erfolge.

Russland hat nicht so viel Zeit – die Umweltprobleme müssen schon jetzt gelöst werden. Die Reform versucht man deshalb zügig durchzuführen. 2014 wurden Bestimmungen in die Gesetzgebung aufgenommen, die ein System starten sollten, das nach europäischem Beispiel als erweiterte Verantwortung der Hersteller bezeichnet wird. Herstellern wurden vier Möglichkeiten zur Erfüllung der Verpflichtungen gegeben: Waren und Verpackungen selbst zu entsorgen und für diese Zwecke einen direkten Vertrag mit dem Recycler abzuschließen; einem Verein den Auftrag zu geben; eine Umweltgebühr zu bezahlen oder eine Kombination mehrerer der zuvor genannten Möglichkeiten auszuwählen.

Doch nach Ansicht der Behörden scheiterte die Abfallreform. In der überwiegenden Mehrheit der Wirtschaftssektoren werden nicht mehr als 10 Prozent der Verpackungen und Waren recycelt, die Höhe der Umweltgebühr für Hersteller ist etwa drei Milliarden Rubel pro Jahr. Und die Bevölkerung zahlt für den Umgang mit festen kommunalen Abfällen mehr als 180 Milliarden Rubel pro Jahr.

Von den vier möglichen Arten der Abfallentsorgung wird vorgeschlagen, zwei bleibenzulassen – die eigenständige Entsorgung und die Bezahlung der Umweltgebühr. Das ist jedenfalls die Meinung des Direktors der Abteilung für staatliche Politik und Regulierung im Abfallbereich beim Ministerium für natürliche Ressourcen und Umwelt Russlands, Andrej Petrischtschew.
„Für 2021 ist es geplant, die Recyclingquoten von Verpackungen auf 100 Prozent zu erhöhen. Für andere Produktgruppen soll dieses Ziel zwischen 2022 und 2024 erreicht werden”, fügt er hinzu.
Hersteller besitzen eher selten die Möglichkeit, Verpackungen und Waren einzusammeln und ordnungsgemäß zu entsorgen. Deshalb bleibt den Betrieben meist nichts anderes übrig, als sich in Vereinen zusammenzuschließen und gemeinsam die Sammlung und das Recycling von Verpackungen zu organisieren.

Quellen:

http://www.mnr.gov.ru/

https://eipc.center/

https://news.ru/

[Anastasia Byrka/russland.NEWS]

Fotos: Copyright (2019) russland.NEWS

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