Roskomnadzor: Knieschuss oder Triumph über das Internet?

Ob und wie Telegram den Sperrungsversuch überleben kann, das ist hier nicht die Frage. Roskomnadzor, der Zensor im russischen Netz, wird den Angriff nicht überleben, darum geht es hier. Zumindest Köpfe werden rollen, wenn der Bumerang aus Moskau sein originäres Ziel trifft. Das Netz wird die Behörde lächerlich machen.

In einem Editorial von Medusa heißt es, die Sperrung sei ein „Anschlag auf die Zukunft Russlands“. Mit der wütenden Kaskade von 18 Millionen IP- Blockaden verübte Roskomnadzor auch einen Anschlag auf sich selbst.

Der Blockadeversuch sei ein „Angriff auf das, worauf ein Land eigentlich stolz sein sollte“. Die Redaktion fragt süffisant „Wie viele russische Unternehmen haben im Ausland Erfolg erzielt, ohne einen Kopeke aus dem Staatshaushalt zu nehmen und ohne Bodenschätze zu verkaufen?“ Man wird fragen müssen, wie zum Teufel konnte sich eine renommierte russische Behörde derartig blamieren.

Statt Pawel Durow – „ein Held seiner Generation“ – zum Verbündeten im Kampf gegen Terrorplanung im Netz zu gewinnen, hat der russische Staat ihn zum Feind erklärt. Der FSB, das TaganskiGericht und Roskomnadzor haben plötzlich Millionen von Feinden. Und es werden jeden Tag mehr. Am Tag der offiziellen Sperrung abonnierten 270.000 weitere Nutzer in Russland Telegram.

„Die dramatische Internetaktion der russischen Behörden ist beispiellos“, schreibt die norwegische Zeitung Aftenposten. Moskau habe versucht „Kontrolle über das Internet zu erlangen.“ Wenn zutrifft, was Aftenposten schreibt, Roskomnadzor betrachte dies als den Moment der Wahrheit und eine Chance, seine Wirksamkeit zu zeigen – dann gute Nacht auf den Führungsetagen diverser russischer Behörden.

Die Maßnahmen „bestätigen die Inkompetenz russischer Beamter und erhöhen das Misstrauen gegenüber dem Staat“, urteilt Republic.  Das Handeln der Aufsichtsbehörde erinnere „eher an Vandalismus als an einen Versuch zur Lösung der Aufgabe“. Roskomnadzor habe im gesamten Runet Chaos gesät. Ohne über die Eigenschaften und die Genauigkeit ihrer Angriffe nachzudenken, griff die Behörde zu beispiellosen Maßnahmen. Die Redaktion von Wedomosti warnt vor „legalem Zynismus“. Durch die Verbotspolitik des Kremls werde „rechtswidriges Verhalten zur Norm“. Der digitale Widerstand erwacht wieder. War es das, was der Kreml mit seinem zum Scheitern verurteilten Plan wollte, der den Ruf der Agentur zur Strecke gebracht hat?

Hinter den Kremlmauern muss man das Disaster geahnt haben. Pressechef Dmitri Peskow gestand gestern gegenüber Reportern, „wir hoffen, dass der Messenger-Dienst die Bedingungen des Gerichts eines Tages erfüllen und zurückkehren wird.“ Dafür dürfte zu viel Porzellan zerschlagen sein.

In der Presse hat die „Schlacht um Telegram“ begonnen. Prominente Unterstützung bekam Durow gestern Edward Snowden, dem in Russland lebenden Whistleblower der NSA. Trotz unterschiedlicher Ansichten über das Sicherheitsmodell von Telegram, lobte er per Twitter Pawel Durow wegen der führungsstarken und moralischen Reaktion auf „die totalitäre Forderung der russischen Regierung nach dem Zugriff auf private Kommunikation“.

Durow, der bereits einschlägige Erfahrungen mit Kreml, FSB und Roskomnadzor hinter sich hat, gibt sich selbstsicher. „Er sei glücklich, Millionen von Dollar aus privater Tasche zu spenden, um Proxy- und VPN-Dienste zu unterstützen, die es erlauben, die Blockierung von Telegram zu umgehen“, frohlockte „Russlands Antwort auf Mark Zuckerberg“ über VKontakte.

Dank ihm gibt es Vkontakte – ein soziales Netzwerk, das nie dem Druck von Facebook erlag. Aber das ist eine andere Geschichte – noch anders als die, wie die Mullahs im Iran gegen Telegram vorgingen und vorgehen.

Telegram hat 15 Millionen Nutzer in Russland und 200 Millionen Nutzer weltweit.

[russland.NEWS]

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