Putin startet Gaskrieg mit dem Westen – oder nicht?

Mit reißerischen Überschriften begleiteten die Medien in Europa den Brief des russischen Präsidenten an 18 Regierungschefs europäischer Abnehmer russischen Gases.

Putin hat die Reaktion der USA auf seinen Brief an europäische Staats- und Regierungschefs als “merkwürdig” bezeichnet. „Es ist unanständig, fremde Briefe zu lesen“, sagte Putin eher scherzhaft am Freitag in einer Sitzung des russischen Sicherheitsrates.

„Der Brief wurde nicht an Washington geschrieben, sondern an die Verbraucher von (russischem) Gas in Europa. Alle wissen bereits, dass unsere amerikanischen Freunde (Gespräche) abhören. Aber heimliches Belauern ist ganz unanständig“, so Putin weiter.

Außenminister Sergej Lawrow teilte in der Sitzung mit, dass ein Sprecher des US-Außenministeriums nach der Brieflektüre gesagt hatte, Russland sollte das Gasgeschäft mit der Ukraine nicht politisieren und die Gaspreise nach marktwirtschaftlichem Prinzip festlegen. Dies sei eine Gas-Erpressung, hieß es in Washington.

Washington forderte die europäischen Staaten auf umgehend weitere Sanktionen gegen Russland zu verhängen.

Da nun viel über den Brief berichtet wurde teilweise nur Zitate aus dem Zusammenhang gerissen wurden, veröffentlicht russland.RU den kompletten Brief, obwohl man ja Briefe anderer Leute nicht lesen sollte.

Brief des russischen Präsidenten an 18 Regierungschefs europäischer Länder

Die Wirtschaft der Ukraine ist in den vergangenen Monaten zusammengebrochen. Ihre Industrie und die Baubranche sind ebenfalls abgestürzt. Das Haushaltsdefizit steigt. Die Situation ihrer Währung wird immer beklagenswerter. Die negative Währungsbilanz wird von einer Kapitalflucht aus dem Land begleitet. Der Niedergang der ukrainischen Wirtschaft führt zu Rückgang der Produktion und damit verbunden zu Arbeitslosigkeit.

Russland und die EU-Länder sind die Haupthandelspartner der Ukraine. Von dieser Tatsache ausgehend kamen wir auf dem Russland-EU-Gipfel überein, unter Beteiligung der Ukraine Beratungen im Interesse der Ukraine und unserer Länder zum Thema ukrainische Wirtschaft abzuhalten. Jedoch sind alle Versuche Russlands, mit substantiellen Verhandlungen zu beginnen, erfolglos gescheitert.

Statt der Beratungen hörten wir die Aufforderungen, den Preis für Erdgas, der angeblich politischer Natur sei, zu senken. Man bekommt den Eindruck, dass die europäischen Partner Russland für die Folgen der ukrainischen Wirtschaftskrise verantwortlich machen wollen.

Schon ab dem ersten Tag der ukrainischen Unabhängigkeit hat Russland die Stabilität der ukrainischen Wirtschaft durch die Versorgung mit Erdgas zu ermäßigten Preisen unterstützt. Im Januar 2009 wurde mit der damaligen Premierministerin Julia Timoschenko ein Kauf/Verkaufsvertrag zur Versorgung mit Erdgas für die Periode 2009 bis 2019 unterzeichnet. Dieser Vertrag hat Fragen bezüglich der Übergabe und Zahlung geregelt und es hat auch Garantien für einen ungestörten Transit durch das Territorium der Ukraine gegeben. Russland hat den Vertrag gemäß Buchstaben und Geist des Dokumentes erfüllt. Nebenbei bemerkt war der damalige ukrainische Minister für Brennstoff und Energie Juri Prodan, der heute einen ähnlichen Posten in der Kiewer Regierung einnimmt.

Die Gesamtmenge des in die Ukraine gelieferten Erdgases, wurde in diesem Vertrag für 2009-2014 (das erste Quartal) auf 147.2 Milliarden Kubikmeter festgesetzt. Hier würde ich gern betonen, dass der vertragliche Preis seit damals NICHT verändert wurde. Und die Ukraine hat bis August 2013 regelmäßig das Erdgas gemäß diesem Preis bezahlt.

Die Tatsache jedoch, dass Russland nach Unterzeichnung dieses Vertrags der Ukraine eine ganze Reihe von beispiellosen Vorzügen und Preisnachlässen auf dem Preis von Erdgas gewährt hat, ist eine ganz andere Sache. Das gilt für den Preisnachlass der Charkower 2010-Abmachung, der als Vorauszahlung für zukünftige Mietenzahlungen für die Anwesenheit der [russischen] Schwarzmeerflotte nach 2017 gegeben wurde. Das bezieht sich auch auf die Preisnachlässe für von den chemischen Gesellschaften der Ukraine gekauftes Erdgas. Das betrifft auch den Preisnachlass gewährt im Dezember 2013 für die Dauer von drei Monaten wegen der kritischen Situation der ukrainischen Wirtschaft. Seit 2009 beläuft sich die Gesamtsumme dieser Preisnachlässe auf 17 Milliarden US-Dollar. Dazu sollten wir weitere 18.4 Milliarden US-Dollar hinzufügen, die von der ukrainischen Seite als Geldstrafe für die nicht eingehaltene vertragliche Mindestabnahmemenge zu bezahlen war.

Auf diese Weise hat Russland während der letzten vier Jahre die Wirtschaft der Ukraine mit 35,4 Milliarden US-Dollar subventioniert. Außerdem hat Russland der Ukraine im Dezember 2013 ein Darlehen von 3 Milliarden US-Dollar gewährt. Diese sehr bedeutende Summe wurde zur Aufrechterhaltung der Stabilität und Kreditfähigkeit der ukrainischen Wirtschaft und zum Erhalt von Arbeitsplätzen geleistet. Kein anderes Land außer Russland hat solche Unterstützung zur Verfügung gestellt.

Wie steht’s mit den europäischen Partnern? Anstatt der Ukraine echte Unterstützung anzubieten, gibt es Absichtserklärungen. Es gibt nur Versprechungen, denen keine Taten folgen. Die EU benutzt die Wirtschaft der Ukraine als Quelle von unverarbeiteten Lebensmitteln, Metall- und Mineralbodenschätzen, und zur gleichen Zeit als Markt, um seine hoch verarbeiteten Konfektionswaren (Maschinentechnik und Chemikalien) zu verkaufen, und schafft dadurch ein Defizit in der Leistungsbilanz der Ukraine, das sich auf mehr als 10 Milliarden US-Dollar beläuft. Das sind fast zwei Drittel des gesamten Defizits der Ukraine von 2013.

Weitgehend ist die Krise der ukrainischen Wirtschaft durch den unausgeglichenen Handel mit den EU-Mitgliedstaaten beschleunigt worden und hat in der Folge einen starken negativen Einfluss auf die Möglichkeit der Ukraine, seine vertraglichen Verpflichtungen, von Russland geliefertes Gas zu bezahlen, zu erfüllen, gehabt. Gazprom will nichts als das, was im 2009-Vertrag festgesetzt ist, noch plant es, irgendwelche zusätzlichen Bedingungen zu stellen. Das betrifft auch den vertraglichen Preis für Erdgas, der in strenger Übereinstimmung mit der vereinbarten Formel berechnet wird. Jedoch kann Russland nicht und sollte es nicht die Last der Unterstützung der ukrainischen Wirtschaft allein tragen, indem es die Wirtschaft der Ukraine durch Preisnachlässe unterstützt, und damit in Wirklichkeit mit diesen Subventionen das Defizit der Ukraine in seinem Handel mit den EU-Mitgliedstaaten ausgleicht.

Die Schulden von NAK Naftogaz für geliefertes Gas sind in diesem Jahr monatlich gewachsen. Im November-Dezember 2013 belief sich sich diese Schuld auf 1.451,5 Milliarden US-Dollar; im Februar 2014 vergrößerte sie sich durch weiter 260.3 Millionen und im März um weitere 526.1 Millionen US-Dollar. Hier würde ich gern Ihre Aufmerksamkeit auf die Tatsache lenken, dass im März noch ein Rabatt wirksam war, d. h., 268.5 US-Dollar pro 1,000 Kubikmeter Gas. Und sogar zu diesem Preis hat die Ukraine keinen einzigen Dollar bezahlt.

Unter diesen Bedingungen, in Übereinstimmung mit den Artikeln 5.15, 5.8 und 5.3 des Vertrags, ist Gazprom gezwungen, auf Vorauszahlung umzuschalten, und im Falle der weiteren Nichteinhaltung der Zahlungsbedingungen, teilweise oder völlig die Belieferung einzustellen. Mit anderen Worten, es wird nur das Erdgas in die Ukraine geliefert, das einen Monat vor der Lieferung bezahlt wurde.

Zweifellos ist das die äußerste Maßnahme. Wir begreifen völlig, dass das die Gefahr vergrößert, dass Erdgas, das durch das Territorium der Ukraine geleitet und zu europäischen Verbrauchern geht abgezweigt wird. Wir begreifen auch, dass es für die Ukraine schwierig sein wird, sich mit genügend Gasreserven für die Herbst- und Winterperiode zu versorgen. Um gesicherten Transit zu gewährleisten, wird es in naher Zukunft notwendig sein, 11,5 Milliarden Kubikmeter Gas zu liefern, das in die unterirdischen Lager der Ukraine gepumpt wird, was ungefähr 5 Milliarden US-Dollar kosten wird.

Die Tatsache jedoch, dass sich unsere europäischen Partner von den gemeinsamen Anstrengungen, die ukrainische Krise zu lösen, einseitig zurückgezogen haben, und sogar keine Beratungen mit der russischen Seite führen wollen, lässt Russland keine Alternative.

Es kann nur einen Ausweg aus der entstandenen Situation geben. Wir glauben, dass es lebenswichtig ist, ohne Verzögerung Beratungen auf der Ebene der Ministern der Volkswirtschaft, Finanzen und Energie abzuhalten, um gemeinsame Handlungen auszuarbeiten, die die Wirtschaft der Ukraine stabilisieren und die Übergabe und den Transit von russischem Erdgas in Übereinstimmung mit den Richtlinien und im Vertrag abgesetzten Bedingungen zu sichern. Wir dürfen jetzt keine Zeit verlieren, konkrete Schritte zu koordinieren. Es ist zu diesem Ende, dass wir an unsere europäischen Partner appellieren. Wir appellieren an unsere europäischen Partner.

Fraglos ist Russland bereit, an der Anstrengung teilzunehmen, die Wirtschaft der Ukraine zu stabilisieren und wieder herzustellen. Jedoch, nicht auf einseitige Weise, sondern zu gleichen Bedingungen wie unsere europäische Partner. Es ist auch notwendig, die Investitionen, Beiträge und Ausgaben in Betracht zu ziehen, die Russland allein über eine lange Zeit im Unterstützen der Ukraine geschultert hat. Wie wir es sehen, würde nur solch eine Annäherung fair und ausgewogen sein, und nur solch eine Annäherung kann zum Erfolg führen.

Ende des Briefes

Gazprom kann die Ukraine nicht sanieren

Auf einer Sitzung des russischen Sicherheitsrates in Moskau erklärte Putin noch einmal nachdrücklich, dass Russland die gegenüber europäischen Partnern übernommenen Verpflichtungen zur Gasversorgung garantiert. „Moskau hat nicht die Absicht, den Gashahn für die Ukraine zuzudrehen, sieht sich aber gezwungen, von Kiew Vorauskasse zu verlangen“.

„Den seit 2009 gültigen Gasversorgungsvertrag mit der Ukraine hat niemand außer Kraft gesetzt. Laut Vertrag ist Gazprom berechtigt, von der Ukraine eine Anzahlung für künftige Gaslieferungen zu fordern. Und die russische Regierung hat das bereits empfohlen“, fuhr der Präsident fort. Das bedeute, dass die Ukraine im nächsten Monat Gas nur in der Menge erhalte, in der die ukrainische Seite dafür im Voraus für den nächsten Monat zahlen werde.

„Dieses Recht resultiert aus dem Gasvertrag. Ich bitte die Regierung und Gazprom, unsere Partner in Europa von diesen Vertragsbestimmungen in Kenntnis zu setzen.“

Ferner gab Putin zu bedenken, dass Gazprom eine Aktiengesellschaft ist, an der knapp die Hälfte der Anteile von Privatunternehmen oder Privatpersonen gehalten werde, darunter auch von ausländischen. „Selbst ein solches Unternehmen wie Gazprom ist nicht in der Lage, die gesamte Last der Subventionierung der ukrainischen Wirtschaft zu tragen… Das ist unmöglich. Darüber sollten sich alle klar werden… Das Problem liegt nicht an uns. Das Problem ist die Gewährleistung des (Gas-)Transits durch die Ukraine“, sagte der russische Präsident.

Das alte russland.RU Archiv über Russland im Gasstreit mit der Ukraine 2006-2010>>

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