[Von Kai Ehlers] „Sie werden keinen Einfluss auf die Politik haben. Punkt.“ antwortete Petro Poroschenko, ukrainischer Präsidentschaftskandidat, auf die Frage, wie er den Einfluss der Oligarchen in seinem Lande begrenzen wolle. „Das sind diese Leute, die politische Kräfte finanziert haben. Das wird es nicht mehr geben, weil es nicht mehr gesetzlich sein wird, Wenn sie versuchen, das Gesetz zu verletzten, werden sie nach dem Gesetz zur Verantwortung gezogen werden.“
Poroschenko, ukrainischer Süßwarenfabrikant, ist selbst einer der reichsten Oligarchen der Ukraine und gegenwärtig aussichtsreichster Präsidentschaftskandidat. Das Interview führte die FAZ mit ihm anlässlich seines Besuches bei Bundeskanzlerin Merkel in Berlin.
Dieser PunktUm-Antwort vorausgegangen waren Ausführungen Poroschenkos, im Falle seiner Wahl zum Präsidenten sei als Erstes „das zu tun, was im EU-Assoziierungsabkommen steht, ein Gesetzespaket gegen Korruption abzuschließen.“ Es werde in Zukunft keine „Schirme“ mehr geben, also keine Patronagen mehr, unter denen sich Korruption verstecken könne. Dazu sei natürlich „ein politischer Wille notwendig. Und bei wem muss man anfangen, wenn man ehrlich leben will? Bei sich selbst.“
Neue Gesetze würden dafür sorgen, dass in Zukunft die Herkunft von Wahlkampfmitteln öffentlich gemacht werde. Es werde Parlamentswahlen geben, bei der die Regeln einer transparenten Parteienfinanzierung gälten usw. Er selbst habe schon damit begonnen, freiwillig bei jeder Kopeke in seiner Wahlkampfkasse offen zu legen, woher sie komme. Er verstehe sich auch nicht als Oligarch, sondern als ehrlicher Geschäftsmann, der Arbeitsplätze in Unternehmen schaffe, die transparent nach neuen Methoden gelenkt würden und der deklariere, woher seine Einkünfte stammten. Im Unterschied zu den Oligarchen nutze er die Staatsmacht nicht für seine Unternehmen, im Gegenteil bringe seine politische Aktivität für seine Geschäfte „ernsthafte Probleme“ mit sich.
Das klingt entschlossen – lebensnäher jedenfalls als die öffentlichen Verlautbarungen der ebenfalls für die Präsidentenwahl kandidierenden Julia Timoschenko, ihre als „Gasprinzessin“ zusammengerafften Milliarden abgegeben zu haben und nur noch über die Gelder zu verfügen, die sie für die Gestaltung des täglichen Lebens brauche.
Wie auch immer, es sieht so aus, als wolle sich Poroschenko, der sich in dem Interview ausdrücklich als Westler und Pro-Kiewer outet, ausgerechnet den Russen Wladimir Putin zum Vorbild für seinen beabsichtigten Kampf gegen die Ukrainische Oligarchie nehmen.
Man wird sich erinnern: Putin trat nach dem schweren Zusammenbruch der russischen Wirtschaft 1998 mit den Worten an, eine „Diktatur des Gesetzes“ schaffen zu wollen, um so der Willkür der damals die russische Politik beherrschenden Oligarchen ein Ende zu setzen und den Staat zu stabilisieren.
Die russische Privatisierung der Jahre unter Jelzin hatte – nicht anders als in der Ukraine – zu einer Auflösung staatlicher und sozialer Strukturen geführt, in deren Zuge das Gemeinschaftsvermögen vollkommen in private Hand überging – soweit es Gewinne abzuwerfen versprach. Die nicht-effektiven Betriebe blieben den Betriebskollektiven überlassen, die damit mühsam ihre Grundexistenz aufrecht zu erhalten versuchten.
Die große Mehrheit der Oligarchen zahlten keine oder kaum Steuern, minimale, oft jahrelang überhaupt keine Löhne, sie entzogen sich der sozialen Verantwortung, die von der Produktion in der zuvor betriebszentriert strukturierten Gesellschaft entwickelt worden war; sie investierten nicht, sondern lebten vom Speck, der in der Sowjetzeit angelegt worden war. Kurz, sie zogen das Kapital aus den Betrieben und schickten es in den Spekulationshimmel. Eine emsige Scheinblüte in den Jahren 1996/97war der Effekt, dem jedoch keine reale Produktionsbasis entsprach.
Im Herbst 1998 platzte diese Spekulationsblase von einem Tag auf den anderen im sog. Russischen „Default“, Bankenkrach. Im Ergebnis machte sich die russische Führung von Krediten des IWF und Importen aus dem Ausland unabhängiger, orientierte auf die Entwicklung „vaterländischer“ Produktion, nahm den Kampf gegen die Kapitalflucht auf.
Politischer Ausdruck war der Übergang auf Jewgeni Primakow als Premierminister, der diese Politik mit harten Bandagen begann. Es kam zu schweren Auseinandersetzungen unter den Oligarchen, zwischen Oligarchen und Regionalfürsten, zwischen all diesen divergierenden Interessen und der Regierung, die zur Absetzung Primakows führten, der den Privilegien dieser Leute gefährlich wurde. Stattdessen installierte man den unbeschriebenen Wladimir Putin, damals „Mr. Nobody“ genannt, als Kompromisskandidat, von dem keine der Fraktionen glaubte sich bedroht fühlen zu müssen. Putin trat mit dem erdenklich einfachsten Programm an: Herstellung einer „Diktatur des Gesetzes“, um den Krieg der Oligarchen untereinander zu beenden und den Staat wieder aufzubauen. Diese Ziele verkündete er unprätentiös bei Gelegenheit seiner Vorstellung als nominierter Nachfolger Jelzins. Seine Wahl war nur noch eine demokratische Formsache, wurde aber eingehalten.
Man hatte ihn, d.h. die Möglichkeit, die sich aus seiner neutralen Position als „Nobody“ ergab, unterschätzt – Putin schaffte es, die Oligarchen auf dieses Programm im Namen der Rettung Russlands und der Bewahrung Russlands vor einer neuen Revolution zu verpflichten. Sie erklärten sich bereit wieder Steuern zu zahlen, wieder Löhne zu zahlen und wieder in begrenztem Maße in soziale Verpflichtungen einzusteigen. Wer sich nicht verpflichtete, sah sich angegriffen – Boris Beresowski, Wladimir Gussinski gingen ins Exil. Chodorkowski, Öl-Milliardär, der größte von ihnen, wurde stellvertretend für seine Zunft gerichtlich belangt und zur Gefängnis verurteilt. Dass dies ein politischer Prozess war, ist keine Frage – aber ungerecht war er nur in dem Sinne, dass genau solche Prozesse gegen die ganze Clique der Oligarchen hätten geführt werden können.
Im Ergebnis dieser Jahre ging die oligarchische Struktur des Kapitals – bei Beibehaltung der in der russischen Verfassung neu ausgesprochenen Garantie des Privateigentums – in eine korporative Struktur über, in der die Privateigentümer im weitesten Sinne einer sozialen Kontrolle, z.B. durch kollektive Entscheidungen in Aufsichtsräten unterliegen..
Kurz, die – wie man es bezeichnen könnte – zweite ursprüngliche Akkumulation des Kapitals, die aus der privaten Aneignung des real-sozialistischen Gemeinschaftsvermögens hervorging, wurde in absatzweise kontrollierte Bahnen überführt, die es der russischen Führung erlaubt haben, eine halbwegs geordnete Sozialpolitik zu entwickeln – und eine neue Revolution zu vermeiden. Gleich, wie man diesen Zustand bewerten will, hat sich Russland auf diese Weise seine Autarkie zurückerobert und die Basis für zukünftige Entwicklung geschaffen.
Genau diesen Schritt hat die Ukraine bis heute nicht geschafft: Dort herrscht bis heute die Willkür des oligarchischen Privatkapitalismus wie seinerzeit in Russland – nur um fünfzehn Jahre verschärft, in denen der Speck weiter verbraucht wurde. Die ausbeuterische Willkür durchdringt die ukrainische Gesellschaft in allen ihren Aspekten von oben bis unten: Die Maidan-Proteste sind Ausdruck dieser Situation. Es ist, um es klar auszusprechen, eine überreife revolutionäre Situation, in der sich der lang angestaute Unmut zu offener Gewaltbereitschaft verdichtet hat.
Ob es einem, vielleicht geläuterten Oligarchen wie Poroschenko gelingen kann, seine Mit-Oligarchen nach Putinschem Muster an die lange Leine zu legen, muss bezweifelt werden. Im Gegensatz zu Putin, vor dem als kleinem KGB-Funktionär und St. Petersburger Lokalpolitiker seinerzeit kein Oligarch glaubte sich fürchten zu müssen, ist Poroschenko im Krieg der Oligarchen, mit denen er es aufnehmen will, ein Hecht unter Hechten. Und zudem tritt er, wenn er es versucht, diesen Weg nicht an, nachdem sich sein Land, wie es seinerzeit Russland tat, von westlichen Krediten weitgehend befreite, sondern im Gegenteil in einer Situation , in der es in die Auflagen der mit EU, IWF und USA abgeschlossenen Knebel-Abkommen erst hineinläuft.
Kai Ehlers, www.kai-ehlers.de
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