[Dr. Christian Wipperfürth]
Im ärmsten Land Europa ist unter einer vorgeblich „pro-europäischen“ Regierung ein Milliardenbetrag in Höhe von etwa 20% der jährlichen Wirtschaftsleistung des Landes über lettische Banken im Nirgendwo verschwunden.
Es geht um 1,3 Mrd. US-Dollar. Wie konnte es Ende 2014 zu diesem Milliardendiebstahl kommen, der in der jüngsten Weltgeschichte vielleicht beispielslos ist? Und was ist im vergangenen Jahr geschehen?
2009 gewann die „Allianz für europäische Integration“ die Wahlen in Moldau und im gleichen Jahr initiierte die EU die „Östliche Partnerschaft“, mit der ehemalige Sowjetrepubliken an Brüssel herangeführt werden sollen. Die zweiseitige Kooperation gewann beträchtlich an Dynamik. Im Juni 2014 unterzeichneten die EU und Moldau ein Assoziierungsabkommen, das die Westausrichtung des zwischen der Ukraine und Rumänien gelegenen Landes weiter beschleunigen und bekräftigen soll. Noch im Herbst 2014 galt Moldau als Musterland der „Östlichen Partnerschaft“.
Die West-Orientierung war innerhalb des Landes jedoch umstritten. Das „pro-westliche“ bzw. das „pro-russische“ Lager waren über Jahre hinweg annähernd gleich stark und die emotionale Bindung an Russland, wo zudem hunderttausende Moldauer arbeiten, ausgeprägt.
Die vorgeblich „pro-europäische“ Regierung argumentierte darum mit Erfolg, der Westen möge sich hinsichtlich der Manipulation bei Wahlen oder ausbleibender Reformen mit Kritik zurückhalten, da Moldau ansonsten in den Orbit Moskaus gerate. Die „Allianz für europäische Integration“ konnte somit bspw. bei den Wahlen im November 2014 mit gezinkten Karten spielen, ohne westliche Gegenmaßnahmen fürchten zu müssen (s. Moldau, ein weiteres Land zwischen Ost und West ). Sie gab sich in den vergangenen zwölf Monaten auch keine Mühe, die Drahtzieher des Milliardendeals ausfindig zu machen. (Zum langjährigen westlich-russischen Ringen um Moldau s. )
Pirkka Tapiola, der Repräsentant der EU in Moldau kritisierte zwar: „Ich versteh nicht, wie man eine so große Summe in einem so kleinen Land stehlen kann.“ Die EU, die Weltbank und der IWF haben die finanziellen Zuwendungen an Moldau zudem in diesem Jahr teilweise ausgesetzt. Sie machten 2014 etwa 4,3% der Wirtschaftsleistung Moldaus aus. Das ist etwa das Dreifache des Prozentsatzes, den Deutschland für die Bundeswehr ausgibt …
Im September haben bis jetzt anhaltende Demonstrationen in Moldau gegen die untragbaren Zustände eingesetzt. Es handelt sich um die größte Protestwelle seit der Unabhängigkeit im Jahre 1991. Die Führung versuchte zunächst, sie auszusitzen. Dies war nach einigen Wochen nicht mehr möglich, sodass im Oktober Vlad Filat verhaftet wurde. Filat war zwischen 2009 und 2013 Premierminister, Oligarch und bis zu seiner Inhaftierung führende Figur der stärksten „pro-europäischen“ Partei. Die Führung versucht offensichtlich aber lediglich den Eindruck zu erwecken, gegen die Korruption vorzugehen. Der Staatsapparat ist zu einem Instrument der Selbstbereicherung von „pro-europäischen“ Oligarchen geworden, z.B. von Vlad Plahotniuc.
Die politischen Verantwortlichen in Moldau zeigen nicht die Absicht, den Milliardendeal aufzuklären. Der westliche Druck ist nicht stark genug, die westliche Presse berichtet eher vereinzelt. (Bspw. „Der Spiegel“)
Die Führung Moldaus bezeichnet die Proteste seit Monaten als von Moskau gesteuert, um die westliche Unterstützung nicht zu verlieren. Dies scheint nunmehr nicht mehr hinreichend, sodass die Führung nunmehr davon spricht, der Kreml plane in Moldau ein gewaltsames Szenario wie im Donbas. 13 angebliche Verschwörer wurden verhaftet.
Das sind Ablenkungsmanöver, ebenso wie die Spannungen, die Moldau seit kurzem um Transnistrien schürt. Die Führung eskaliert, um ihre Haut zu retten.
Umfragen sagen voraus, dass „pro-russische“ Parteien (die Anführungsstriche sind durchaus beabsichtigt) die nächsten Wahlen gewinnen werden. Einen Vorgeschmack darauf haben bereits die Kommunalwahlen im Juni 2015 gegeben, die zu einer schweren Niederlage der „pro-europäischen“ Kräfte geführt hatten.Einige Länder der Region werden sich nicht entwickeln können, wenn der Westen und Russland gegeneinander arbeiten. Ein Antagonismus lädt dazu ein, sich einen „pro-westlichen“ bzw. „pro-russischen“ Anstrich zu verleihen, um abschöpfen zu können und die Großen zu instrumentalisieren. Und nationalistische Süppchen zu kochen. Ich habe den Eindruck, dass genau dies auch in der Ukraine geschieht. (Zur Korruption in der Ukraine s.)
Quellen:
Karte Europas: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Europe_countries_map_local_lang_2.png; http://en.wikipedia.org/wiki/en:Creative_Commons; http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.en
Umfrage: http://www.gallup.com/poll/166538/former-soviet-countries-harm-breakup.aspx
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