Odessa: Oppositionelle Zeitung geschlossen – Chefredakteur verhaftet

Die oppositionelle Onlinezeitung Tajmer in Odessa, eine der verlässlichsten Quellen aus der Süd- und Ostukraine wurde vom ukrainischen Inlandsgeheimdienst geschlossen.

Technik beschlagnahmt – Chefredakteur verhaftet

Nach der Seite der Zeitung im Online-Netzwerk VKontakte wurden die gesamte technische Ausrüstung vom ukrainischen Inlandsgeheimdienst SBU beschlagnahmt und der Chefredakteur Juri Tkatschjow verhaftet. Die Durchsuchung der Redaktionräume begründeten die Behörden mit dem berüchtigten neuen Paragraphen 110 des Ukrainischen Strafgesetzbuchs, mit dem eine „Arbeit für die ostukrainischen Separatisten“ unter Strafe gestellt ist. Der Zeitung, die den Kontakt zu russischen Quellen und Verbindungsleuten eher gemieden hat, um so nicht in das Fadenkreuz der Ermittler zu kommen, wird eben eine solche „Zusammenarbeit mit Russland“ vorgeworfen. Die Homepage der Zeitung ist seit heute nicht mehr erreichbar. In den Sozialen Netzwerken ergoss sich sofort eine Welle der Sympathiebekundungen von Bewohnern der Stadt.

Glaubwürdige Quelle zu unliebsamen Informationen

Der Tajmer war eine der glaubwürdigsten Informationsquellen aus Odessa und – anders als die meisten anderen Quellen – nicht Teil eines der mit der Euromaidan-Regierung verbundenen Medienimperiums wie dem von Poroschenko selbst. Aber er war den neuen Machthabern in der Ukraine auch ein Dorn im Auge. So berichteten seine Reporter als Augenzeugen live von der Brandschatzung des Gewerkschaftshauses durch Regierungsanhänger am 2.5.2014, von der ungenügenden Strafverfolgung der Täter, vom unfreundlichen Empfang für Poroschenko in der Stadt vor einigen Wochen und von den antimaidanischen Sympathiebekundungen zehntausender Bürger am kürzlichen Siegestag, was von den regierungsnahen Medien tot geschwiegen wurde. Auch im Donbass verfügte die Zeitung auf beiden Seiten der Front über zahlreiche gut informierte Quellen und bot innerhalb der Ukraine die glaubwürdigste und ausgewogendste Berichterstattung, wobei sie jede Unterstützung der Rebellen vermied. Bereits am Jahrestag des Massakers im Gewerkschaftshaus der Stadt war die Zeitung Opfer eines Hackerangriffs geworden. Die Arbeit des Tajmer war sehr erfolgreich und einige seiner Videos über Vorgänge in Odessa gehörten zu den meistgeschauten Videos im Osteuropäischen YouTube überhaupt. russland.TV wird in Kürze zur Aktion gegen den Tajmer einen Filmbericht machen. Wir stehen dazu in direkter Verbindung zur dortigen Redaktion.

Kommentar: Das hässliche Gesicht des Euromaidan zur Meinungsfreiheit

Mit den Repressionen gegen unliebsame Oppositionelle zeigen die Euromaidan-Machthaber ihr hässliches Gesicht. Angetreten für eine Westöffnung, Demokratie, Menschenrechte und Meinungsfreiheit scheinen sie diese Werte nur denen zuzubilligen, die ihre eigene Meinung verbreiten, wodurch Unterschiede zu den stets kritisierten Autokraten anderswo in der Praxis kaum feststellbar sind. Bereits in den letzten Monaten hatten ungeklärte Todesfälle oppositioneller ukrainischer Politiker Schlagzeilen gemacht und deuteten auf eine härtere Gangart der Euromaidaner gegen ihre Kritiker im eigenen Land hin. Ob dies zu einer Ausschaltung oder eher Radikalisierung führt, muss sich noch zeigen. In den letzten Tagen gab es in Odessa bereits einen Bombenfund an einer Gasleitung und einen Anschlag auf das Eisenbahnsystem – wobei das nicht die ersten Taten radikalierter Oppositioneller waren. Unglaubwürdig wird durch dieses Verhalten auch die Kritik der ukrainischen Seite und des sie unterstützenden westlichen Establishments an den Einschränkungen der Pressefreiheit in Russland.

Roland Bathon, russland.RU; erreichbar sind vom Tajmer aktuell noch neben der oben verlinkten Seite bei VKontakte der YouTube-Channel sowie die Facebook-Seite, auf die die Behörden bisher offenbar keinen Zugriff haben.

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