[Prof. Alexander Rahr] Kurz nach Neujahr rieben sich viele Deutsche ungläubig die Augen – amerikanische Panzer rollen wieder gen Osten. Auf 900 Eisenbahnwaggons wurden Kampfpanzer und weiteres Militärgerät nach Polen und von dort an die Ostgrenze der NATO, verlagert. Rückt der Krieg mit Russland wieder ins Bewusstsein zurück?
Statt mit aller diplomatischen Vehemenz an der Verwirklichung der Minsker Abkommen bezüglich einer Stabilität in der Ostukraine zu arbeiten, sind die Konflikte zwischen Russland und dem Westen wieder aufgeflammt. Der scheidende US-Präsident Barack Obama will sein politisches Erbe retten. Der Friedensnobelpreisträger hat Angst, in die Geschichtsbücher als Verlierer einzugehen. Angela Merkel wird versuchen Obama mit aller Macht zu helfen, sein Image in den letzten Tagen noch aufzupolieren.
Die innenpolitische Problematik betrifft nur die Amerikaner selbst. Was hatte Obama außenpolitisch zu bieten? Die Liste der Verfehlungen ist bedenklich lang: (1) Scheitern des „arabischen Frühlings“, der eigentlich die große Demokratisierung der islamischen Welt bringen sollte. (2) Scheitern des Reset mit Russland. Die Hoffnungen auf den „liberalen“ Präsidenten Dmitri Medwedew erfüllten sich nicht. (3) Scheitern des TTIP mit der EU. Europäische Verbraucherverbände wehrten sich erfolgreich gegen die Einführung von US-Normen in der EU. (4) Scheitern der Nahost-Politik: im Syrien-Konflikt dirigiert nach Aleppo nun Russland die Friedensregelung. (5) Scheitern der finalen Befriedung Afghanistans. US-Truppen bleiben dort, trotz andersartiger Erklärungen, auch 15 Jahre nach Beginn des Anti-Terror-Krieges stationiert. (6) Scheitern der Westintegration der Ukraine. Die Korruption in diesem Land bleibt unbesiegt.
Vor allem geht es Obama aber darum, den Schandfleck des NSA-Abhörskandals gegen die eigenen westeuropäischen Verbündeten, der 2013/14 publik wurde, zu übertünchen – damit dieser Fall nicht irgendwann einmal als Totengräber für die transatlantischen Beziehungen in die Geschichte eingeht.
Natürlich fürchtet sich Obama auch vor den neuen Weltordnungsplänen seines Nachfolgers Donald Trump, der den Islamismus effektiver bekämpfen und einen geopolitischen Deal mit Moskau abschließen könnte. Obama stünde schlecht da. Der scheidende Präsident hat, mit dem Abladen der Gesamtschuld für seine politischen Verfehlungen auf Russland, eine Vertiefung des Bruchs mit Russland in Kauf genommen und es seinem Nachfolger sehr schwer gemacht, eine rasche Normalisierung der Beziehungen zu Russland zu verwirklichen.
In den internationalen Medien mag Obama es geschafft haben, durch die Akzentuierung der mutmaßlichen russischen Cyberattacke auf die Demokratische Partei im US-Wahlkampf, den NSA-Abhörskandal in den Schatten gestellt zu haben. Die Art und Weise, wie deutsche Sicherheitsbehörden ihren amerikanischen Partnern beim Kampf gegen Russlands Cyberspione zur Seite stehen, soll dokumentieren, dass für Merkel die unappetitliche NSA-Affäre der Vergangenheit angehört.
Daraus jedoch das Narrativ zu entwickeln, Russland habe Trump zur Präsidentenwahl verholfen und deshalb sei Trumps Präsidentschaft illegitim, wird dagegen nicht funktionieren und nur das liberale Establishment in Washington in den Augen der breiten Öffentlichkeit weiter diskreditieren. Die feindlichen Hackerangriffe haben Informationen weder manipuliert, noch gefälscht – sondern nur die unbequeme Wahrheit über die Praktiken der Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton an die Öffentlichkeit gebracht.
Hier den Überbringer der Nachricht, statt den Verursacher, mit Sanktionen und Gegen-Cyberattacken zu bestrafen, ist stillos. Der Versuch, ein weiteres Narrativ zu entwickeln, Russland habe Trump im Wahlkampf gegenüber Clinton bevorzugt, ist lachhaft. Im russischen Vorwahlkampf 2011 haben sich sowohl Obama als auch Merkel für Medwedew und gegen eine Wiederwahl Putins ausgesprochen. Außerdem mischen sich US und EU ständig in die Wahlkämpfe in anderen Staaten ein – in Ägypten, in der Ukraine und in Frankreich, wo demnächst ein Wahlsieg Marie Le Pens mit aller Kraft verhindert werden soll.
Die Eliten Amerikas und der EU fürchten offenbar den Einfluss- und Machtverlust. In der Tat wächst der Unmut über die Herrschenden in den westlichen Gesellschaften. Scheinbar existiert im Westen auch eine Furcht vor einem „alternativen“ Europa-Wertemodell Russlands, das für Euroskeptiker plötzlich attraktiv werden könnte. Dazu gesellt sich die Angst der Baltischen Staaten vor einem russischen „hybriden Krieg“. Obamas letzte außenpolitische Handlung: US-Kampfpanzer und Geschütze über Bremerhaven, Deutschland, Polen ins Baltikum schicken.
Dieser westlichen Verunsicherung mit einer wachsenden Konfrontation gegenüber Russland zu begegnen, wie es Obama in seinen letzten Tagen tut, ist kontraproduktiv. Vielmehr sollte der Dialog gewählt werden, dem sich Russland ja nicht entzieht. Leider hat die deutsche OSZE-Ratspräsidentschaft hier keine neuen Akzente setzen können. Auch der neu belebte NATO-Russland-Rat bleibt Makulatur. Die G7 tagt auch weiter ohne Russland.
Chancen für globale Verständigung bietet der G20 Gipfel, der mitten im deutschen Wahlkampf im Sommer in Hamburg abgehalten wird. Obama wird zu diesem Zeitpunkt schon endgültig Geschichte sein. Trump, ein neuer französischer Präsident, Putin, Merkel und Chinas Staatschef Xi Jinping müssten an der Alster den historischen Moment am Schopf packen und sich verständigen. Ansonsten könnte es zu spät sein.
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