Nowitschok und BND: Langsam wird es lächerlich

[Kommentar von Hans-Ulrich Berger] Die Süddeutsche Zeitung brachte es gestern um 17:00 Uhr, Die Zeit um 17:01, Sputnik um 17:09 Uhr und der Spiegel folgte mit gebührendem Abstand um 17:17 Uhr. Der BND habe Mitte der neunziger Jahre in einer Nacht- und Nebelaktion eine Probe des in Salisbury verwendeten Nervengifts Nowitschok aus Russland beschafft.

Sei es der geschickte Zeitpunkt der Veröffentlichung, sei es die der Nachricht folgende Fassungslosigkeit, es dauerte Stunden bis russische Medien wie Tass und RIA Novosti die Gunst der Stunde erkannten. Einmal mehr zerbröselt die britische Formel Nowitschok gleich Russland.

Nun, der investigative Medienverbund von SZ, DIE ZEIT, WDR und NDR feiert sich selbst als Profischnüffler im russischen Chemiesumpf. Leider entlarvt sich das als teutonische Profilneurose, wenn man bedenkt, dass amerikanische Chemiker das sowjetische Chemiewaffenprogramm bereits seit 1985 kennen. Der russische Whistleblower Vil S. Mirzajanow, der mehr als 25 Jahre im sowjetischen Chemiewaffenprogramm arbeitete, berichtete damals detailgenau von der Produktion und den Tests neuer toxikologischer Binärwaffen in Russland.

Sechs Jahre später, die Sowjetunion war gerade implodiert, begannen die usbekische Regierung und die USA, die Überbleibsel der sowjetischen Giftschmieden im usbekischen Nukus zu dekontaminieren. Mit 6 Millionen US-Dollar aus dem Pentagon-Programm Cooperative Threat Reduction räumten US-Spezialisten die verlassenen Labors auf und analysierten, was ihnen zuvor nie zugänglich war.

Der russische Chemieexperte Prof. Leo Rink, selbst an der Entwicklung binärer Kampfstoffe beteiligt, hatte bereits im September 1995 Kampfstoffe der Nowitschok-Gruppe an mutmaßliche Kriminelle weitergegeben – Ampullen mit Hunderten tödlicher Dosen für 1.500 bis 1.800 Dollar.

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