Nothilfe für Russlands Journalisten

Nothilfe für Russlands Journalisten

[von Anastasia Byrka, Foto von Lesja Poljakowa, Mitarbeit von Alina Lipp] Russische Medienschaffende stehen bei juristischen Problemen mit mächtigen Staats- oder Gesellschaftsvertretern nicht alleine da. Unterstützung ist hier auch dringend notwendig.

In der Rangliste der Pressefreiheit, die jährlich von der Nichtregierungsorganisation Reporter ohne Grenzen für 180 Länder erstellt wird, schaffte es Russland im Jahr 2018 lediglich auf den 148. Platz. In Bezug auf seine nationale Presse- und Informationsfreiheit hinkt das größte Land der Welt im internationalen Vergleich deutlich hinterher – nicht nur hinter den meisten europäischen, sondern auch einigen asiatischen Ländern, wie beispielsweise Pakistan oder Malaysia. Eine Besserung der Situation scheint sich mit Blick auf die letzten Jahre nicht wirklich abzuzeichnen. Dennoch haben russische Medienschaffende bei Bedarf die Möglichkeit, rechtlichen Beistand in Sachen Meinungsfreiheit zu bekommen.

Nothilfe durch Medienrechtszentrum in Woronesch

Im russischen Woronesch setzt sich seit 1996 ein Medienrechtszentrum für die Rechte von Redaktionen, einzelnen Journalisten, Bloggern und Fotografen ein.  Die örtliche Korrespondentin von Russland.news Anastasia Byrka sprach mit der Leiterin des Zentrums, Galina Arapowa, die 2011 als erste russische Medienjournalistin mit dem russischen Journalistenpreis „Für den Schutz der Interessen der Berufsgemeinschaft” ausgezeichnet wurde und 2016 zudem als erste russische Anwältin den Preis „Für den hervorragenden Beitrag als praktizierender Jurist zum Schutz der Menschenrechte“ der Internationalen Anwaltsvereinigung erhielt.

“Wir bieten Menschen aus unterschiedlichen Medienbereichen größtenteils eine kostenlose Rechtshilfe an. Nur, wenn die Klienten auf eine Bezahlung bestehen, akzeptieren wir diese als freiwillige Unterstützung unserer Arbeit. Mittlerweile haben wir uns von einer anfangs eher kleinen, regionalen Organisation zu einer russlandweit tätigen entwickelt. Leider muss ich feststellen, dass wir bis heute praktisch die Einzigen sind, die Journalisten, Fotografen und Bloggern juristische Hilfe gewähren,“ bemerkt Arapowa im Interview.

Tatsächlich steht das Zentrum für Medienrechte in Russland ziemlich allein da, ähnliche Nichtregierungsorganisationen existieren bislang nicht – auch nicht in der Hauptstadt Moskau. Glücklicherweise findet das Thema der Meinungsfreiheit unter Juristen und Nichtregierungsorganisationen zunehmend mehr Gehör, da der Bedarf an rechtlicher Beratung in diesem Bereich kontinuierlich steigt. Immer mehr Anwälte interessieren sich dafür, Journalisten rechtlich zu vertreten. Dieses Interesse gilt jedoch zumeist jenen Fällen mit großer medialer Resonanz, die ihnen die größtmögliche Aufmerksamkeit für ihre weiteren Anwaltskarrieren einbringt. Ausschließlich um die Hilfe für Journalisten kümmert sich fast niemand – mit Ausnahme des Medienrechtszentrums sowie der Stiftung zum Schutz der Öffentlichkeit, die sich der Überwachung verschrieben hat, ob behauptete Rechtsverstöße durch Medienschaffende Realität sind.

Mangel an juristische Experten

Galina Arapowa vom Medienrechtszentrum, das 2018 3880 Beratungen und 85 Gerichtsverfahren durchführte.

Dieser Mangel an juristischen Experten macht sich auch in Galina Arapowas Team bemerkbar. “Ehrlich gesagt fehlt es an helfenden Händen. Riesige Berge an Arbeit brechen ständig über uns zusammen! In unserem Land werden Juristen allerdings nicht im Medienrecht ausgebildet, ebenso wie über das Völkerrecht oder das Recht im Rahmen des Europäischen Gerichtshofs nicht ausreichend unterrichtet wird. Deswegen müssen wir Juristen „von Grund auf“ selbst ausbilden. Wenn wir uns für einen neuen guten Gleichgesinnten entschieden haben, bringen wir ihm alles bei, was man in unserem Feld wissen muss,” so die Leiterin des Medienrechtszentrums.

Auch wenn sich die wenigsten der aktuell im Zentrum beschäftigten Mitarbeiter vor ihrer Anstellung mit der häufig umstrittenen Meinungs- und Pressefreiheit in Russland auseinandergesetzt hatten, können sie heute von ihrer mehr als 20-jährigen Erfahrung profitieren. Ihren Kollegen aus den allgemeinen Rechtswissenschaften haben die Experten damit einiges voraus; binnen kürzester Zeit können sie mittlerweile jede Frage der Ratsuchenden beantworten.

Ohne zu übertreiben, lässt sich sagen, dass das Medienrechtszentrum eine „Nothilfe“ für Journalisten, Fotografen und Blogger in Russland darstellt: es verfolgt nicht nur eingehend ihre Aktivitäten und bietet bei Bedarf rechtliche und professionelle Hilfestellung, sondern verteidigt Medienschaffende sogar am Ende vor Gericht. Die Mitarbeiter stehen dabei voll hinter ihrer Arbeit und sind sich ihrer regelrechten Notwendigkeit wohl bewusst.

Aktuell sind im Medienrechtszentrum 16 Mitarbeiter beschäftigt, die bis zu 50 Beratungen pro Tag machen. Sieben davon haben eine juristische Ausbildung abgeschlossen, einer davon ist ein Mann – der Rest weiblich. In diesem Fall sind also Juristinnen die wahre „Schutzweste“ für russische Medienschaffende. Und was sie auf Sendung verschweigen, in Artikeln oder auf ihren persönlichen Facebook-Seiten lieber nicht schreiben, können sie Galina Arapowa und ihrem Team bei einer Tasse Tee erzählen.

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