Neues Altes vom Lexikus-Verlag – Russisches Leben – 5. Der Graf aus Nowgorod

Neues Altes vom Lexikus-Verlag – Russisches Leben – 5. Der Graf aus Nowgorod

Aus: Russisches Leben in geschichtlicher, kirchlicher, gesellschaftlicher und staatlicher Beziehung. Nebst Reisebildern aus Russland während des ersten Erscheinens der Cholera.

Autor: Simon, Johann Philipp (?-?),

Erscheinungsjahr: 1855

Themenbereiche Politik, Gesellschaft, Wirtschaft  Russland Enthaltene Themen: Russland, Russen, russische Geschichte, St. Petersburg, Reisebericht, Stadtbeschreibung,

Die Stunden, die mir nach der schweren Arbeit zu meiner Erholung übrig blieben, verlebte ich im Kreise einer höchst achtbaren Familie, die ein sehr eingezogenes Leben führte, und deren Namen ich nur mit Hochachtung nennen kann. Hier wurde ich geliebt, wie ich geliebt sein mag. Da in diesem Kreise nur deutsch, selten französisch und niemals russisch gesprochen wurde, so hatte ich auch hier keine Gelegenheit, von dieser schweren Sprache etwas zu erlernen. Den meisten in Russland lebenden Ausländern geht es eben so, zumal in St. Petersburg, obgleich viele von ihnen in solchen Beziehungen stehen, dass es einem unbegreiflich ist, wie ihnen diese Sprache, die sie täglich hören, förmlich fremd bleiben kann. Die russische Literatur enthält noch einen zu großen Mangel an Schätzen, als dass sie den ausländischen Gelehrten anzufeuern vermöchte, diese Sprache, deren Studium ihm nur äußerst wenig neue Ideen, Begriffe, Kenntnisse und Formen verschaffen kann, zu erlernen. Den Nichtgelehrten spricht sie in der Regel deshalb nicht an, weil sie unstreitig die schwerste aller lebenden europäischen Sprachen ist. Dazu kommt nun noch, dass die meisten, z. B. die Deutschen, Schweden, Franzosen und auch die Engländer in St. Petersburg zu viel Gelegenheit haben, ihre Muttersprache zu sprechen. Es ist etwas Gewöhnliches, das man hier hört: „Ich habe weder Zunge noch Ohr für das Russische!“ Und so leben die meisten Ausländer Jahre lang hier und können sich nicht einmal verständlich machen, wenn sie bei einem Russen etwas kaufen wollen. Eine Anekdote, die wir hier erzählen wollen, ist bezeichnend dafür. Die höchsten Polizeibeamten in Russland werden „Polizmeister“ genannt. In St. Petersburg, Moskau und Warschau hat man Ober-Polizmeister, denen das Prädikat „Exzellenz“ zukommt, weil sie in der Regel Generalmajor sind, und sich zur aktiven Armee zählen. Jeder russische General ohne Ausnahme, sowie auch alle Wirklichen Staatsräte werden mit „Exzellenz“ angeredet. In allen andern russischen Gouvernementsstädten, heißen die Polizeichefs schlechtweg: Polizmeister und stehen im Range eines Stabsoffiziers. Die russische Sprache enthält sehr viele rein deutsche und auch solche Wörter, die aus deutschen und französischen zusammengesetzt sind, z. B. Kammerlakai, Ordonnanzhaus, welches letztere im Russischen sehr drollig klingt, da der Russe unser h nicht aussprechen kann, indem er keinen Buchstaben in seinem Alphabet hat, mit welchem der deutsche Hauchlaut wiedergegeben werden könnte, er ersetzt ihn durch eins seiner beiden g, in der Aussprache unserm g ähnlich und spricht: ordonnanzgaus. Der Genitiv ist ordonnanzgausa, der Dativ ordonnanzgausu, der Akkusativ wie der Nominativ, der Instrumental, ordonnanzgaujom, und der Präpositional, o ordonnanzgausä! Auch einen Vokativ hat die russische Sprache, (swatelnij padeg,*) der, mit einigen Ausnahmen, dem Nominativ immer gleich ist. So dekliniert der Russe auch unsere Wörter: Schlafrock, Mundstück (dem er aber den Umlaut nicht gibt), Kutscher, Kammerdiener, Kammerherr, wo das h wieder durch g ersetzt wird, und hundert andere; bei diesen drei letzteren aber, welche lebende Wesen bezeichnen, ist der Akkusativ dem Genitiv gleich, während bei leblosen Dingen der Akkusativ dem Nominativ gleich ist.

*) Dieses g, in der Aussprache unterschieden von dem erstgenannten, kann der Franzose mit seinem g und der Engländer mit seinem sh reiner wieder geben, als wir Deutsche mit unsern Zeichen, denn unser g klingt anders und ich zu scharf. Doch wird ersteres in der Aussprache dem russischen g dann ähnlich, wenn es in einem Worte hinter dem r steht, z. B. in Sarg, Burg, wo es unsere besten Dichter auch mit ch reimen. Wir führen das für Leser hier an, welche russische Wörter, in denen dieses g vorkommt, besser aussprechen wollen, als es sonst zu geschehen pflegt. Z. B. Mugik (Bauer), Géna (Frau), Samodergez (Selbstherrscher), wo es wie ich und fast wie sich klingt. Alle Gattungsnamen werden im Russischen mit kleinen Anfangsbuchstaben geschrieben.

Solche Eigenheiten hat die russische Sprache. Die Anekdote ist folgende: Ein Ausländer wurde einmal zum St. Petersburger Ober-Polizeimeister gerufen; – zu ihm gekommen, redete ihn dieser in russischer Sprache an. „Ich spreche nicht russisch“, war die Antwort, „ich bitte Ew. Exzellenz gehorsamst, die Frage in deutscher Sprache zu wiederholen.“ – Sei es nun, dass dieser General nicht gut deutsch sprach, oder nicht deutsch sprechen wollte, genug, er fragte abermals in russischer Sprache, und da er wusste, dass der Ausländer sich schon seit vielen Jahren in Russland aufhielt, so bestand er darauf, ihn zu verstehen und ihm in russischer Sprache zu antworten. Allein vergebens; der Ausländer bat, man möge deutsch mit ihm sprechen. Endlich wurde ein Dolmetscher herbeigerufen, durch welchen er gefragt wurde, ob er sich denn nicht seit lange in Russland befände. – „Erst seit vierzig Jahren!“ antwortete der Deutsche phlegmatisch.

Quelle: http://www.lexikus.de/bibliothek/Russisches-Leben-5-Der-Graf-aus-Nowgorod

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