Neues Altes vom Lexikus-Verlag – Russisches Leben – 03. Die definitive Trennung der orientalischen Kirche von der Abendländischen und ihre Folgen, die sie haben kann

Neues Altes vom Lexikus-Verlag – Russisches Leben – 03. Die definitive Trennung der orientalischen Kirche von der Abendländischen und ihre Folgen, die sie haben kann

Aus: Russisches Leben in geschichtlicher, kirchlicher, gesellschaftlicher und staatlicher Beziehung. Nebst Reisebildern aus Russland während des ersten Erscheinens der Cholera.

Autor: Simon, Johann Philipp (?-?),

Erscheinungsjahr: 1855

Themenbereiche Politik, Gesellschaft, Wirtschaft  Russland Enthaltene Themen: Russland, Russen, russische Geschichte, Konstantinopel, Reisebericht, Freundschaft, Freund, Tod, Glauben, Religion, Christentum

Da wir es für interessant genug halten, dem Leser Folgendes vorzutragen, so sehen wir uns veranlasst, unsere Reise hier auf eine Stunde zu unterbrechen.

Schon vor einem Jahrtausend waren die Russen Herren einiger Gegenden der heutigen Ostseeprovinzen. Jaroslaw der Große, Sohn des heil. Wladimir gründete schon im Jahre 1030 die Stadt Dorpat, der er den Namen Jurjew gab. In späteren Jahrhunderten suchten sich abwechselnd die Dänen, Deutschen und Schweden in dieser Gegend zu behaupten. Der Dänenkönig Waldemar erbaute im dreizehnten Jahrhundert Reval, Narva, und gab zu der Stadt Wolmar, die von den deutschen Schwertrittern im Jahre 1283 erbaut wurde, seinen Namen, indem er hier einen Sieg über die heidnischen Liven erfochten hatte. Noch im Jahr 1323 hing Estland vom Könige von Dänemark ab. Aber 11 Jahre darauf verkaufte Waldemar III. diese Provinz dem deutschen Orden für 18.000 Mark. Späterhin kam sie an Schweden. Gustav Adolph gründete in Reval ein Gymnasium und zu Dorpat die Universität. In der Zeit der Reformation kam Lievland an die Krone Polens, die es aber schon im Jahre 1660 den Schweden abtreten musste, welche es behielten, bis Peter der Große es im Jahre 1721 Russland einverleibte.

Der russische Fürst Wladimir der Große, auch der Heilige und Apostelgleiche genannt (980–1015), von dem später noch die Rede sein wird, nahm mit der Hand einer griechischen Prinzessin auch zugleich das Christentum an und machte die christliche Religion zur Staatsreligion in Russland.

Schon zwei seiner fürstlichen Vorfahren, Oleg, sein Neffe und Igor, sein Sohn (879–912 und 918–945) waren bis vor Konstantinopel gedrungen, wo der erstere, zum Zeichen des russischen Sieges, einen Schild auf eins der Haupttore der Stadt nagelte, und erzwangen von den oströmischen Kaisern einen für sie eben so vorteilhaften, als für Byzanz schmählichen Frieden.

So mächtig und gefürchtet war Russland schon damals allen seinen Nachbarvölkern. Als diese nun hörten, dass der gewaltige Russenfürst Wladimir gesonnen sei, die hölzernen und steinern Götzen seines Volkes zu stürzen, um eine Religion anzunehmen, die den leibhaften Gott des Himmels und der Erde verehre, bemühten sie sich alle, ihn für ihre Religion zu gewinnen.

Daher schickten Griechen, Mohamedaner, Juden und Lateiner gelehrte, beredete Männer zu ihm, um ihn von den Wahrheiten ihrer Religion zu überzeugen. Die Schilderung des Paradieses der Mohamedaner, der duftig blühende Hurys wirkten mächtig auf die lebendige Einbildungskraft des genussliebenden Fürsten; aber das Verbot des Weines und Schweinefleisches dünkten ihm sehr töricht. Der Wein, sagte er, ist der Russen Lust, ohne Wein können wir nicht leben. Die Griechen trugen über alle Anderen den Sieg davon, denn Wladimir entschied sich für den griechischen Kultus. Dass Olga, die Heilige, seine Großmutter oder Großtante schon im Jahre 954 zu Konstantinopel die griechische Religion angenommen hatte, ohne dass ihr Sohn und Nachfolger, Swiätosslaw, Vater Wladimirs, sich dadurch veranlasst sah, ein Gleiches zu tun, mag wohl mit dazu beigetragen haben.

Damals war die definitive Trennung der orientalischen Kirche von der Abendländischen schon geschehen und so verfiel die russische Kirche dem Schisma der Griechischen, wählte sich aber die altslawonische Sprache zur Kirchensprache. Diese Wahl hatte indes für das Aufblühen der Wissenschaften in Russland in sofern keine guten Folgen, als die Geistlichkeit zur Ausübung des Kultus der griechischen Sprache nicht bedurfte und deshalb auch wenig Lust zeigte, sie zu erlernen. Und da die Abendländische Kirche ihr verhasst war, verschmähte sie auch die lateinische Sprache. Die altslawonische Sprache hatte zwar eine vortreffliche Übersetzung der heiligen Schriften durch Cyrill und Methodius, aber sie hatte keine Literatur.

Auf diese Weise blieb der russischen Geistlichkeit die Menge von Begriffen, welche die Griechen und Römer entdeckt und in ihrem Schrifttum niedergelegt hatten, fast ganz fremd. Merkwürdig ist es, dass die russischen Mönche und Gelehrten, vielleicht mit kleiner Ausnahme, auch noch heutzutage unter den Geistlichen und Gelehrten aller zivilisierten Völker, die schwächsten Griechen und Lateiner sind, trotzdem, dass man schon seit vielen Jahren in den Seminarien und auf Hochschulen anfing, jene beiden Sprachen mit Fleiß und Anstrengung zu studieren.

Quelle: http://www.lexikus.de/bibliothek/Russisches-Leben–03-Die-definitive-Trennung-der-orientalischen-Kirche-von-der-Abendlaendischen-und

COMMENTS