Neues Altes vom Lexikus-Verlag – Erinnerungen von einer Reise nach St. Petersburg im Jahr 1814. Band 1

Autor: Schlippenbach, Ulrich Freiherr von (1774-1826) deutsch-baltischer Dichter, Schriftsteller und Herausgeber in der Epoche der Romantik,

Erscheinungsjahr: 1816

Wenn du vielleicht in eben dem Augenblick, wo mein Brief dich erreicht, in deinem gastlichen Hause einen meiner Landsleute bewirtest, der, mit dem Lorbeer des Sieges geschmückt, aus Frankreich wiederkehrt, und er, im Gespräch mit dir, begeistert den Namen seines großen Kaisers nennt, von den Wundern seiner Hauptstadt spricht, und die Hoffnung, diese als Heimat wiederzusehen, in seinen freudigen Blicken schimmert: so wisse, dass auch dein entfernter Freund im Begriff ist, nach jener großen Residenz zu eilen, und dabei den Vorsatz nährt, diese seine Reise dir in Briefen mitzuteilen, die du deinem alten Rheine vorlesen kannst, damit er den Namen Alexanders und der Russen recht oft höre, und seiner Erretter nicht vergesse. Ich weiß zwar, dass ihr Deutschen, im Gefühl der erwachten Kraft neuer Nationalität, nur euch selbst den Dank der Rettung zuliedert und zusprecht; doch sagt redlich, wäre wohl ohne Russland, das im heiligsten höchsten Opfer seiner alten Zarenresidenz erst das Schicksal versöhnte, dann aber mit den gewaltigen Kräften seiner edlen Söhne drein schlug, sagt, wäre wohl eure Rettung möglich gewesen? und doch will bei euch der kleinste Staat ein Americus sein, der nach sich die neue Welt tauft, die er nicht entdeckte; und eure Politiker möchten das Schicksal der Welt so gern gleich dem Ei des Columbus drehen und wenden, und, was Russland wirklich tat, das Feststellen desselben, einem deutschen Heere zumessen, indes manche sogar geradezu schlecht genug sind, der Kälte den Sieg zuzuschreiben, welchen Mut und Vaterlandsliebe gewann, da wir hier es doch wohl am besten wissen, dass die Beresina nicht einmal zugefroren war, als Napoleon über sie floh; und so lange kein Strom starrt, wird doch wohl auch selbst ein französisches Heer nicht im Frost erstarren, da man sogar vermuten sollte, dass es, seiner Nationalität nach, dem Quecksilber gleichend, erst im stärksten Froste sich hämmern lasse.

Weil ich aber weder dich, noch so manchen andern deiner braven Landesbrüder, für so undankbar halte, so glaube ich, dass Alles, was Russlands großen Monarchen und sein Volk betrifft, dir und jedem redlichen Deutschen höchst interessant und willkommen sein müsse; daher hoffe ich auch, mein Jahrelanges Schweigen, als kein freies Wort euch nahen durfte, am besten durch wiederholtes Schreiben zu versöhnen, indem ich dir recht viel von Russlands Monarchen und seinem Volke sage.

Wie einst die Griechen aus dem verbrannten Ilion ihr Paladium nahmen, so erhielten auch die Deutschen das ihrer neuen Freiheit und Nationalität aus dem brennenden Moskwa, nur waren die Griechen dort Feinde, hier die Russen rettende Freunde, die das heilige Symbol zu den Deutschen hintrugen und weihten.

Quelle: http://www.lexikus.de/bibliothek/Erinnerungen-von-einer-Reise-nach-St-Petersburg-im-Jahr-1814-Band-1

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