Neues Altes vom Lexikus-Verlag – Des russischen Reichskanzlers Grafen Nesselrode Selbstbiographie

Autor: Nesselrode Karl Robert Graf von (1780-1862) russischer Diplomat, Außenminister und Kanzler, Erscheinungsjahr: 1866

Deutsch von Karl Klevesahl

Vorwort.

Als Graf Nesselrode im Jahre 1857 in den lang ersehnten Ruhestand trat und in der Muße, die ihm dadurch zu Teil geworden, die Aufforderung fand, seine an Erlebnissen so reiche Vergangenheit zu überblicken, fühlte er sich bewogen, für seine Angehörigen einen Abriss seines Lebens zu entwerfen. Er hatte hierbei nicht sowohl eine Schilderung, seiner Amtstätigkeit im Auge, als vielmehr eine Darstellung dessen, was er durchlebt, gesehen, gefühlt. Da die Biographie nicht für die Öffentlichkeit bestimmt war, so fand er sich in der Lage, sich in der Äußerung seiner empfangenen Eindrücke, wie seiner Meinungen über Personen und Begebenheiten frei ergehen zu können und nicht gezwungen zu sein, in Wort und Sache die Rücksicht auf Schönheit der Darstellung walten zu lassen, eine Rücksicht, der leider nur zu oft — wenn auch unwillkürlich und ohne Absicht — die Wahrheit zum Opfer gebracht wird. In Folge dessen ist es durchweg der Altvater, der der lauschenden Teilnahme der Seinigen seine Schicksale schlicht und prunklos und mit vertrauensvoller Offenheit erzählt und ihnen hierbei die großen Begebenheiten, an denen er ferneren oder nähern Anteil genommen, im übersichtlichen Zusammenhange vorführt. Leider überraschte der Tod den Verfasser (13./25. März 1862), ehe er noch seine Lebensbeschreibung zu Ende geführt, sie reicht nur bis zum Jahre 1814 und enthält auch nicht die erklärenden Beilagen, auf die er an mehreren Stellen verweist.

Aber selbst in dieser Gestalt hat die Selbstbiographie neben dem Interesse, das sie als solche gewährt, indem sie einen Einblick in des großen Staatsmannes Sinnes- und Gefühlsweise, die in Beschreibungen von fremder Hand nie so treu und deutlich zu Tage treten kann, eröffnet, auch noch den Wert, zur Berichtigung der Urteile über viele bedeutende Personen, wie zur Berichtigung und Vervollständigung einzelner Tatsachen und zur Enthüllung des inneren Zusammenhanges der Begebenheiten so manchen Beitrag zu liefern.

In dem hier vorgeführten Lebensabschnitt lassen sich drei Perioden wahrnehmen, die der Jugend und ersten Dienstjahre unter der Kaiserin Katharina und dem Kaiser Paul (1780—1801), die des Beginnes und der ersten Erfolge der diplomatischen Wirksamkeit (1801-1811) und endlich die Periode der Tätigkeit des Verfassers als Begleiter und diplomatischer Beirat des Kaisers Alexander in den entscheidungsreichen Jahren 1812—1814.

Der Umstand, dass vertrauliche Äußerungen ihrem Wesen nach Niemand verletzen können, bürgt dafür, dass die in dieser Lebensskizze vorkommenden ungünstigen Urteile nicht werden zu ungerechten Anklagen gegen den Verfasser wegen mangelnden Zartgefühls gemissbraucht werden, um so mehr, als derselbe von der liebenswürdigen Anspruchslosigkeit, die ihn im Leben auszeichnete, auch durchweg in diesen Blättern Zeugnis ablegt, fremdes Verdienst bereitwilligst anerkennt, Tadel mit Widerstreben und nur der Wahrheit zur Steuer ausspricht.

Das handschriftliche Original ist in französischer Sprache abgefasst und nicht herausgegeben. Ungefähr ein Drittel desselben ist von des Verfassers eigner Hand, der übrige Teil seiner Nichte, Frau von Muchanow, in die Feder diktiert. Auf Veranstaltung des jetzigen Oberhauptes der Familie, des Grafen Dmitri Nesselrode, erschien Ende vorigen Jahres eine russische Übersetzung der Biographie.

Hinsichtlich der Notizen, die der deutsche Übersetzer hinzugefügt hat, sieht er sich zu der Erklärung veranlasst, dass jede Notiz nur für denjenigen aus dem großen verschiedenartigen Leserkreise, den er der Schrift wünscht, bestimmt ist, dem sie eine störende augenblickliche Gedächtnis- oder Kenntnislücke ausfüllt.

St. Petersburg, Februar 1866.                                 Karl Klevesahl.

Quelle: http://www.lexikus.de/bibliothek/Des-russischen-Reichskanzlers-Grafen-Nesselrode-Selbstbiographie

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