Neues Altes vom Lexikus-Verlag – Das zaristische Russland. 02 Die Nihilisten

Neues Altes vom Lexikus-Verlag – Das zaristische Russland. 02 Die Nihilisten

Aus dem Russischen übersetzt von Alice Panin

Autor: Panin, Victor,

Erscheinungsjahr: 1921

Themenbereiche Politik, Gesellschaft, Wirtschaft  Russland  Religionen & Völker Enthaltene Themen: Russland, Russen, Landeskunde, Völkerkunde, Religion, Pfaffen, Unglaube, Glaube.

„Wie gottvoll”, sagte leise der alte Karoff, ein russischer Gutsbesitzer aus altehrwürdiger Familie.

Sein Freund, der berühmte russische Schriftsteller Turgenjeff, der ihm gegenübersaß, wandte ihm sein graues Haupt zu und nickte schweigend mit dem Kopfe, wobei er bloß mit seinen gutmütigen großen Augen lächelte.

Und wieder rauchten beide ruhig weiter; sie saßen allein auf der Veranda des altertümlichen Gutshauses.

Während des ganzen Morgens bis zum Mittag hatten sie Zeit gehabt, sich auszusprechen. Jetzt, nach dem Nachmittagstee, schwiegen sie, gleichsam ermüdet, auch war es so zauberhaft schön ringsum, dass unwillkürlich das Entzücken ihnen die Sprache benahm.

Es war Ende Mai. Fast alle Bäume waren schon verblüht, und der Boden unter ihnen war mit einer dichten Schicht abgefallener Blüten bedeckt . . . aber dieser reife Duft verwelkter Blüten wehte noch durch die Luft, und in mächtigem Strom berauschte er die Sinne, rief tausenderlei verworrene Wünsche im Blute wach.

Die Sonne war schon hinter dem fernen Horizont versunken, aber in gleißendem Golde glühte der Himmel, und es dünkte einen, als wäre die Sonne selbst geschmolzen und sie hätte sich in rosarotem Staube über das ganze Firmament verstreut . . .

In diesem rosafarbenen Meere öffneten sich nur stellenweise lange, grünliche Himmelsstreifen . . . es war so zauberisch, als hätte eine geniale Hand diese Farben phantastisch verwoben . . .

Die ganze Erde ringsum, die in der Ferne schweigend sich erhebenden Waldgruppen und das zwischen niedrigen Ufern d.ch inmitten der unendlichen Steppe ins Unbekannte schlängelnde Flussband waren auch mit rosarotem Schimmer bestäubt, als glühten Erde, Wald und der müde Fluss in der Steppe in der Widerspiegelung von innerem Feuer . . .

Aber so wehmütig ist es ringsum bei Sonnenuntergang . . . die letzten Küsse, welche die Sonne der Erde aufdrückt, sind so traurig . . . Vorgefühl nahenden, nächtlichen Dunkels umhüllt die Seele mit unbewusster Unruhe, und oft krampft sich einem das Herz in unbekannter nagender Wehmut zusammen. Diese Trauer in der Natur überträgt sich unwillkürlich auch auf die Menschen, eine so leise, mit Trauer durchwobene Stimmung durchdringt das Herz . . . Zum Denken hat man keine Lust, doch erstehen aus unbekannten Tiefen trauervolle Träumereien . . . sie erregen die Seele und schläfern sie ein . . .

In dem großen, mit uralten Bäumen bepflanzten und von breiten Alleen durchschnittenen Gutsgarten erschallte das melancholische Lied des im Garten beschäftigten Gärtners. Es war schwer zu verstehen, was er sang, vielleicht war es gar kein Lied, sondern eine spontane Improvisation, dem Abendgebet einer einfachen, innigen Seele gleich . . .

Aus der Feme ertönte das dünne Glockengeläute vom Kirchturme her, aber bald verklang es wieder . . .

Quelle: http://www.lexikus.de/bibliothek/Das-zaristische-Russland-02-Die-Nihilisten

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