Neue Feste – alte Traditionen

Am 08.Julli wird in Russland der Tag der Familie, der Liebe und der Treue gefeiert.

Seit dem Zerfall der Sowjetunion musste sich Russland neu erfinden. Unantastbare Heiligtümer wurden von heute auf morgen Makulatur. Aus der großen Oktoberrevolution wurde „der bolschewistische Putsch“, Lenin mutierte aus „unser alles“ zur „Wurzel aller Übel“. Auch die Feiertage aus der sozialistischen Vergangenheit wollten die Menschen nicht mehr feiern. Nur das Neujahrfest, der 8.März und der 09.Mai haben an ihrer Bedeutung nicht eingebüßt. Also mussten neue Feierlichkeiten her. „Der Tag der Oktoberrevolution“ am 07.November war z.B. der wichtigste offizielle Feiertag in der Sowjetunion. Im Jahre 1996 hat man versucht, ihn in den „Tag der Versöhnjung und Eintracht“ umzubenennen und mit neuen Inhalten zu füllen. Doch wenn die Bolschewiken das Zaren Russland zerstörten, wie konnte dann ausgerechnet am 07. November „die Versöhnung“ gedacht werden? „Tag der Einheit des Volkes“ wird jetzt am 04.November gefeiert. Anlass – am 4. November im Jahr 1612 wurde Moskaus von der polnischen Besatzung befreit. Ein neuer Nationalfeiertag ist auch der Tag Russlands, der erst seit 1992 gefeiert wird. Am 12.Juni 1990 nahm der erste Kongress der Volksdeputierten der RSFSR die Deklaration der staatlichen Unabhängigkeit Russlands an. Bis heute wird er von vielen Russen eher ironisch als „Unabhängigkeitstag“ genannt und hat keinen hohen Stellenwert.

Es ist eben nicht einfach, neue Feiertage zu erfinden. Vor allem, wenn sie mehr oder weniger von oben der Bevölkerung aufgezwungen werden. Und eine starke Konkurrenz aus dem Westen haben. Ob Helloween oder Valentinstag, vor allem bei den jungen Russen kommen neue westliche Trends gut an. Und da entstand in der Stadt Murom eine Idee: man wollte eine Alternative zum westlichen Valentinstag schaffen. Schließlich hat man ja auch seine eigenen Heiligen, die sich sehen lassen. Z.B. Pjotr und Fewronia, die eben aus Murom stammten. Ihre Geschichte liest sich wie ein spannender Liebesroman und übertrifft in ihrer Tragik Shakespeares „Romeo und Julia“. Dabei ist sie noch älter. Im Jahre 1547 hat ein Mönch „Die Geschichte von Pjotr und Fewronia von Murom“ aufgeschrieben, damit die Kirche dieses Ehepaar für heilig erklären konnte. Im 13. Jahrhundert lebte in der Stadt Murom ein Fürstensohn Pjotr. Er war an Lepra erkrankt und keiner konnte ihm helfen. Im Traum erblickte er eine Jungfrau, Tochter eines Imkers, die ihn von seinen Leiden befreien sollte. Das junge Mädchen hieß Fewronia. Und sie heilte ihn tatsächlich. Im Gegenzug versprach Pjotr, sie zu heiraten. Doch kaum genesen, wollte er von ihr nichts wissen und erkrankte prompt wieder. Fewronia heilte ihn zum zweiten Mal, und er nahm sie zur Frau. Doch als er nach dem Tod seines Vaters den Thron von Murom besteigen sollte, forderten die Bojahren ihn auf, seine Frau zu verstoßen, denn sie war für sie nicht vornehm genug. Der junge Fürst verzichtet auf die Krone, bestieg mit seiner Frau ein Boot und fuhr den Fluss Oka entlang, um an einem anderen Ort ein einfaches Leben zu führen. In Murom jedoch begannen Unruhen und Aufstände, die Bojaren berieten sich und baten den Pjotr zurückzukehren. Fewronia gewann in Murom das große Vertrauen und die Liebe des Volkes. Im Alter beschloss das Paar, das weltliche Leben zu entsagen. Unter dem Namen David wurde Pjotr Mönch, seine Gattin ging als Jefrosinija ins Kloster. Zuvor hatten sie sich in einer Kirche eine gemeinsame Grabstätte bereiten lassen. Sie beteten zu Gott, um am gleichen Tag sterben zu dürfen Als Fürst Pjotr fühlte, sein Ende sei gekommen, ließ er der Fewronia ausrichten: „Schwester Jefrossinija, ich bin schon nahe daran, meinen Geist aufzugeben, aber ich harre deiner“. Sie ließ dem seligen Pjotr ausrichten, sie werde gemeinsam mit ihm sterben. So geschah es auch. Doch obwohl sie vermacht haben, in einem Sarg beerdig zu werden, hat man ihrem Wunsch nicht entsprochen und in verschiedenen Klöstern beerdigt, denn ein Mönch und eine Nonne durften nicht gemeinsam bestattet werden Aber beide Male wurden ihre sterblichen Hüllen anderntags in der gemeinsamen Gruft in der Kathedrale aufgefunden. Und dort beließ man sie denn auch, da man nicht wider den Willen Gottes handeln wollte.

Das russische Parlament hat die Idee, den Tag von Pjort und Fewronija zu feiern mit Begeisterung unterstützt. Und so ist der 8. Juli, an dem das Paar gestorben ist, seit 2008 offizieller „Tag der Familie, der Liebe und der Treue“. Im gleichen Jahr wurden in einigen Städten Denkmäler für die Heiligen Pjotr und Fewronia errichtet. Der Pjotr und Fewronia Tag wird immer beliebter. Allein in Moskau gab es voriges Jahr mehr als 70 Veranstaltungen zu diesem Tag, von Konzerten bis zu Familienwettbewerben in den Parks. An diesem besonderen Tag heiraten junge Russen sehr gern. Und in vielen Städten werden Ehepaare die länger als 25 Jahre harmonisch zusammenleben mit der Medaille „Für Liebe und Treue“ ausgezeichnet – eine eher sowjetische Tradition zum christlichen Feiertag.

Daria Boll-Palievskaya/russland.RU

 

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