Nawalni – Pfropfen in der Gas-Pipeline?Hübner, Hartmut © russland.news

Nawalni – Pfropfen in der Gas-Pipeline?

[Hartmut Hübner] Cui bono? – Wem nützt es, fragte schon Cicero vor rund 2100 Jahren, als er einen jungen Römer verteidigte, der des Vatermordes angeklagt war, beschuldigt von einem Nachbarn, der auf diese Weise dessen Vermögen an sich brachte. Daran werde ich erinnert, wenn ich die Nachrichten und Meinungen zur Vergiftung des russischen Oppositionspolitikers Alexej Nawalni höre und lese. Demnach wird, abhängig von der jeweiligen Einstellung zu Russland, eine weitere Verschlechterung der deutsch-russischen Beziehungen gefordert oder befürchtet.

Es ist nun offensichtlich nachgewiesen, dass Nawalni mit dem chemischen Kampfstoff „Nowitschok“ vergiftet wurde. Dieses Mittel wurde Ende der 1980er Jahre in der Sowjetunion entwickelt. In den Wirren der ersten Jahre nach dem Zusammenbruch der UdSSR gelangte das Gift, wie die russischen Behörden bestätigen mussten, in alle Welt und wurde nachgewiesenermaßen in verschiedenen Ländern bei Straftaten eingesetzt. Somit gibt es mehrere Kandidaten, die zumindest die Möglichkeit zu diesem Attentat gehabt hätten. Stellt sich, wie bei einer gewöhnlichen Mordermittlung, die Frage nach dem Motiv.

Da wäre also zunächst Putin, den Politiker und Medien in Deutschland unisono als Drahtzieher verdächtigen. Hier scheinen die über Jahrzehnte gepflegten Vorurteile gegenüber Russland den gesunden Menschenverstand verklebt zu haben. Welchen Grund sollte man im Kreml an der Ausschaltung von Nawalni zu haben. Der Oppositionspolitiker ist in Russland bei Weitem nicht der Tribun einer Massenbewegung gegen Putin, wie er hierzulande gern dargestellt wird und stellt kein wirkliches Gegengewicht zum jetzigen Präsidenten dar. Zu dem kann man stehen, wo man will, aber er ist ein kühl rechnender Stratege mit einem, im Gegensatz zu seinem Amtskollegen in den USA, ausgeprägten Intellekt. Wie wahrscheinlich ist es also, dass er in der aktuellen politischen Situation mit den wachsenden Protesten in Belarus, den nach wie vor wirkenden Sanktionen des Westens, auch den gesundheitlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen der Covid-19-Pandemie nichts Besseres zu tun hat, als die, aus seiner Sicht, unbedeutende Figur Nawalni auszuschalten.

Dann wären da diejenigen, denen Nawalni aus mehr oder weniger persönlichen Gründen nicht passt. Davon gibt es eine Menge, aber die wenigsten haben Zugriff auf ein solches Nervengift. Höchstens Angehörigen des russischen Geheimdienstes. Wenn die Spur tatsächlich dorthin führt, wäre der oberste Dienstherr gut beraten, schnell für transparente Aufklärung zu sorgen.

Aber vielleicht führt die Spur von „Nowitschok“ nicht nach Osten, sondern in die Gegenrichtung? Wenn heute aus dem In- und Ausland neue Sanktionen gegen Russland, und vor allem die endgültige Einstellung des Baus der Erdgasleitung Nord Stream 2, gefordert werden, dann bekommt dieses Motiv die volle Punktzahl. Nachdem alle anderen Drohungen aus den USA vor allem gegen Deutschland das Pipeline-Projekt nicht stoppen konnten, musste nun das Attentat auf Nawalni als geeignetes Druckmittel herhalten. Gelänge es Trump mit einem solchen Verbrechen tatsächlich, den Fertigbau der Gasleitung zu verhindern, hätte er ein weiteres Versprechen erfüllt, nämlich den Export des teuren und umweltschädlichen Fracking-Gases nach Europa deutlich zu erhöhen. Allerdings spielen derartige Überlegungen, zumindest in der öffentlichen Darstellung, überhaupt keine Rolle…

Der römische Philosoph und Dramatiker Lucius Annaeus Seneca lässt in seiner Tragödie Medea sagen: „Cui prodest scelus, is fecit“ – „Wem das Verbrechen nützt, der hat es begangen.“

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