Nach Putins Rede: Der Aufschwung lässt sich Zeit

[Hartmut Hübner] Am Tag nach Putins Rede vor der Föderationsversammlung hält sich in der russischen Öffentlichkeit die Begeisterung in Grenzen.

Der Präsident versicherte, dass sich das Land auf dem Weg aus der nun schon über zwei Jahre währenden Krise befindet, das Wirtschaftswachstum in diesem Jahr wohl auf eine „schwarze Null“ zusteuere und die Inflation unter die bisherige Rekordmarke von 6,1% im Jahre 2011 fallen könne. Der Staat unterstütze mit zahlreichen Programmen die Entwicklung der Wirtschaft und auch den Wohnungsbau.

Diese Aussagen haben gegenwärtig allerdings wenig mit den Erfahrungen der meisten Russländer gemein. Deren Realeinkommen ist, einem Monitoring der Moskauer Wirtschaftshochschule zufolge, gegenüber dem vergangenen Jahr erneut um 5,9 Prozent gesunken, seit dem Ausbruch der Krise vor zwei Jahren sind es insgesamt 13,5%. Auch viele Unternehmen leiden, angesichts des Leitzinses der russländischen Zentralbank von derzeit 10% – immerhin sieben Prozent weniger als vor zwei Jahren – unter Finanzierungsproblemen. Die 12,5 Milliarden Rubel (ca. 190 Mio. Euro) an finanziellen Zuschüssen für kleine und mittlere Unternehmen sind da nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

So wundert es nicht, dass zuallererst die Beschäftigten die Leidtragenden sind. Allein im Oktober gerieten 23% der Familien durch ausbleibende Lohnzahlungen in finanzielle Schwierigkeiten. Den zunehmenden Kaufkraftverlust bekommt auch der Einzelhandel zu spüren. Dessen Umsätze gingen in den vergangenen zwei Jahren um etwa 15 Prozent zurück.

Der Generaldirektor der französischen Heimwerker-Supermarkt-Kette Leroy Merlin Russland, Vincent Gentil, schätzt die aktuelle Situation so ein: „Wenn man das zweite Quartal dieses Jahres mit dem ersten vergleicht, so ist das Vertrauen der Konsumenten ein wenig gewachsen. Aber wenn man diese Kennziffer mit anderen Jahren vergleicht, so liegt jetzt das Niveau des Vertrauens unter dem im Krisenjahr 2008.“

Unter der Krise leiden, wie überall alte Menschen und kinderreiche Familien. Zwar erhielten die Rentner in diesem Jahr eine einmalige Ausgleichszahlung von 5000 Rubel (ca. 70 Euro), aber dafür entfiel die bis dato übliche zweimal jährliche Rentenanpassung an die Inflation. Seit 2012 bleibt die Indexierung der Sozialzahlungen an Familien mit Kindern hinter der Inflation zurück, was die staatliche Unterstützung immer mehr entwertet.

Das von Putin bejubelte Rekord-Wohnungsbauvolumen im vergangenen Jahr wird durch die mangelnde Kaufkraft in der Bevölkerung nicht marktwirksam. Insgesamt wurden in den ersten acht Monaten dieses Jahres 42,8 Mio. m² übergeben  – das sind 5,8 % weniger als im selben Zeitraum 2015. Die Immobilienentwickler beklagten in einer Umfrage die teuren Hypotheken (40 % der Befragten), die niedrige Nachfrage (37,14 %) und teure Finanzierung (22, 86 %). Dabei sehen 57,14 % gerade die Subventionierung der Hypothekenzinsen als Unterstützung des Zweiges an. Hier versprach Putin gestern Verbesserungen. Hier bleibt ihm wohl nicht viel mehr übrig, als auf einen steigenden Ölpreis zu hoffen. Mit diesem Ziel hat Russland jetzt auch einer Reduzierung der Ölfördermenge zugestimmt, wie sie von den OPEC-Staaten vereinbart worden war.

Zusätzliche Einnahmen braucht das Land dringend, denn der Etat für 2017 lässt wenig Spielraum. So wird das Defizit von drei Milliarden Rubel im kommenden Jahr auf ähnlichem Niveau erwartet, die Sozialausgaben für Gesundheitswesen und Bildung werden um etwa zehn Prozent gekürzt.

Allein 800 Mrd. Rubel (11,5 Mrd. €) entfallen wie die „Nowaja Gazeta“ berichtet, auf den Posten „streng geheim“, der nicht einmal den Abgeordneten eröffnet wird, von dem aber jeder weiß, dass es direkte oder indirekte Ausgaben für die Verteidigung sind. Laut Finanzministerium sind ein großer Teil dieses Geldes vorfristige Rückzahlungen von Krediten für die staatlichen Rüstungsbetriebe, um diese schuldenfrei zu stellen und Zinsen zu sparen. Die gesamten Militärausgaben betrugen im vergangenen Jahr 4,2 Billionen Rubel oder 5,3% des BIP. Das ist mehr als in den USA (3,1%) und in den meisten europäischen Staaten (rund 2%). Die in den letzten Jahren immer aggressiver gewordene Politik des Westens gegenüber Russland hat einen großen Anteil an den steigenden Militärausgaben in Russland. Dennoch soll im kommenden Jahr der Wehretat auf 2,84 Billionen Rubel (40,5 Mrd. €) gekürzt werden.

Alles in allem bleibt abzuwarten, ob Russland im Jahr vor den Präsidentschaftswahlen tatsächlich den Weg aus der Krise findet. Vielleicht hat dann Wladimir Putin bei seinem nächsten Bericht an die Nation etwas Neues zu berichten.
(Hartmut Hübner/Russland.NEWS)

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