Nach Blatters Rücktritt: Fußball-WM in Russland in Gefahr?

Nach dem überraschenden Rücktritt des gerade erneut gewählten FIFA-Präsidenten Joseph Blatter fragt man sich in Russland, ob die Austragung der WM 2018 im eigenen Land in Gefahr sein könnte. Russische Fußballexperten sind der Meinung, dass dies so gut wie ausgeschlossen ist. Nüchtern betrachtet ist ihr Optimismus kaum nachzuvollziehen.

Vitali Mutko, der russische Sportminister, erklärte gegenüber der Zeitung „Sovsport“, die Gründe für Blatters Demarche seien der ungehörige Druck wegen des (bisher letzten) Korruptionsskandals und die tiefe Spaltung in den Reihen des Fußball-Weltverbandes. Russland habe Blatter bei der Wiederwahl unterstützt, weil es „unter diesen Bedingungen schwierig, wenn nicht unmöglich ist, den Präsidenten zu wechseln“.

Zur bevorstehenden Weltmeisterschaft sagte er: „Die WM 2018 ist im Prinzip nicht ein Projekt Russlands, das ist ein Produkt der FIFA. Russland hat ein Angebot gemacht, die FIFA war einverstanden. Es gibt keinerlei Bedrohungen, das ist das wichtigste Ereignis der FIFA und nicht die Entscheidung eines Einzelnen, sondern des Exekutiv-Ausschusses. Es gibt keinerlei Gefahr.“

„Ich hafte mit dem eigenen Kopf“

Wjatscheslaw Koloskow, Ehrenpräsident des Russischen Fußballverbandes RSF, sieht „keine objektiven Gründe“, Russland das WM-Austragungsrecht zu entziehen. Er war aktiv an der Bewerbung beteiligt und sagt, er würde „mit dem eigenen Kopf dafür haften“, dass bei der Wahl Russlands 2010 alles mit rechten Dingen zugegangen war. Deshalb gebe es auch keine Gefahr, die WM aberkannt zu bekommen.

Für Koloskow gibt es keine Zweifel, dass UEFA-Chef Michel Platini neuer FIFA-Präsident wird: „Ich fühle, dass Platini Russland unterstützt hat, und er wird keine Politiker an die Lösung reiner Fußballfragen heranlassen. Ich denke, er hat genug Autorität.“

„Repressive angelsächsische Maschine“

Für Andrej Tscherwitschenko, den Ex-Besitzer des FC Spartak Moskau, ist Blatters Rückzug ein Ausdruck der Stärke der „repressiven angelsächsischen Maschine“, und das sei schlecht für Russland. (Kommentar: England hatte fest mit dem Zuschlag für die WM 2018 gerechnet und versucht seit Jahren, mit allen Mitteln gegen Russland anzugehen. Was verletzte Eitelkeit so alles anrichten kann…)

Gut für Russland ist laut Tscherwitschenko die Tatsache, dass Blatter bis zur Wahl des neuen FIFA-Chefs im Amt bleibt: „Er wird praktisch bis 2016 bleiben, dann sind es bis zur WM nur noch anderthalb Jahre, und sie wird kaum verlegt werden.“

Der bekannte russische Fußballtrainer Valeri Gassajew ist der Meinung, es gebe „überhaupt keinen Grund“, sich um die WM Sorgen zu machen. Die UEFA habe bereits die Teilnahme aller Mitgliedsländer zugesagt. „Deshalb sollten wir uns in aller Ruhe vorbereiten und an nichts Böses denken.“

Purer Zweckoptimismus?

Soweit die Reaktion der russischen Fußballöffentlichkeit. Bei allem Optimismus stellt sich ja doch die Frage, ob alles so rosarot ist. Neben englischen „Eitelkeiten“ existieren nämlich viel größere Bedrohungen – der westliche politische und wirtschaftliche Druck auf Russland wegen der Krim und der Ukraine macht auch vor der Fußball-Weltmeisterschaft nicht halt.

Jetzt, wo die FIFA vor einer grundlegenden Erneuerung steht (es ist jedenfalls zu hoffen, dass eine solche versucht wird), werden auch die Stimmen immer lauter, die auf Aberkennung der Vergabe an Russland (und natürlich Katar) beharren. Wie es aussieht, stehen die wirklichen „Gefahren und Bedrohungen“ erst noch bevor.

[sb/russland.RU]

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