Moskauer Proteste: Mahnende Worte an Freund Putin

Moskauer Proteste: Mahnende Worte an Freund Putin

Am letzten Montag kommentierte der russische Präsident Wladimir Putin erstmals die Proteste in Moskau. Wie zu erwarten, verurteilte er die Demonstranten. Ein guter Freund Putins, Sergej Tschemesow (am selben Tag) und Alexej Kudrin (zwei Tage später), unterstützten unerwartet die Protestler.

Der Moskauer Bürgermeister Sergej Sobjanin hält die Massenunruhen für „im Voraus geplant und gut vorbereitet“. Sie „zwangen die Polizei Gewalt anzuwenden“, die er deswegen uneingeschränkt unterstützt. Duma-Sprecher Wjatscheslaw Wolodin, im Jahr 2016 nach seiner Wahl zum Parlamentssprecher „rücksichtsloser Pragmatiker“ und „bizarre Figur“ genannt, sieht „Mitarbeiter der Botschaften“ in Moskau am Werk. Kein Wunder, denn Wolodin betrieb die Verabschiedung des sogenannten „Agentengesetzes“ im Jahr 2012, beschnitt stets die Rechte auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit und baute die Befugnisse der Sicherheitsorgane, wie Wikipedia schreibt.

Was sich in China Politiker oder Unternehmer nie wagen würden – in Russland gibt es Widerspruch zur offiziellen Linie. Dass Rechnungshofchef Alexej Kudrin zu denen gehört, die sich nicht den Mund verbieten lassen, ist weitläufig bekannt. Er hält die „Anwendung von Gewalt für beispiellos“ und fordert eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Aktionen der Sicherheitskräfte bei den Kundgebungen. „Jeder sollte immer im Rechtsbereich bleiben.“

Er unterstütze den Appell des russischen Menschenrechtsrates, der das Innenministerium, den Untersuchungsausschusses und Rosguardia aufforderte, „die Informationen über den ungerechtfertigten und illegalen Einsatz von Sondermitteln und körperlicher Gewalt durch Strafverfolgungsbeamte gegen die Teilnehmer der Kundgebungen, die am 27., 3. und 10. Juli in der Hauptstadt stattfanden, zu überprüfen“. Der Rat habe fünf solcher Fälle ermittelt.

Dass einer der langjährigsten Freunde und Mitarbeiter Putins, Sergej Tschemesow, die Massenproteste in Moskau nicht mit äußerer Einflussnahme verband, sondern mit der in der Gesellschaft angesammelten Irritation, ist bemerkenswert. Der Generaldirektor der Staatsgesellschaft Rostec (früher Rostechnologii) mit 453.000 Beschäftigten äußerte sich in einem  Interview, das erst im September in voller Länge bei RBK erscheint, und aus dem vorab von RBK Teile veröffentlicht wurden, zur Situation rund um die Wahlen zur Moskauer Stadtduma und die Proteste in der Hauptstadt.

„Es ist offensichtlich, dass die Menschen sehr verärgert sind, und das ist für niemanden gut. Im Allgemeinen ist meine zivilgesellschaftliche Position wie folgt: Das Vorhandensein einer gesunden soliden Opposition ist zum Wohle eines jeden Gremiums, jeder repräsentativen Versammlung und letztendlich des Staates. Es muss eine alternative Kraft geben, die uns etwas vorschlägt und Signale in die eine oder andere Richtung gibt“, so der 67-Jährige zu seinem 66-jährigen Weggefährten.

Politologen halten Tschemesow, den Putin seit den 80er Jahren aus gemeinsamer Arbeit in der DDR in der Dresdner KGB-Residenz kennt, für ein Mitglied des engen Kreises um Putin. In den 90er Jahren arbeiteten sie zusammen in den Büros des Präsidenten und seit 2000 bei Rosoboronexport. Seit 2007 leitet Tschemesow Rostec, die die Entwicklung, Produktion und den Export von industriellen High-Tech-Erzeugnissen für den zivilen und den militärischen Bereich zu fördern soll. Der Umsatz von Rostec betrug 2017 etwa 17,5 Milliarden Euro.

Wenn dieser mächtige Lobbyist, dessen Vermögenswerte von der United Aircraft Company (UAC) über Russian Helicopters (Vertolety Rossii) bis hin zu Kamaz und einem Joint Venture in AvtoVAZ mit Renault reichen, in der Abwesenheit einer „vernünftigen Opposition“ die Gefahr einer Rückkehr in Zeiten der Stagnation sieht, dann muss er es ernst meinen.

Tschemesow gibt selten politische Erklärungen ab, und wenn er das macht, dann im Einklang mit der russischen Politik. Im letzten Jahr sagte er in einem Interview, dass „Sanktionen nur für amerikanische Unternehmen von Vorteil sind, die mit uns auf den Waffenmärkten konkurrieren“.

Der Politikwissenschaftler Aleksei Makarkin hält die widersprüchlichen Signale bekannter Vertreter aus Politik und Wirtschaft für logisch. Das sei eine Botschaft der Regierung – man müsse eine Auszeit nehmen und werde eine Position erarbeiten. Wie mit Demonstranten umzugehen ist, kann nicht allein Sache der Strafverfolgungsbehörden bleiben. „Wir brauchen politische Entscheidungen, aber es ist noch unklar, welche.“

Sich darum zu kümmern, mahnt Tschemesow Freund Putin.

Seit Mitte Juli protestiert die Opposition in der Hauptstadt gegen die die Zulassungsbeschränkungen zu den Wahlen der Moskauer Stadtduma. Während der ungenehmigten Proteste am 27. Juli und 3. August wurden jeweils mehr als tausend Personen (meist kurzfristig) inhaftiert.  Nach der Protestaktion leitete der Untersuchungsausschuss ein Strafverfahren wegen Massenunruhen ein. Die meisten Organisatoren der Kundgebungen waren vorher verhaftet worden, weil sie zu nicht erlaubten Aktionen aufgerufen hatten. Unter ihnen befanden sich Alexei Nawalny, Dmitri Gudkow, Ilja Jaschin und andere.

[hub/russland/NEWS]

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