Moskauer Oppositionsdemos: Pressekrieg als Nachgefechtbild © wietek 2019

Moskauer Oppositionsdemos: Pressekrieg als Nachgefecht

[Kommentar von Roland Bathon] Bevor die Proteste in Moskau am kommenden Wochenende wegen nicht zugelassener Kandidaten bei Kommunalwahlen weitergehen, ist unter der Woche erst einmal Zeit für deutsch-russische Presseschlachten. In vorderster Front beim Krieg der Worte – und nicht etwa beim Brückenbauen zwischen Deutschland und Russland oder gar beim Zusammenhänge begreifbar machen – liegen sich die verfeindeten Deutsche Welle Russisch und RT deutsch in Schützengräben gegenüber.

Dabei unterscheidet sich ihre Berichterstattung eigentlich gar nicht von dem Mainstream ihres Herkunftslandes und kopiert nur deren Einseitigkeit ins Gastland. Für die DW Russisch sind die Protestierer untadelige Helden gegen ein Unrechtsregime, für RT deutsch Unruhestifter, die nicht akzeptieren wollen, dass ihre Unterschriften-Fakes aufgedeckt wurden. DW lässt großzügig alles weg, wo eventuell Demonstranten schlecht wegkommen, unter denen es schon vor dem harten Zuschlagen der Ordnungsmacht auch offen provokantes Verhalten gab.

RT eliminiert dafür alles, was das gegenteilige Licht auf die Protestierer wirft, wie etwa die weitaus größere Anzahl der Teilnehmer auf der genehmigten Demo, die schon zeigt, dass es hier nicht um die Unzufriedenheit einzelner Berufsoppositioneller geht, sondern schon breiter Teile der Moskauer. Die DW unterschlägt tatsächlich Verstorbene auf den Unterschriftenlisten der Oppositionskandidaten – RT, dass einige der von den Behörden als Verstorbene bezeichneten noch quicklebendig sind. Beide Tatsachen werden aber von vielen, ausgewogeneren russischen Presseberichten belegt. Bei der DW wankt das System Putin, bei RT gibt es nur ein paar unwichtige Krawallmacher und die Wahrheit in der Mitte muss man sich zwischen den Zeilen heraussuchen.

Aufblasen der Deutschen Welle Russisch

Dafür fängt jetzt die Phase gegenseitiger Presseangriffe an. Denn beide erkennen natürlich die Einseitigkeit der existenten Berichte, sofern es um die der anderen geht und nicht um die eigenen. Sonst wird RT nicht müde, die übergroße Angst des deutschen Mainstreams vor der eigenen Einflussnahme auf die Meinung der Deutschen in Lächerliche zu ziehen. Nun stilisiert RT auf die gleiche Weise die russischsprachige Deutsche Welle zur Schaltzentrale der oppositionellen Bewegung in Moskau hoch. Als Beleg dafür dient ein einzelner Twitter-Post, in dem die DW zur Teilnahme an den Demos aufforderte.

Beim großen Feindbildaufbau im russischen Netz wird wohlweislich unterschlagen, dass die DW Russisch auch in liberalen russischen Kreisen und deren sozialen Netzen keine zentrale Stellung hat. Beispielsweise ist die Anzahl der Twitter-Follower von DW – verglichen mit den wirklichen Protestträgern unter den liberalen russischen Medien – gering: Etwa 10 Prozent derer der Onlinezeitung Meduza oder 5 Prozent derer des liberalen TV-Senders Doschd, der wiederum, verglichen mit den landesweiten und kremlnahen TV-Stationen, ein Zwerg ist. So lässt sich die DW bestenfalls als wohlwollendes Anhängsel der russischen Liberalen bezeichnen, aber wohl kaum als treibende Kraft oder gar als Schaltzentrale. Denn auch von vielen Liberalen aus Russland wird solchen Auslandssendern mit gesundem Misstrauen begegnet, denn die ganz anderen Interessen eines solchen Regierungsmediums als die von eigenen liberalen Zeitungen ist ebenso vielen bewusst, wie der Staatsauftrag von RT deutsch unter deutschen Oppositionellen, die dem Westen nicht per se blauäugig begegnen.

Untermalung für haltlose Theorien

Derartige Details unterschlägt RT und füttert damit – vorsätzlich oder grob fahrlässig – Verschwörungstheorien in der prorussischen Szene Mitteleuropas, wonach die Protestierer ferngesteuerte Roboter des Westens seien. Denn der RT deutsch-Leser weiß in der Regel nichts von der geringen Bedeutung der Berichterstattung der Deutschen Welle in Russland und bekommt brühwarm serviert, die DW koche einen neuen Maidan. Er glaubt dann Bloggern wie Thomas Röper aus Sankt Petersburg, der auf seiner Homepage verkündet, der Westen stecke hinter den oppositionellen Demos. Als Beleg hierfür nennt er beispielsweise, dass die vom Westen finanzierte Organisation OVD die westlichen Medien mit Nachrichten beliefert. Dabei vergisst er aber, dass die russischen Demonstrationsteilnehmer ihre Nachrichten eben gerade nicht von dieser Quelle bezogen, sondern aus ihren eigenen, russischen Medien und Social-Media-Kanälen.

Auch der von Röper viel zitierte US-Botschafter, der die Proteste wohlwollend bei Twitter begleitete, spielte bei deren Koordination bei weiten nicht die Rolle, wie es der Blogger glauben machen will und  – Hunderte Kilometer entfernt von den Moskauer Demos – seine Stellung als scheinbar informierte Quelle in Russland selbst ausnutzt. Röpers gewagte Thesen fallen aber bei russlandfreundlich gesinnten Lesern auf fruchtbaren Boden, den RT und Sputnik bereitet haben, indem sie selbst die Deutsche Welle und andere „Westmedien“ (Originalbezeichnung von RT, nicht der Aktuellen Kamera) von freudigen Anhängseln zu treibenden Kräften der Oppositionsbewegung umlackieren.

Tatsächliche Zusammenhänge fallen unter den Tisch

Dabei ist die sachliche Erklärung für die Oppositionsdemos sehr viel einfacher. Eine in den russischen Metropolen gestiegene oppositionelle Stimmung, ein Misstrauen gegenüber den Herrschenden, das manch einem Mitteleuropäer gar nicht so unbekannt vorkommen dürfte. Eine verkrustete Nomenklatur, die Unterschriften von oppositionellen Wahlkandidaten mit Sicherheit nicht wohlwollend prüft, und eine ihr gegenüberstehende kritische Jugend, die wiederum dieser Prüfung schon von vornherein misstraut.

Probleme der Opposition, Leute zu finden, die ohne Angst vor der Nomenklatur für ihre Kandidaten unterschreiben und damit sichtbar hinter ihnen stehen, sind Realität. Es ist etwas anderes, als nur heimlich in der Wahlkabine zu opponieren, was inzwischen in Moskau mehr tun und nicht nur Deutsche-Welle-Hörer. Eine Situation, die natürlich bei Aktivisten, die nicht alle heilig sind, den Drang zu nicht ganz sauberen Methoden der Steigerung von Unterschriftenzahlen führen könnte. Für all das braucht es keinen von außen initiierten Maidan, keine Helden oder Teufel auf den Straßen, ja es braucht nicht einmal Putin als Feindbild oder Lichtgestalt. Das Problem liegt viel tiefer in Gräben der russischen Gesellschaft verborgen.

Wer reagiert nun auf diese Gräben besser? Die Deutsche Welle, die versucht, sie zu vertiefen und Öl ins Feuer zu gießen oder RT deutsch, das so tut, als würde es diese Gräben gar nicht geben? Eigentlich keiner von beiden. Möge Russland unabhängig von beiden seinen eigenen Weg finden – und der deutschsprachige Leser von Russlandnachrichten die Wahrheit hinter einseitigen Phrasen.

 

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