Marihuana gegen MenschenrechteTitiew, Oyub bild © nils_schmid

Marihuana gegen Menschenrechte

Vor dem Regionalgericht Grosny findet derzeit ein Prozess gegen den Leiter des tschetschenischen Büros der internationalen Menschenrechtsorganisation Memorial, Oyub Titiew, statt. Der außenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag, Dr. Nils Schmid, war vor Ort und schilderte Russland.NEWS seine Eindrücke.

„Der Verfahrensort liegt etwas außerhalb von Grosny, aber das Interesse ist trotzdem recht groß. Es waren viele Familienangehörige Freunde und Kollegen dabei, auch Mitglieder von Menschenrechtsorganisationen und Pressevertreter.“

Angeklagt ist Titiew offiziell wegen Drogenbesitzes in nicht geringer Menge, etwa 140 Gramm. Der Menschenrechtler beteuert, dass ihm das Marihuana untergeschoben wurde. „Als ich am Prozess teilnahm“, berichtet der Abgeordnete, „traten die Entlastungszeugen auf – Mitglieder der Familie, Nachbarn Bekannte. Sie alle bestätigten, dass der Angeklagte als aufrechter Moslem einen soliden Lebenswandel führte, nicht trinkt und erst recht keine Drogen nimmt. Zwei Mitstreiter von Menschenrechtsorganisationen berichteten, dass Titiew seine Aufgabe, Fällen von Terror und Gewalt in Tschetschenien nachzugehen und sie öffentlich zu machen, sehr ernst nimmt. Deshalb halten sie die Inhaftierung von Titiew für politisch motiviert.“

Es gehe den Behörden in Tschetschenien offenbar darum, die Arbeit von Memorial in der Republik zu behindern, erklärte Schmid.

Presseberichten zufolge hatte Präsident Ramsan Kadyrow am 17. Januar dieses Jahres vor Angehörigen der Sicherheitskräfte erklärt, die Menschenrechtler seien „Volksfeinde, für die kein Platz in Tschetschenien ist“ und denen man das „Rückgrat brechen“ müsse.

Viele Kenner der politischen Szene in Tschetschenien gehen davon aus, dass mit Hilfe gefälschter Beweise der gegenwärtige Leiter des dortigen Büros von Memorial aus dem Verkehr gezogen werden soll, weil er der Aufklärung des Verschwindens und der wahrscheinlichen Ermordung von 27 Tschetschenen, die des Extremismus beschuldigt wurden – woran tschetschenische Sicherheitskräfte beteiligt gewesen sein sollen – offenbar gefährlich nahe gekommen war. „Dabei habe ich wohl noch Glück gehabt“, sagte der 60-jährige nach seiner Festnahme und erinnerte an die Ermordung seiner Vorgängerin im Amt, Natalia Estemirowa, die 2009 auf offener Straße in die Nachbarrepublik Inguschetien verschleppt und dort ermordet worden war. Dieser Fall ist bis heute nicht abschließend aufgeklärt.

„Titiew sitzt seit seiner Verhaftung im Januar in Einzelhaft“, erklärte der Bundestagsabgeordnete.

„Wie er sagte, hat er regelmäßigen Kontakt zu seinen Anwälten und wird ebenso behandelt wie alle anderen Gefangenen. Auf mich machte er einen ruhigen gefassten Eindruck, auch wenn seine Aussichten auf einen fairen Prozess eher gering sind. Die Richterin bemüht sich zwar um ein ausgewogenes Verfahren, aber der Ausgang ist wohl vorgezeichnet.“ Dem Menschenrechtler drohen bis zu zehn Jahre Haft auf der Grundlage offenkundig gefälschter Beweise.

Wie die russische „Zeitung „Nowaja Gazeta“ schreibt, war das „Auffinden“ des Rauschgiftes so plump organisiert, dass der Vorgang wiederholt werden musste. So war, dem Blatt zufolge, Titiew bei einer Verkehrskontrolle von einem Polizisten zum Aussteigen veranlasst worden, während ihm der zweite das Päckchen Marihuana unter den Vordersitz schob. Bei der sofort darauf erfolgten Kontrolle des Fahrzeuges wurde dann das Päckchen gefunden. Als sich Titiew beschwerte, dass bei der Durchsuchung des Fahrzeuges keine Zeugen, Kriminalisten und Ermittler zugegen waren, wurde die Aktion unter Einhaltung aller Vorschriften wiederholt.

Trotz dieser schlechten Beweislage ist eine Verurteilung des Menschenrechtsaktivisten zu einer Gefängnisstrafe wahrscheinlich, fürchtet Schmid.

Nach seiner Meinung könnte eine stärkere internationale Aufmerksamkeit möglicherweise den Ausgang des Prozesses beeinflussen. „Ich war der erste und bislang einzige Bundestagsabgeordnete, der nach Grosny gereist ist, um durch die Präsenz zu zeigen, dass die internationale Öffentlichkeit genau hinsieht, was in diesem Gerichtsverfahren geschieht.“

So könnten sich, hofft er, die Verantwortlichen gezwungen sehen, einen Freispruch von Oyub Titiew zuzulassen.

(hh/russland.news)

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