Lettlands Dilemma: SS-Hype und RussophobieZeiberts, Ilgarts

Lettlands Dilemma: SS-Hype und Russophobie

[Hartmut Hübner] Ilgart Zeiberts ist Lette, Doktor der Wirtschaftswissenschaften und ein erfolgreicher Geschäftsmann. Er ist durchaus ein Patriot, schließlich hat er seinem Land auch als Offizier in der Marine gedient.

Aber dennoch oder gerade deshalb macht er sich Sorgen um Bestrebungen, die lettische Geschichte umzuschreiben: „Unsere nationale Identität ist das Ergebnis unserer langen Geschichte mit ihren guten und schlechten Zeiten“, sagt der Vorsitzende der Baltischen Geografischen Gesellschaft. „Das Bewusstsein von dieser Geschichte muss sorgfältig bewahrt werden, geschützt vor Verfälschungen und Umschreibung. Aber gerade solche gefährlichen Bestrebungen gibt es seit einigen Jahren in unserem Land.“ Er stellt fest, dass Lettland nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion begonnen hat, viele Themen neu zu bewerten, die mit dem Großen Vaterländischen Krieg (Zweiter Weltkrieg) zu tun haben. „Wir sehen viele Beispiele, in denen Tatsachen falsch interpretiert werden werden, und in einigen Fällen wurden bereits Verbrechen der Nazis durch die lettische Staatsanwaltschaft gerechtfertigt. Der Massenmörder Heberts Zoko wird als nationalsozialistische Held Lettlands gefeiert, obwohl er während des sogenannten lettischen Holocaust mehr als 10.000 Zivilisten getötet hat “, berichtet er.

Am 27.September sprach der lettische Verteidigungsminister auf einer Gedenkveranstaltung aus Anlass des 75. Jahrestages der Abwehrschlacht, die lettische SS-Legionäre, meist von den Deutschen zwangsrekrutiert, der Roten Armee geliefert hatten. Er rief: „Unsere Verpflichtung ist es, diese lettischen Patrioten aus tiefster Seele zu ehren. Lettlands Legionäre sind der Stolz des lettischen Volkes und des Landes!“

Auf dem Rigaer Soldatenfriedhof hat Voldemar Veiss einen Ehrenplatz mit Gedenktafel bekommen. Veiss hatte als Chef der Rigaer lettischen Hilfspolizei unter deutschem Oberbefehl den Abtransport jüdischer Gettobewohner zu den Erschießungsstätten organisiert und sich später in einem Polizeibataillon an der Partisanenbekämpfung in Weißrussland beteiligt, bei der viele unschuldige Zivilisten zu Tode kamen. Die lettische Regierung lehnte es ab, die Gedenktafel zu entfernen.

Diese Beispiele sind leider keine Einzelfälle, sagt Zeiberts. Leider werde derzeit in den baltischen Staaten eine offene russophobe Politik betrieben. Riga unterstütze mit großer Freude die Sanktionspolitik Europas gegen Russland. Die baltischen Länder und die EU müssten nach Wegen suchen, um die Zusammenarbeit in den Bereichen Kultur, Sport, Musik, Tourismus und Informationsaustausch auszubauen. Er ist sich sicher, dass das lettische Volk nichts gegen Russland hat, bestätigt aber, dass die Regierungen keine gemeinsame Sprache finden.

Unterschiedliche Auffassungen zu geschichtlichen Entwicklungen, etwa in der Folge des Hitler-Stalin-Paktes, könnten bei beiderseits gutem Willen besprochen werden, sollten aber kein Hindernis für ein gutnachbarschaftliches Verhältnis sein.

Inwieweit die lettische Seite dazu bereit ist, wird sich in ihrem Verhältnis zum 75. Jahrestag des Sieges über Hitler-Deutschland zeigen. „Leider wird in der öffentlichen Darstellung der Schwerpunkt des Sieges über den Faschismus auf die USA, Großbritannien und Frankreich verlagert und die entscheidende Rolle der Sowjetunion, der Roten Armee, in deren Reihen auch viele Letten gekämpft haben, heruntergespielt“, beklagte Zeiberts.

Er befürchtet, dass es zu ähnlichen Entwicklungen kommt, wie in der Ukraine, „wo es junge Menschen als Manifestation des Patriotismus ansehen, auf die Straße zu gehen, nationalistische und nationalsozialistische Gruppen zu gründen und nationalsozialistische Symbole zu demonstrieren.“

So weit will es Zeiberts nicht kommen lassen, sondern gerade im kommenden Jahr alle Möglichkeiten der Aufklärung und der Propagierung einer Verständigung mit Russland nutzen.

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