Leiden die deutsch-russischen Geschäftsbeziehungen während der Corona-Pandemie?

Leiden die deutsch-russischen Geschäftsbeziehungen während der Corona-Pandemie?

[von Anastasia Petrowa] Geschlossene Grenzen, geschlossene Betriebe, gesetzliche Restriktionen sowie viele neue Regelungen gehören aktuell zur Realität tausender Geschäftsleute. Zu der Frage, was diese Änderungen für die deutsch–russischen Geschäftsbeziehungen bedeuten, haben wir mit Tanja Galander, Rechtsanwältin bei PwC Legal Deutschland und Leiterin der Russian Business Group, gesprochen.

Deutschland ist einer der Hauptgeschäftspartner Russlands in der EU. Wie beeinflusste die Pandemie die deutsch–russischen Geschäftsbeziehungen?

Die Pandemie hat natürlich eine große Auswirkung auf die deutsch-russischen Geschäftsbeziehungen. Die wichtigsten Punkte sind die Einreiseverbote und die Ausreisebeschränkungen. Diese haben eine erhebliche Auswirkung auf viele deutsche Mitarbeiter, die eigentlich in Russland arbeiten, jedoch momentan entweder in Deutschland oder in Russland bleiben müssen, statt zu ihrer Arbeitsstelle oder nach Hause zurückkehren zu können. Dann wurde die „arbeitsfreie Zeit“ bis zum 11. Mai 2020 eingeführt, die zu großen Irritationen geführt hat, da am Anfang kaum jemand wusste, wie man mit dieser Regelung rechtlich umzugehen hat – es gab noch keine gesetzliche Definition hierzu. Der Zeitraum ist zwar arbeitsfrei, aber dennoch kein Feiertag. Weitere Erläuterungen und gesetzliche Vorschriften kamen dann allerdings relativ schnell.
Für die Berechnung zivilrechtlicher Pflichten wird der arbeitsfreie Zeitraum mitgerechnet, im Steuer- und Zollrecht dagegen nicht. Arbeitgeber müssen in dieser Zeit ihren Mitarbeitern weiter ihre Gehälter zahlen. Im Vergleich zu den deutschen Regelungen wurden die Arbeitgeber belastet, ohne dass es ausreichende staatliche Unterstützung gab. Viele Unternehmen mussten ihre Arbeit einstellen oder die Mitarbeiter ins Home Office schicken. Zunächst wurden viele Transaktionen und Geschäftsbeziehungen mehr oder weniger auf Eis gelegt. Erst nach ein paar Monaten werden wohl einige Projekte weitergeführt, und wir werden sehen, wie es dann wirtschaftlich weitergeht.

Wie wird das Problem mit Visa, Aufenthaltsgenehmigungen und Arbeitserlaubnissen gelöst? Im russischen Blog von PwC Legal steht geschrieben, dass der Erlass des russischen Präsidenten vom 18. April 2020 die Frage des Auslaufens dieser Dokumente nicht eindeutig genug regelt. Könnten Sie dies kommentieren?

Wesentlicher Regelungsgehalt des Erlasses ist, dass für den Zeitraum vom 15. März 2020 bis einschließlich 15. Juni 2020 die Gültigkeitsdauer der folgenden Dokumente, die in der angegebenen Frist ablaufen, ausgesetzt wird: Visum, befristete Aufenthaltsgenehmigung, Aufenthaltserlaubnis, Migrationskarte mit darauf vermerkter ablaufender Gültigkeitsdauer. (Anm. der Redaktion: Diese Frist wurde nunmehr bis zum 15. September verlängert.)
Hieraus ergibt sich eine Reihe von praktischen Problemen:

Zum Beispiel haben viele deutsche Mitarbeiter, die jetzt in Deutschland sind und nicht mehr nach Russland einreisen können, eine Arbeitserlaubnis für hochqualifizierte Fachkräfte. Es gibt eine Regelung im russischen Recht, nach der sie sich nicht mehr als sechs Monate im Ausland aufhalten dürfen. Andernfalls kann ihnen diese Arbeitserlaubnis entzogen werden. Jetzt ist die Frage: Wenn diese Mitarbeiter aufgrund der Pandemie länger als sechs Monate im Ausland sind, widerspricht das diesen Regelungen? Gibt es einen Grund für den Entzug dieser Arbeitserlaubnis? Das regelt der Erlass, meiner Ansicht nach, nicht ausreichend. Der Erlass sieht ein Moratorium (für den Ablauf der o.g. Dokumente) bis zum 15. Juni 2020 vor. Aber er regelt nicht, was dieser Zeitraum vom 15. März bis zum 15. Juni eigentlich ist bzw. wie diese Zeit rechtlich zu bewerten ist.

Was muss ich tun, wenn dieser Zeitraum abgelaufen ist? Muss ich dann gleich am 16. Juni 2020 neue Anträge stellen und ist es eine Rechtsverletzung, wenn ich das nicht tue? Gibt es weitere Pflichten, die mich nach Ablauf dieses Zeitraums treffen? Wie betrifft diese Regelung Mitarbeiter im Ausland?

Das ist leider alles nicht so eindeutig geregelt. Es ist gut, dass man versucht hat, mit Sonderregelungen gewisse Sicherheiten für die Mitarbeiter, die vor Ort sind, zu schaffen; aber dies ist leider nicht wirklich ausreichend geschehen. Wir müssen momentan noch abwarten, ob es – hoffentlich – bis zum Ablauf dieser Übergangsfrist weitere Erläuterungen gibt.

Wie werden die Rechte der deutschen Arbeitnehmer, die in Russland bleiben und nicht zurückkehren können, gewährleistet? Wer unterstützt sie?

Es gibt eine sehr starke deutsche Community in Russland und eine sehr starke wirtschaftliche Gemeinschaft. Die deutsch-russische Außenhandelskammer (die AHK) bietet grundsätzlich ihren Mitgliedern, aber auch allen deutschen Unternehmen, die sich in Russland befinden, eine entsprechende Unterstützung an. Ich glaube, dass es in dieser deutschen Community in Russland eine sehr gute Vernetzung gibt, sodass die deutschen Mitarbeiter, die in Russland sind, sich nicht allein fühlen müssen.

Offensichtlich sind viele Geschäfte während der Pandemie gescheitert und viele Verträge wurden nicht erfüllt. Gibt es Ansätze zur Lösung solcher Probleme, die mit Fristen der Vertragsabwicklung in Verbindung stehen?

Wir haben in Russland schon einige Krisen erlebt und meine grundsätzliche Empfehlung ist, miteinander zu sprechen. Die Kommunikation mit dem Vertragspartner ist sehr wichtig, um gemeinsame Lösungen zu finden. Ja, wir haben es erlebt, dass der eine oder andere Vertragspartner keine Leistung erbringen konnte oder bestimmte vertragliche Pflichten nicht erfüllt werden konnten. Wir haben Kunden zu dem Versuch geraten, mit digitalen Lösungen trotzdem eine Vertragserfüllung sicherzustellen: z. B. über Videokonferenzen entsprechende Anleitungen zu geben. Natürlich gibt es rechtliche Fragen, wenn man einen Vertrag nicht erfüllen kann und dies aufgrund einer Situation erfolgt, auf die der jeweilige Vertragspartner keinen Einfluss hat und die er auch nicht vorhersehen konnte – hier stellt sich die Frage des Freiwerdens von der Verpflichtung und Haftung aufgrund höherer Gewalt. Es gibt eine Verordnung des Obersten Gerichts zur Frage der höheren Gewalt. Grundsätzlich – so das Gericht – kommt es auf den konkreten Einzelfall an. Einschränkende Maßnahmen aufgrund der Coronakrise, wie etwa die Reise- und Arbeitsbeschränkungen können als höhere Gewalt angesehen werden. Ich denke, es ist jetzt wichtig für deutsche Unternehmen, aus dieser Krise zu lernen und darauf zu achten, wie man vertragliche Vereinbarungen zukünftig gestalten kann, um auf derartige Krisen vorbereitet zu sein.

Was denken Sie über die Aufhebung von Einreisebeschränkungen für ausländisches Fachpersonal in Russland? Hat es irgendwie die Gesamtsituation beeinflusst?

Noch gar nicht. Grundsätzlich gilt seit dem 18. März eine Einreiseverbot für Ausländer nach Russland. Nun hat die russische Regierung u.a. die Einreise für bestimmtes ausländisches Fachpersonal und für hochqualifizierte Fachkräfte gestattet. Mir sind noch keine Fälle bekannt, dass aus Deutschland schon wieder eine Einreise nach Russland möglich wäre. Es ist heute noch praktisch unmöglich. Aber ich habe heute erfahren, dass es am 10. Juni 2020 einen Flug von Deutschland nach Russland geben soll, mit dem auch ausländische Mitarbeiter russischer Gesellschaften, die eine Arbeitserlaubnis für hochqualifizierte Fachkräfte haben, mitfliegen können – dies wäre das erste Mal seit Einführung der Corona-Beschränkungen. (Anm. der Redaktion: Der Flug fand tatsächlich statt und ca. 50 deutsche hochqualifizierte Fachkräfte und Manager konnten nach Russland einreisen).
Ansonsten wird es wahrscheinlich noch eine Weile dauern, weil es faktisch noch keine Flüge gibt. Der normale Transitverkehr wurde noch nicht wieder aufgenommen. Es gibt Anzeichen dafür, dass es im Juli klappt.

Ist die Unterstützung des Unternehmertums in Russland, besonders von kleinen und mittleren Unternehmen, Ihrer Meinung nach, ausreichend?

Ich habe mich mit dieser Frage auch im Vergleich zu den Unterstützungsmöglichkeiten hier in Deutschland beschäftigt. Und da muss man schon konstatieren, dass der Umfang der Unterstützungsmaßnahmen in Deutschland sehr viel größer ist. Das hat nicht nur mit wirtschaftlichen Maßnahmen hier zu tun. Wir haben zum Beispiel in Deutschland das Instrument der Kurzarbeit sowie Kurzarbeitergeld, das es so in dieser Form in Russland nicht gibt, und das wird in Deutschland flächendeckend in Anspruch genommen.

Es sind natürlich Unterstützungsmaßnahmen für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) vorhanden, auch wenn diese sicher noch sehr ausbaufähig sind. Zudem besteht das Problem, dass nach den russischen Rechtsvorschriften Tochtergesellschaften ausländischer Unternehmen, deren ausländischer Anteil mehr als 49 Prozent beträgt, nicht per se als KMU anerkannt und im staatlichen KMU-Register registriert werden, so dass sie folglich die existierenden Unterstützungsmaßnahmen und Erleichterungen (z. B. für alle KMU: Herabsenkung der Sozialversicherungsbeiträge von 30 Prozent auf 15 Prozent sowie Gewährung von subventionierten Krediten und Finanzhilfen) nicht in Anspruch nehmen können. Tochtergesellschaften ausländischer Unternehmen können eine solche KMU-Registrierung jedoch beantragen, wenn sie bestimmte gesetzliche Voraussetzungen erfüllen. Man muss dann nachweisen, dass die KMU-Voraussetzungen für die russische Tochtergesellschaften erfüllt werden und auch auf den ausländischen Gesellschafter Anwendung finden: maximal 250 Mitarbeiter und einen jährlichen Umsatz in Höhe von bis zu 2 Mrd. Rubel in Jahr. Das ist nicht sehr hoch, aber ich glaube, es gibt eine ganze Reihe von russischen Tochtergesellschaften ausländischer Unternehmen, die diese Voraussetzungen gleichwohl erfüllen. Es bedarf einer russischen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft – PwC bietet diese Leistungen auch an – die diese Voraussetzung prüft und dann die Anmeldung im KMU-Register vornimmt. Bis zum 5. Juli kann diese Anmeldung noch vorgenommen werden. Die Eintragung erfolgt dann zum August dieses Jahres. Das heißt aber auch, die Vergünstigungen, die es jetzt schon gibt, kann man erst mit der Eintragung (nicht rückwirkend) in Anspruch nehmen. Es gibt allerdings ein neues Gesetz, das am 22. Mai 2020 in dritter Lesung bestätigt wurde, aber noch nicht in Kraft getreten ist, nach dem auch Unternehmen, die zum August 2019 noch nicht eingetragen waren, jetzt bis zum 30. Juni 2020 unter Vorlage der Nachweise für 2018 die Eintragung beantragen können. (Anm. der Redaktion: Das Gesetz ist am 8. Juni 2020 in Kraft getreten.)
Aus dem Gesetzeswortlaut wird nicht ganz klar, wie diese Eintragung dann wirkt. Vom Sinn und Zweck her müsste diese Eintragung dann auch rückwirkend zum August letzten Jahres wirken mit der Folge, dass diese Unternehmen die KMU-Vergünstigungen, die es seit März 2020 gibt, noch in Anspruch nehmen können. Das wäre natürlich eine große Erleichterung.
Aber vom Grundsatz her: Die meisten ausländischen Tochtergesellschaften in Russland werden diese KMU-Regelung wahrscheinlich nicht in Anspruch nehmen können. Für diese stellt sich die Frage, ob sie als systemrelevante oder strategische Unternehmen in Russland Unterstützung erfahren. Dies wäre gesondert zu prüfen. Wir haben es zum Beispiel in der Praxis erlebt, dass Unternehmen, die als strategische oder systemrelevante Unternehmen oder besonders betroffene KMU gelistet sind, dem geltenden Insolvenzmoratorium unterfallen (vorübergehende Freistellung von der Insolvenzantragspflicht des Schuldners und keine Anträge durch Gläubiger). Dies bedeutet aber auch, dass sie zum Beispiel keine Umwandlungsvorgänge vornehmen dürfen oder keine Gewinne ausschütten dürfen. Das kann aber in der Praxis gar nicht gewollt sein. Die betroffenen Unternehmen müssten dann einen Ausnahmeantrag stellen.

Man muss immer genau schauen, ob man eine Vergünstigung tatsächlich in Anspruch nehmen möchte und welche anderweitigen Konsequenzen dies ggf. hat. Teilweise sind die Regelungen zur Unterstützung von Unternehmen nicht ganz stringent und reichen in der Praxis in der Regel nicht aus, um die Verluste zu decken. So wäre zu überlegen, das Insolvenzmoratorium auf alle betroffenen Unternehmen bzw. alle KMU zu erstrecken.

Auf welche Herausforderungen sind russische Geschäftsleute in Deutschland während der Pandemie gestoßen?

Fast auf die gleichen, wie die deutschen Unternehmen in Russland. Für beide gibt es das Problem der fehlenden Reisemöglichkeiten: entweder ist man hier in Deutschland oder in Russland. Das ist eine internationale Besonderheit dieser Corona-Pandemie. Was jedoch für russische Unternehmen in Deutschland zusätzlich noch problematisch ist: Aufgrund der Sanktionen gegen Russland müssen sie sich generell vielen Prüfungen stellen und es gelten hohe Compliance-Anforderungen für russische Kunden, insbesondere bei deutschen Banken.

(Interview vom 04. Juni 2020)

[Anastasia Petrowa/russland.NEWS]

Foto: Copyright (2020) PwC Deutschland

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