Krieg: Eskalation wahrscheinlich, es sei denn…

Krieg: Eskalation wahrscheinlich, es sei denn…

[von Dr. Gerhard Mersmann] Während sich auf der einen Seite eine als Zivilgesellschaft oder Expertengruppe überhöhte Meute täglich in neuen bellizistischen Schaumbädern verlustiert, existieren immer noch Menschen, die in der Lage sind, ohne Wallung und kühlen Kopfes die Lage zu analysieren. Was auf der einen Seite Mut vermittelt, ist auf der anderen Seite ein trauriges Zeugnis für Politik und Medien. Dort herrscht die Verrohung, das gegenseitige Überbieten mit Feindbildern sowie sprachlichen und logischen Dummheiten. Von ihnen noch eine Lösung zu erwarten, die Tod und Zerstörung minimiert, ist pure Illusion. Wenn der Scheiterhaufen brennt, ist alles erlaubt. Im heutigen Spiegel giftet ein medialer Tausendsassa mit einer Irokesenfrisur, dessen Expertise einzig und allein durch die Häufigkeit seines Erscheinens definiert ist, in unzivilisierter Form gegen alle, die sich für eine Option des Friedens aussprechen. Und in der BILD wird eine Initiatorin des Manifests für den Frieden als eine bezahlte Agentin des Bösen diffamiert, als hätte es das Attentat auf Rudi Dutschke nie gegeben.

Aber einmal den Unrat, mit dem zivilisierte Menschen täglich belästigt werden, beiseite. In einer informellen Gruppe von Menschen mit unterschiedlicher Biographie und Perspektive konnte ich gestern einer Analyse beiwohnen, die es verdient, formuliert zu werden. Das Prinzip war das nach Heinrich von Kleist, der es einmal die allmähliche Entstehung der Gedanken beim Reden nannte.

Demnach stellte sich die Situation für die Diskutanten wie folgt dar:

Dass Russland der Forderung der USA/NATO/EU nachkommt und die Truppen aus der gesamten Ukraine abzieht, inklusive der Insel Krim, ist nicht wahrscheinlich.

Dass die ukrainischen Streitkräfte in der Lage wären, auf russisches Terrain vorzustoßen und Russland militärisch eine Niederlage zuzufügen, ist ausgeschlossen.

Dass China es zulassen würde, dass Russland bezwungen und unter den Einfluss des Westens käme, ist ebenfalls ausgeschlossen. Die Koexistenz von Russland und China ist für beide Seiten essenziell.

Dass USA/NATO/EU ihren bisherigen Kurs korrigieren und zu Verhandlungen mit Russland bereit wären, was z.B. den Donbas und die Krim anbetrifft, ist nicht zu erwarten.

Dass Putin in Russland gestürzt wird, könnte eine Möglichkeit sein, aber sie würde auf keinen Fall zu einem Einlenken hinsichtlich der russischen Ansprüche führen. Betrachtet man die Figuren, die sich im russischen Macht-Portfolio bewegen, wäre eher eine Radikalisierung zu erwarten.

Dass sich in den USA die politischen Verhältnisse ändern und ein republikanischer Präsident eine andere Position in diesem Konflikt einnimmt, ist möglich, aber erst nach den Wahlen 2024. Es wäre die wahrscheinlichste Option mit Effekt.

Dass Wahlen in einem europäischen Land die Kriegsphalanx aufbrechen könnten, ist unwahrscheinlich.

Dass die Tendenz zahlreicher Länder, sich vom Dollar als Weltwährung zu lösen und sich anderen internationalen Organisationen wie BRICS anzuschließen, dazu führt, das Zeitfenster für die USA weiter zu schließen, sicher ist.

Die Schlussfolgerungen, die aus dieser Aufzählung resultierten, ergaben sich von selbst. Eine Einstellung der Kampfhandlungen ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht zu erhoffen. Die einzige Möglichkeit auf eine De-Eskalation bestünde tatsächlich in den Wahlen in den USA oder in Dysfunktionalitäten der jeweiligen Militärmaschinerie (Munitionsmangel, technisches Versagen, logistische Probleme, keine Soldaten etc.). Insofern ist die Gefahr einer gewaltigen Eskalation immens, da die Biden-Administration um das Zeitfenster bis zu den Wahlen im nächsten Jahr weiß.

Was denen bleibt, die die überwältigende Mehrheit in diesem Krieg ausmacht, die in der einen oder anderen Form dafür bezahlen, aber deren Stimme im blutrünstigen Geheul der Meinungsmaschinen keine Rolle spielt? Wahlen, das Hoffen auf ein Versagen der Militärmaschinerie, und vielleicht auch ein bisschen mehr.

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