„Kosmische Mission“ – am 9. Mai feiern Russen den Sieg über Nazi-Deutschland© russland.news

„Kosmische Mission“ – am 9. Mai feiern Russen den Sieg über Nazi-Deutschland

In diesem Jahr gedenken die Russen den 76.  Jahrestag des Sieges im Großen Vaterländischen Krieg. Für einen Außenstehenden ist es nicht einfach zu verstehen, warum dieser Tag auch nach so langer Zeit eine so große Bedeutung für die Russen hat. Allein die Benennung des Zweiten Weltkrieges als „Großer Vaterländischer Krieg“ ist vielsagend. Denn nur so und nicht anders heißt der Zweite Weltkrieg in Russland.

Der Preis für diesen Krieg waren 27 Millionen Menschenleben. Es gab keine einzige Familie in der ehemaligen Sowjetunion, die vom Krieg verschont blieb. Vier Jahre enormer Anstrengungen, Verluste, Hunger, Nöte, Bombenangriffe, Zerstörung … Deswegen ist es in erster Linie ein Tag „mit Tränen in den Augen“, wie es in einem alten sowjetischen Lied heißt, das jedes Jahr an diesem Tag überall zu hören ist. Der 9. Mai spielt eine ungeheuer große Rolle in der russischen Kultur und im Volksgedächtnis. Nach all den Turbulenzen der Umbruchjahre, nach dem Zerfall der Sowjetunion und dem Durchbruch des Kapitalismus, war der Tag des Sieges etwas, was die Nation einigte. „Der 9. Mai ist für jeden russischen Bürger heilig“, las man auf einer russischen Internetseite über die Bedeutung dieses Festes.

In den letzten Jahren hat die Bedeutung dieses Tages in der russischen Gesellschaft nicht nachgelassen, sondern ist eher gestiegen. Nach Meinung von 69 Prozent der Russen ist der Tag des Sieges der wichtigste Feiertag. Am beliebtesten ist dieser Tag bei Menschen ab 60 Jahren. Laut einer aktuellen Umfrage hat die Mehrheit der Russen (88 Prozent) bestätigt, dass ihre Verwandten am Großen Vaterländischen Krieg zwischen 1941 und 1945 teilgenommen haben. 43 Prozent der Befragten wissen viel darüber aus den Erzählungen von Verwandten und aus Familienarchiven. Nach Ansicht der Russen gehört die Schlüsselrolle bei dem Sieg im Großen Vaterländischen Krieg dem Volk (64 Prozent) und einfachen Soldaten (57 Prozent).

In letzter Zeit gibt es jedoch in Russland selbst eine zunehmende Debatte über den Ausgang des Zweiten Weltkriegs, den Preis des Sieges, die Fehler der damaligen Führung des Landes usw. Der bekannte russische Schriftsteller Alexander Tsypkin machte sich in seinem Blog Gedanken darüber, was der Sieg über Nazi-Deutschland mehr als 70 Jahre später bedeutet und warum dieser Sieg nicht obsolet ist.

„Im Vorfeld des 9. Mai wird sich der Diskurs zum Thema ‚Sieg im Großen Vaterländischen Krieg‘ noch einmal intensivieren. Nun möchte ich aber auf eine Facette dieser gesamtrussischen Diskussion eingehen, und zwar auf die Frage ‚Warum sind Sie alle so stolz auf die Ereignisse von vor 75 Jahren?‘ Ich denke Folgendes. Aus der Sicht des Lebens eines Menschen ist 1945 tatsächlich lange her und es scheint, dass es keine besondere Beziehung zu denen hat, die im Jahr 2000 geboren sind. Wenn wir aber nicht unser sinnloses und kurzlebiges Dasein betrachten, sondern das Leben einer Ethnie, das in Tausenden von Jahren gezählt wird, dann ändert sich die Situation radikal. Aus dieser Sicht ist der Krieg erst vor kurzem zu Ende gegangen, nach den Maßstäben zum Beispiel meiner 45-jährigen Existenz – vor ein paar Jahren, wenn man es auf das Alter der Ethnie überträgt. Das ist die großartigste Leistung unseres Volkes, der Höhepunkt seines Geistes, die Erfüllung seiner kosmischen Mission (denn die Vernichtung des Faschismus kann mit einem Dutzend Missionen für jede Nation verglichen werden) geschah fast gestern. Ich bin mir gar nicht sicher, dass wir in den nächsten fünfhundert Jahren einen nationalen Akt von solchem Ausmaß haben werden. Die Griechen sind stolz auf Alexander von Makedonien und auf Aristoteles. Seien wir ehrlich: Seitdem ist in Griechenland nichts Vergleichbares passiert, aber sie sind in die Weltgeschichte eingegangen. Ich will nicht vergleichen, aber der Sieg über Hitler, der wirklich die ganze Welt in ein großes Konzentrationslager hätte verwandeln können, bedeutet mehr für die Zivilisation, als die Eroberungen Alexanders. Lasst uns also Kraft schöpfen und den Teilnehmern, lebenden und verstorbenen, Respekt zollen.“

[Daria Boll-Palievskaya/russland.NEWS]

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