Kompensation für Beschlagnahme russischen Vermögens: Moskau erlaubt Enteignung „ausländischer Bürger“

Kompensation für Beschlagnahme russischen Vermögens: Moskau erlaubt Enteignung „ausländischer Bürger“

Die Vermutung, dass auf die US-Entscheidung über die Beschlagnahme und die EU-Entscheidung über die Verwendung von Erträgen aus eingefrorenen russischen Vermögenswerten eine symmetrische Reaktion in Russland folgen würde, hat sich bestätigt.

Der russische Präsident hat ein Dekret unterzeichnet, das die Beschlagnahmung aller Vermögenswerte von Amerikanern in Russland als Ausgleich für in den USA beschlagnahmte russische Vermögenswerte erlaubt. Das betrifft in Russland verbliebene amerikanischen Unternehmen und Organisationen, von denen es einige zu geben scheint. Gleiches gilt für Personen, denen die russischen Behörden Verbindungen zu den USA nachweisen können und die damit „unter der Kontrolle“ böswilliger ausländischer Personen stehen, die russischen Rechteinhabern Schaden zugefügt haben.

Das Dekret schlägt vor, dass nur das Eigentum von „mit den Vereinigten Staaten verbundenen Personen“ für die Entschädigung verwendet werden kann. Die Beschreibung dieser Verbindung ist sehr weit gefasst. Zunächst spricht das Dekret nur von „ausländischen Personen“, die Bürger oder Einwohner der Vereinigten Staaten sind oder die ihren Sitz, ihre überwiegende Geschäftstätigkeit oder ihre Gewinne aus einer solchen Tätigkeit in den Vereinigten Staaten haben. Unmittelbar danach wird jedoch klargestellt, dass sich der Begriff auch auf Personen (nicht notwendigerweise Ausländer) beziehen kann, die von ersteren kontrolliert werden.

Im dritten Kriegsjahr sind einige große amerikanische Unternehmen weiterhin in Russland tätig. Darunter der US-Konzern Philip Morris International mit einem Vermögen von 3,88 Milliarden Dollar. Auch die Konsumgüterriesen Pepsico (3,84 Milliarden Dollar Mars (1,47 Milliarden Dollar), Procter & Gamble (1,11 Milliarden Dollar) und Mondelez (Umsatz in Russland 2023 etwa 1 Milliarden Dollar) sind noch in Russland aktiv.

Gemäß dem Dekret kann ein russischer Rechteinhaber, vertreten durch den Staat oder die Zentralbank, bei einem russischen Gericht die Feststellung beantragen, dass es sich seiner Ansicht nach um eine unrechtmäßige Beschlagnahme russischer Vermögenswerte durch die USA handelt.

Stellt das russische Gericht fest, dass eine unrechtmäßige Beschlagnahme von Eigentum durch die US-Regierung oder die Justizbehörden stattgefunden hat, muss es die gesammelten Informationen an die Regierungskommission für die Kontrolle ausländischer Investitionen in Russland weiterleiten.

Die Kommission wird unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit entscheiden, welche Vermögenswerte zur Begleichung des entstandenen Schadens herangezogen werden können. Wessen Vermögen in Russland beschlagnahmt wird, darüber lässt sich nur schwer spekulieren. Putins Dekret bietet dazu reichlich Gelegenheit, denn er hat schon in der Vergangenheit eigenmächtig das Vermögen großer ausländischer Unternehmen verstaatlicht. Theoretisch könnte das Dekret auch dazu genutzt werden, das Vermögen von politischen Gegnern des Kremls zu beschlagnahmen, die als „von US-Personen beeinflusst“ gelten.

Vereinfacht ausgedrückt bedeutet das, dass es nicht einmal mehr nötig ist, Personen und Organisationen als Extremisten und Terroristen zu bezeichnen, um ihr Vermögen zu beschlagnahmen. Es genügt, wenn das Justizministerium eine Person oder Organisation in das Register ausländischer Agenten einträgt, deren Zahl bereits 800 überschritten hat.

Auch Juristen aus Russland sind der Ansicht, dass der Erlass sowohl gegen die russische Verfassung als auch gegen das Völkerrecht verstößt. Man kann sich vorstellen, dass es mit Hilfe eines solchen Erlasses möglich sein wird, absolut jede Person – sei es ein Geschäftskonkurrent, ein Kollege, dessen Platz man einnehmen möchte, oder ein ungeliebter Nachbar – ohne jegliche Rechtskenntnisse zu manipulieren.

Am 24. April unterzeichnete US-Präsident Joe Biden ein Gesetz, das 61 Milliarden Dollar Militärhilfe für die Ukraine vorsieht. Es sieht die Möglichkeit vor, in den USA befindliche russische Vermögenswerte zu beschlagnahmen, einschließlich eines Verbots, diese wieder freizugeben, sowie die Möglichkeit, die Ukraine mit eingefrorenen Vermögenswerten zu entschädigen und diese für den Wiederaufbau des Landes zu verwenden. Nach Angaben des US-Kongresses halten US-Finanzinstitute Vermögenswerte der russischen Zentralbank in Höhe von 5 Milliarden Dollar. Insgesamt wurden im Westen Reserven der russischen Zentralbank im Wert von 260 Milliarden Euro beschlagnahmt, davon 210 Milliarden Euro in Europa.

Die russische Vertretung bei der EU erklärte, dass „der Diebstahl von Vermögenswerten zu einem offiziellen Instrument der Brüsseler Außenpolitik geworden ist“. Kremlsprecher Dmitrij Peskow bezeichnete die Entscheidung als Enteignung und versprach eine Reaktion. Zuvor hatte der Präsidentensprecher die Beschlagnahmung eingefrorener Vermögenswerte mit einem „soliden Nagel im zukünftigen Sarg des gesamten westlichen wirtschaftlichen Koordinatensystems“ verglichen.

Christine Lagarde, Chefin der Europäischen Zentralbank, stimmte zu, dass die Beschlagnahmung von 280 Milliarden Dollar „die Grundlagen des internationalen Rechts untergraben“ und „unbeabsichtigte Folgen“ haben würde. Bloomberg und Reuters schrieben, dass ein solcher Schritt nach Ansicht von EU-Beamten zu einem Verlust von Investitionen aus Entwicklungsländern führen würde, die Reserven in Euro halten.

Das Dekret gibt der Regierung vier Monate Zeit, Maßnahmen zu entwickeln. Es besteht die Hoffnung, dass die Technokraten aus dem Wirtschaftsblock oder auch die Juristen, auf die die Regierung hört, erklären können, was aus den vorgeschlagenen Maßnahmen folgen kann, und dass die Version der Regierung alles etwas abmildert.

[hrsg/russland.NEWS]

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