Kommentar: Wolgograd im deutschen Blätterwald

Viele deutsche Mainstream-Journalisten sind sich nicht zu schade, auch aus den tragischen Terroranschlägen in Wolgograd für ihre Anti-Russland-Kampagnen Kapital zu schlagen. Interessant ist, wie viele Kommentatoren einen Zusammenhang mit den „Pussy Riot“ und Chodorkowski -Freilassungen herstellen und von einem Scheitern der Putinschen „Schön-Wetter-Politik“ [Zitat Hermann Kraus, ARD] sprechen. Nichts erscheint mir in Russland weiter her geholt, als ein Zusammenhang zwischen Pussy Riot und dem Kaukasus-Konflikt. Stößt es da Russlandfeindlich gesinnter Journalie immer noch auf, dass man da vor einigen Wochen furchtbarerweise etwas Positives aus Russland berichten musste? Schon damals übte man sich in Negativ-Färberei der Freilassungen, die übrigens tausende, weniger Prominente ebenfalls betrafen, und jetzt ist man offenbar froh, endlich wieder gewohnt schlechte Nachrichten aus Russland präsentieren zu können. So nutzt man die scheinbare Möglichkeit, diese unliebsamen guten Nachrichten nochmals zu relativieren. Unabhängig, ob außer dem Handlungsort Russland da ein Zusammenhang besteht.

Überhaupt ist gerade der ARD-Kommentar von Kraus ein Musterbeispiel für die Meinungsmache einer ganzen Reihe von deutsche Journalisten. So wird Verständnis geweckt für die Schwarzen Witwen – also die Terroristinnen – die „oftmals ihre Männer, Väter und Söhne verloren“ haben. Dass es sich bei diesen Männern, Vätern und Söhnen dann meist um islamistische Terroristen gehandelt hat, verschweigt uns der Kommentator beflissentlich. Dass die Terroristen Menschen (der Busattentäter war übrigens ein Mann) sind, die für ein Emirat kämpfen, das an den Staat der Taliban angelegt ist – jedoch auch zahlreiche Gebiete mit christlicher Bevölkerung einschließen soll.

Mitgefühl für die Opfer des Terrors sucht man bei Kraus Kommentar vergeblich, nur den Terroristinnen scheint sein Verständnis zu gelten und dem Widerkauen seiner vorgefertigten Meinung. Das macht fast sprachlos. Was würde Kraus sagen, wenn die Witwe eines Taliban im Kölner Hauptbahnhof eine Bombe explodieren lassen und ein Dutzend Deutsche in den Tod reißen würde? Verständnis zeigen, weil sie ja eine trauernde Witwe eines Extremisten war? Rechtfertigt Trauer Terrorismus? Hier zeigt sich mit welch kaltblütig verschiedenen Maß solche Journalisten Ereignisse in Russland und Deutschland betrachten.

Aber Kraus ist nicht alleine mit seinem zynischen und gefühllosen Kommentar zu diesen grausamen Anschlägen. Auch die „Badische Zeitung“ titelt mit „Vorteil Putin“ und schreibt davon, dass sich der Kreml-Chef doch nun freuen kann, dass er neue Argumente für eine harte Politik im Kaukasus und Komplett-Abriegelung von Sotschi während der Spiele hat, die der Kommentator offenbar negativ sieht. Gleichzeitig sorgt sich die deutsche Regierung verständlicherweise um die deutschen Sportler und Gäste bei Olympia. Ja, wie soll es nun werden in Sotschi, mehr Abriegelung oder nicht? Wir folgen da eher der Meinung der deutschen Regierung und – ja, das trauen wir uns bei diesem Punkt – Putin. Wir halten es für besser, starke Sicherheitsvorkehrungen beeinträchtigen die Feierstimmung, als es gibt Tote. Und wir hoffen, dass die sehr positive Olympiastimmung, die wir in Russland täglich erleben und über die die von uns geschilderten Journalisten nie schreiben, von diesen grausamen Anschlägen nicht beeinträchtigt wird. Und wir hoffen, dass die Verantwortlichen für diese Bomben gefasst und entsprechend bestraft werden, unabhängig vom Verständnis für ihre Beweggründe, das uns leider abgeht.

Wir wollen aber auch einen Kommentar nicht verschweigen, der uns im deutschen Blätterwald sehr positiv aufgefallen ist, den der Tageszeitung (taz) von Bernhard Clasen. Er äußert die Befürchtung, dass die Attentate das Verhältnis zwischen Russen und Kaukasiern weiter belastet. Das ist in der Tat eine große Gefahr, die durch die Anschläge besteht. Sie spielen russischen Nationalisten in die Hände, die jetzt schon offenen Rassismus gegenüber Kaukasiern verbreiten. Kaukasisch und z.B. lediglich wegen Gepäck „verdächtig“ wirkenden Personen haben in Zukunft nichts zu lachen, wenn sie an nervöse Ordnungshüter oder gar selbst ernannte Sicherheitsmänner geraten. Auch hofft Clasen, dass Russland zur Bekämpfung des Terrorproblems eher das auf Dialogmodell der aktuellen Inguschetischen Führung und nicht die auf Härtemodell des momentanten Präsidenten von Dagestan setzt. Das hoffen auch wir – dass die aktuelle russische Regierung mehr als nur nationales Säbelrasseln als Antwort parat hat. Hier zeigt sich einmal echter Sachverstand bei einem deutschen Kommentator russischer Politik. Es ist traurig, dass das unter den Russland“experten“ der deutschen Presse eher die Ausnahme, als die Regel ist.

Roland Bathon, rusland.RU Wolgaregion und Ural

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