Kommentar: Wohin mit dem Donbass?

Ein proklamierter Staat „Neurussland“ ist bereits ausgerufen aus den beiden ukrainischen Regionen Donezk und Lugansk. Trotz aller militärischer Bemühungen ist es der Ukraine nicht gelungen, die Kontrolle über diese Regionen wieder zu erlangen. Und wegen dieser militärischen Bemühungen ist eine Rückeroberung von „Herz und Verstand“ der dortigen Bevölkerung für einen Verbleib bei der Ukraine recht unwahrscheinlich geworden – denn überall wurden Zivilisten Opfer des Beschusses im meisten Fall durch die ukrainische Armee – im einheimischen Volksmund inzwischen nur noch „Faschisten“ genannt. Ist der neue „Staat“ aber überhaupt überlebensfähig?

Mehr Separatisten im Donbass als in übriger Ostukraine

Mit dieser Frage beschäftigt sich die Kiewer Onlinezeitung „Politnavigator“ und meint im aktuellen Zustand „nein“. Die Schwerindustrie im Donbass sei von ukrainischen Resourcen zu stark abhängig. So werde der große Wasserverbrauch der Industrie aus der Region Dnjepropetrowsk sicher gestellt. Und in den ostukrainischen Regionen Dnjepropetrowsk oder Cherson sei die prorussische Fraktion bei weitem nicht so stark wie im Donbass. Für die Richtigkeit der Analyse dieser Zeitung spricht, dass genau in diesen Regionen sich eine knappe Mehrheit der Bevölkerung auch an den Wahlen zum ukrainischen Präsidenten beteiligt hat, während in Charkow oder Odessa, wo die Antimaidaner stärker sind, die Mehrheit trotz Öffnung aller Wahllokale zu Hause blieb und auch die Wähler verstärkt ihre Kreuze bei Nonsenskandidaten gemacht haben – da eine Vertrauensperson der Antimaidaner auf dem Wahlzettel nicht zu finden war (die einzigen Antimaidaner waren Vertreter des diskreditierten Janukowitsch-Regimes). Auch hat die ukrainische Armee nicht umsonst Dnjepropetrowsk als ostukrainischen Rückzugsraum für die eigenen Truppen gewählt. Gerade die örtlichen Eliten stehen hier einen Kurs in Richtung Unabhängigkeit sehr skeptisch gegenüber, auch wenn er in der „Durchschnittsbevölkerung“ durchaus seine (Minderheit von) Sympathisanten hat.

Wahlbeteiligung bei der Präsidentschaftswahl 2014

Wahlbeteiligung bei der Präsidentschaftswahl 2014

Der Komplettabfall als Ukraine-Gau

Ein Abfall des gesamten russischsprachigen Ostens wäre die größte anzunehmende Katastrophe für Kiew – denn es sind gerade diese Regionen, die den Motor der ukrainischen Wirtschaft bilden, während der „treue“ Westen des Landes eher landwirtschaftlich geprägt ist. Gerade damit versuchen momentan die Separatisten Stimmung zu machen unter den Menschen des Ostens: „Ihr habt für alle gearbeitet und sie haben davon gelebt“ lautet das Credo der Propagandaschriften der Donbass-Nationalisten. Eine Rumpf-Ukraine ohne den Regionalgürtel von Odessa bis Charkow würde auf Jahrzehnte am Tropf von EU und USA hängen und dennoch in Armut verweilen, was auch die Zufriedenheit der Menschen mit dem Westkurs langfristig beeinflussen würden – Russland kann aus den 90er Jahren ein Lied davon singen. Russische Nationalisten hoffen durchaus auf ein solches Szenario mit abschließender Rückkehr des gesamten Landes in den „Schoß“ von Mütterchen Russland und seinem neu entstandenen Bündnissystem. Westorientierte Oligarchen müssten dann ihre Koffer packen – wie einst Beresowski und Chodorkowski – oder würde unter passendem Vorwand in Gefängnissen verschwinden.

Mini-„Neurussland“ am Tropf Moskaus

Ein reiner Rumpf-Donbass – egal ob als „de facto-Regime“ oder vereint mit Russland – bestehend nur aus dem Donbass von Donezk bis Lugansk – würde hingegen auf längere Zeit am Tropf Russlands hängen und hätte mit schweren Problemen zu kämpfen. Mit einer defensiven Haltung der offenen Separatisten ist deshalb auch bei einer Stabilisierung ihrer örtlichen Macht nicht zu rechnen. Der Schlüssel für ihren dauerhaften Erfolg liegt in Städten wie Odessa oder Charkow. Nicht  bedenken sie dabei, dass sie in diesen Städten große Bevölkerungsteile gegen sich haben würden, was wohl ebenfalls nicht zu Stabilität eines „Neurussland“ beitragen würde. Insbesondere wegen des streng russisch-nationalen Kurses der Separatistenführung. Hier hätte die ukrainische Minderheit eines solchen Staates ebenso die „Unterdrückungskarte“ gezogen, wie die russische Minderheit des Ostens unter dem Euromaidan-Regime. Und es ist im Falle einer solchen Konstellation nicht mit Stillschweigen zu rechnen.

Wie man die Situation also momentan auch dreht und wendet – eine echte Lösung ist kaum in Sicht. Außer vielleicht der viel beschworenen Föderalisierung – aber wer soll die durchsetzen? Denn genau sie wird als einzige Idee sowohl von den Euromaidanern als auch von den Separatisten bekämpft. Und aus dem Mund von Europäischen Mahnern hat man dieses Wort schon lange nicht mehr gehört. Von dort gibt es in Richtung der fatal agierenden Euromaidaner außer freundlichem Händegeschüttel nur Schweigen.

Roland Bathon – russland.RU

 

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