Kiew bricht mit Minsk – Europäische Union weiterhin ratlosAußenminister Dmitri Kuleba

Kiew bricht mit Minsk – Europäische Union weiterhin ratlos

Kiew setzt alle Kontakte mit Minsk auf unbestimmte Zeit aus, verkündete der ukrainische Außenminister Dmitri Kuleba. Seinen Worten zufolge gibt es derzeit keine Kontakte zwischen den Präsidenten der Länder und sind in naher Zukunft nicht geplant. Das letzte Mal sprachen Wladimir Selenski und Alexander Lukaschenko vor den Wahlen in Belarus.

Nun ist alles eingefroren. Man verfolge die Entwicklung der Situation und werde die Kontakte zu Belarus nur dann erneuern, wenn sie „keine Reputations-, moralischen und ethischen Schaden für die Ukraine verursachen“, so Kuleba.

Der ukrainische Außenminister sehe aber keine Notwendigkeit, den Treffpunkt für Verhandlungen über den Donbass aus Minsk zu verlegen. „Jetzt kommt in diesem Prozess nur noch der Name aus Minsk vor, denn wegen der Pandemie werden alle Treffen online abgehalten. Daher geht niemand dorthin, es gibt keine physische Verbindung mit zu Minsk, es ist in dieser Hinsicht eher ein Symbol“, so Kuleba.

Vor einigen Tagen forderte der ukrainische Präsident Belarus zu Neuwahlen auf. Daraufhin erklärte das belarussische Außenministerium, dass Minsk in einer für das Land schwierigen Zeit keine „abgedroschenen“ Ratschläge aus der Ukraine brauche. Gestern lud der ukrainische Premierminister Denys Schmyhal die in ihrem Land verfolgten Belarussen per Telegram ein, in der Ukraine Schutz zu suchen.

Das Tischtuch zwischen den beiden Ex-Brüdern zu Sowjetzeiten ist zerrissen. Gleichzeitig wachsen die Bande zwischen Minsk und Moskau. Lukaschenko hat bereits mit Wladimir Putin vereinbart, in Russland eine „Reserve von Strafverfolgungsbeamten“ zusammen zu stellen, die in Belarus zum Einsatz kommen könnten. Am Donnerstag bestätigte der russische Präsident in seiner ersten persönlichen Stellungnahme zur Krise in Belarus, dass Moskau die belarussischen Behörden bei Bedarf militärisch unterstützen kann. In einem Interview mit dem Fernsehsender Russia-1 sagte der russische Präsident unverblümt: „Alexander Grigorjewitsch hat mich gebeten, eine bestimmte Reserve von Strafverfolgungsbeamten zu bilden und ich habe es getan. Wir waren uns aber auch einig, dass sie erst verwendet wird, wenn die Situation außer Kontrolle gerät.“

Dieser Schulterschluss wird Europa noch ratloser machen, denn die Frage nach dem richtigen Agieren des Westens auf den neuen Krisenherd Belarus gerät zum Ritt auf der Rasierklinge. Wenn die EU unbedacht handelt, droht ein ähnliches Fiasko wie in der Ukraine. Der Deutsche-Welle-Autor Bernd Riegert stellte jüngst nüchtern fest: „Die Opposition in Minsk schwenkt auf den Massendemos keine EU-Fahnen. Belarus ist ein prorussisches Land, auch ohne Präsident Lukaschenko.“

Der belarussische Politologe Artem Shraibman glaubt, dass die belarussischen Oppositionellen keine antirussischen Erklärungen abgeben werden. „Mit seiner Erklärung lehnt der Koordinierungsrat Lukaschenkos Versuche ab, ihn in eine antirussische und pro-westliche Nische zu drängen. Es ist ein Kampf, die Agenda zu kontrollieren. Lukaschenko will es extern machen, und die Opposition will es intern lassen“, sagte er der Zeitung Kommersant.

Nach einem Richtungswechsel hin zum Westen, zur EU oder gar zur NATO sieht es demnach nicht aus und EU-Diplomaten warnen seit Tagen davor, Russland irgendeinen Vorwand für die Behauptung zu liefern, die EU mische sich von außen ein. „Wir brauchen keine zweite Ukraine“, zitiert die Deutsche Welle einen EU-Diplomaten, der nicht genannt werden will.

Michael Seidel von der Schweriner Volkszeitung mahnte in einem Essay „Warum der Westen sich engagieren und zugleich zurückhalten sollte“ zur Entwicklung in Belarus, „bei aller berechtigten und pflichtgemäßen Empörung über brutale Polizeigewalt und willkürliche Verhaftungen – Gründlichkeit und Besonnenheit sollte jetzt vor Schnelligkeit und Aktionismus gehen. Regimewechsel von außen zu erzwingen, ist eine schlechte Tradition der westlichen Welt. Zu oft war das Ergebnis nur ein anderes, kein besseres Regime. Demokratie nach einem bestimmten Vorbild exportieren zu wollen, scheitert schon daran, dass es darüber innerhalb der EU inzwischen höchst verschiedene Auffassungen gibt – von den transatlantischen Verwerfungen ganz zu schweigen.“ Dass Westeuropa und Russland seit 2014 über einen Konflikt in unmittelbarer Nachbarschaft – in der Ukraine – ausgerechnet in der weißrussischen Hauptstadt Minsk verhandeln, wirkt auf Seidel wie ein Treppenwitz.

[hrsg/russland.NEWS]

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