„Keine Illusionen mehr“ – Michael Thumann über das russisch-amerikanische Verhältnis Michael Thumann

„Keine Illusionen mehr“ – Michael Thumann über das russisch-amerikanische Verhältnis 

Michael Thumann ist außenpolitischer Korrespondent der Wochenzeitung Die Zeit. russland.NEWS sprach mit ihm darüber, was sich mit der neuen Administration in Washington in den Beziehungen zwischen Russland und den USA ändern wird.

Herr Thumann, ich stelle Ihnen am Anfang eine ziemlich ungewöhnliche Frage: Warum reden wir eigentlich schon wieder über die russisch-amerikanischen Beziehungen? Warum sind sie für die Welt wichtig?

Sie sind nicht mehr so wichtig wie früher, aber es sind bedeutende zwischenstaatliche Beziehungen. Man darf nicht vergessen: Diese beiden Länder haben die größten Nukleararsenale. Und dadurch sind wir natürlich alle betroffen.

Meine zweite Frage ist dann gar nicht originell: Was können wir vom neuen amerikanischen Präsidenten in Bezug auf Russland erwarten?

Diesmal wird es keinen „Reset“ geben. Das ist deshalb so interessant, weil fast jeder amerikanische Präsident seit Clinton, oder sogar seit Bush Senior, so anfing. Alle verkündeten, jetzt kommen bessere Zeiten mit Russland. Ob Obama oder Trump, es kam immer zu einer Desillusionierung. Und jetzt gibt es keine Illusion. Insofern ist es vielleicht sogar ein Vorteil – ein illusionsfreier Beginn ohne jegliche positiven Erwartungen. Ich habe allerdings die Befürchtung, dass die Innenpolitik, die sowohl in Russland als auch in den USA sehr wichtig geworden ist, diesen Pragmatismus sehr stören kann.

Biden war als Senator bereits im Jahre 1973 in Moskau. Er kennt also Russland gut?

Biden kennt Russland und Biden kennt viele Länder gut. Er ist ein Präsident, zum ersten Mal nach Bush Senior 1989, der mit einer professionellen außenpolitischen Ausbildung ins Amt kommt. Alle anderen waren Novizen, die sich einlernen mussten. Biden ist ein politischer Profi mit dem Vorteil, dass er sich auskennt und mit dem Nachteil, dass er schon einige Vorurteile mit sich bringt.

Voriges Jahr hat er Putin bei einer Rede als Diktator betitelt. In seiner ersten außenpolitischen Grundsatzrede am 4. Februar sagte er: „Die Tage des Rückzugs der USA angesichts der aggressiven Handlungen Russlands, sind vorbei. Wir werden nicht zögern, den Preis, den Russland zahlt, zu erhöhen.“

Ich glaube, diese Rede muss man mehr als eine ganz klare Markierung seiner Gegenposition zu Trump als eine Äußerung gegen Russland selbst verstehen. Er hat damit sozusagen direkt Trump angesprochen, der aus seiner Sicht amerikanische Nationalinteressen verraten hat. Aber wissen Sie, die Dummheit und Ignoranz, die in der Trumps Administration herrschte und zur Destruktion internationaler Beziehungen und fast aller Abrüstungsverträge führte – diese Art ist nicht mehr da, was ich nur gutheißen kann. Wissen schadet nicht.

Zumindest hat die neue US-Regierung die Verlängerung des New-Start-Abkommens schon besiegelt, Russlands Präsident Wladimir Putin hat den New Start-Vertrag auch unterschrieben. War diese Einigung nicht ein Riesenerfolg?

Hier kann man schön den Unterschied zur Trump-Administration sehen. Trumps Unterhändler Marshall Billingslea hatte tatsächlich einen Raum, in dem er mit dem russischen Unterhändler Sergej Rjabkow verhandeln wollte, mit chinesischen Fahnen ausgeschmückt, weil er China reinbringen wollte. Jeder, der etwas von der Materie versteht, wird sagen, dieser Vertrag muss erstmal verlängert werden, ohne neue Akteure. Das haben sie im Trumps Kabinett nicht verstanden. Die Biden-Regierung hat sofort begriffen, dass man keine neuen Bedingungen stellen kann und dass Russland dieses Abkommen nicht mehr braucht als Amerika, wie Trump behauptete. Das weiß Biden, deswegen wurde der Vertrag sofort verlängert.

Kommen wir zu Nord Stream 2, zu diesem Zankapfel zwischen USA, Russland und Deutschland.

Ich glaube, dass Nord Stream 2 durch amerikanische Sanktionen tatsächlich sehr gefährdet ist. In der neuen Administration gibt es Menschen, die zu einem Kompromiss bereit wären. Indem zum Beispiel eine Art Abschaltmechanismus eingeführt wird. Ich habe da allerdings meine Zweifel, ob das rechtlich gesehen möglich ist. Wichtig dabei ist, dass man Deutschland entgegenkommen will. Großes Problem sind jedoch der Kongress und insbesondere der Senat. Denn diese Sanktionsgesetze kommen aus dem Kongress. Ich habe mit mehreren amerikanischen Politikern gesprochen, die sagen: Wir haben diese Gesetze doch nicht dafür gemacht, damit sich die Administration in Washington mit Deutschen und Russen einigt und die Pipeline am Ende doch steht. Die Frage ist, ob es der neuen amerikanischen Regierung gelingt, sich mit den Abgeordneten zu einigen. Und sie werden nicht nur mit Republikanern, sondern mit ihrer eigenen Partei zu tun haben, denn das Gesetzpaket wurde von beiden Parteien getragen.

Ganz davon abgesehen, dass extraterritoriale Sanktionen generell ein Unding sind.

Genau. Hier könnten Russland und die EU zusammenarbeiten. Denn die Amerikaner nutzen bei diesen Sanktionen die Stärke des Dollars und ihres Bankensystems. In Europa hat man inzwischen einen Mechanismus dagegen entwickelt (allerdings steckt er noch in den Kinderschuhen), der heißt Instex. Das ist eine Art Bank und Tauschbörse, die unabhängig vom Dollar sein soll und die Geschäfte abwickeln kann, die sonst durch die USA mit Sanktionen verhindert werden. Russland und die EU sollten sich heute schon überlegen, was man macht, wenn wieder in Amerika eine Administration an die Macht kommt, die mit extraterritorialen Sanktionen aktive Politik macht. Bei Joe Biden ist noch nicht klar, ob er dieses Instrument so nutzen will wie Trump.

[Daria Boll-Palievskaya/russland.NEWS]

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