Interview mit Ex-Botschafter Grinin: „Deutsche und Russen sind sich sehr nahe“Grinin, Wladimir

Interview mit Ex-Botschafter Grinin: „Deutsche und Russen sind sich sehr nahe“

Vor wenigen Tagen erschien Ihr Buch „Russlands Botschafter Wladimir M. Grinin – Meine Jahre in Berlin“ in Deutsch. Seit Ihrer Rückkehr aus Berlin sind gerade einmal etwas über zwei Jahre vergangen. Warum haben Sie sich entschlossen, nach dieser relativ kurzen Zeit die Erinnerungen an Ihre Tätigkeit, vor allem als Boschafter der Russischen Föderation in Deutschland, aufzuschreiben?

Es sind nicht in erster Linie Erinnerungen an meine Tätigkeit in Deutschland, wo ich insgesamt 20 Jahre gearbeitet habe. Auf deren Beschreibungen komme ich vielleicht in einiger Zeit zurück. Der eigentliche Inhalt meines aktuellen Buches sind meine tiefen Gefühle und Empfindungen zum besonderen Charakter der russisch-deutschen Beziehungen, die ich zum Ende meines Aufenthalts in Deutschland im Jahr 2017 aufgeschrieben habe, als sie noch frisch waren. Um diese Eindrücke jenen verständlich, zumindest spürbar zu machen, nahe zu bringen, die aus verschiedenen Gründen wenig von den Besonderheiten im deutsch -russischen Verhältnis davon wissen oder sie anders bewerten. Aber ich denke, der Blick in diese jüngere Vergangenheit ist sehr wichtig für unsere gemeinsame Zukunft. Deshalb habe ich meine Gedanken gleich nach der Rückkehr nach Russland schnell in die Form eines Buches gebracht.

Ihr Buch erreicht die Leser im 75. Jahr nach dem Sieg über den Hitlerfaschismus und die Beendigung des 2. Weltkrieges. Wie steht es, nach Ihrer Erfahrung, in Deutschland um die Aufarbeitung der Vergangenheit.

Ich habe mich in meinem Buch recht ausführlich mit der Auseinandersetzung der Deutschen mit diesem Kapitel ihrer Vergangenheit befasst, deshalb hier nur einige Anmerkungen dazu. Als ich 1973 zum ersten Mal nach Deutschland kam, als Mitarbeiter der Botschaft der UdSSR in Bonn, der damaligen Hauptstadt der BRD, kam, war es nicht nur die damalige politische Führungsriege mit Willy Brandt und Walter Scheel, die mich positiv beeindruckte. Viele andere Politiker, Vertreter aller Gesellschaftsschichten sowie einfache Bürger zeigten eine insgesamt positive Einstellung beim Umgang mit uns Russen. Ich erinnere mich, dass einige in Gesprächen mit mir sogar Reue zeigten. Denn schließlich gab es damals immer noch viele, die am Krieg teilgenommen hatten. Was die Gegenwart betrifft, so stimmen wir Russen und Deutsche in unseren Ansichten über die Schrecken der Vergangenheit nahezu überein, wenn auch aus verschiedenen Blickwinkeln, was verständlich ist.

Während Ihrer Amtszeit haben Sie Höhen und Tiefen in den deutsch-russischen Beziehungen erlebt. Was ist aus Ihrer Sicht notwendig, um das Verhältnis zwischen unseren beiden Ländern nachhaltig zu verbessern?

Auf menschlicher Ebene sind unsere Ansichten und Gefühle nahe beieinander. In politischer Hinsicht müssen wir versuchen, mehr und tiefer über die aktuellen Entwicklungen nachzudenken und geeignete Schlussfolgerungen zu ziehen.

Ich meine, dass hierbei das Eintauchen in die Geschichte viel helfen wird. Immerhin bestehen die deutsch-russischen Beziehungen seit mehr als tausend Jahren. Und obwohl sie viele Höhen und Tiefen durchlebt haben, gibt es nach wie vor viele Menschen, die in dem jeweils anderen Land eine Heimat gefunden haben. So leben inzwischen über eine Million ethnischer Russen in Deutschland.

Um auf die politische Situation zurückzukommen, ist es wichtig festzustellen und anzuerkennen, dass gerade sie der entscheidende Faktor für die internationale Entwicklung ist. Daher ist es sinnvoll, die gegenwärtigen Veränderungen in der politischen Struktur der Welt genauer zu betrachten und daraus relevante Schlussfolgerungen zu ziehen. Wie geht es zum Beispiel weiter mit der EU nach dem Austritt Großbritanniens? Oder welche Auswirkungen haben die Reibereien der USA mit China – bei denen die Verärgerung der Amerikaner, einen Konkurrenten in der Weltarena zu bekommen, deutlich sichtbar wird. Vielleicht ist es für Deutschland wie Frankreich in dieser Situation sinnvoll, die Gespräche und Kontakte mit Russland zu intensivieren, um die aktuellen Probleme zu lösen? Denken wir gemeinsam über die Umgestaltung der Beziehungen im eurasischen Raum nach!

Als höchster diplomatischer Vertreter der Russischen Föderation in Deutschland haben Sie, wie Sie schreiben, im Rahmen ihrer Möglichkeiten die deutsch-russischen Kontakte in vielen gesellschaftlichen Bereichen, vor allem der Kultur, gefördert. Welche Bedeutung messen Sie der der so genannten „Volksdiplomatie bei der Annäherung der Bevölkerung unserer beiden Länder bei?

Ich bin sehr froh, dass es bestimmte Bereiche gibt, in denen Russen und Deutsche daran interessiert sind, gemeinsam zu handeln und auf einander zuzugehen. Neben den unzähligen kulturellen Kontakten, die in meinem Buch eine große Rolle spielen, sind dies vor allem die Bereiche Wirtschaft, Medizin und Gesundheitswesen, wissenschaftliche und technische Zusammenarbeit. Dort wird das Bestreben nach einem fruchtbaren Miteinander sichtbar und die Annäherung zwischen unseren Völkern nimmt konkrete Formen an. Gerade dies gibt uns die Möglichkeit, nicht nur selbst aufeinander zuzugehen, sondern auch beruhigend und in gewissem Maße anregend auf unsere Nachbarn und Partner einzuwirken. Nur das kann uns vor katastrophalen Entscheidungen bewahren.

Was bleibt Ihnen von Deutschland am meisten in Erinnerung?

Ich möchte es so zusammenfassen: Wir, Russen und Deutsche, stehen einander sehr nahe. Im Vergleich mit anderen vielleicht sogar auf einer höheren Ebene. Diese Erkenntnis hat sich während meiner Tätigkeit in Deutschland bei den vielen Begegnungen mit ganz unterschiedlichen Menschen in diesem Land weiter gefestigt. Deshalb ist meine Überzeugung – wir, Russen und Deutsche, wir gehören zusammen.

(Das Gespräch führte Hartmut Hübner/russland.NEWS)

COMMENTS