Dietmar Bartsch in Wolgograd: Interview mit Fraktionsvorsitzendem der Partei DIE LINKE

Herr Bartsch, war Ihre Teilnahme am Forum ‚Dialog an der Wolga‘ Ihr erster Besuch in Wolgograd?

Ja. Aber ich hatte immer eine enge Bindung an die damalige Sowjetunion, habe in Moskau meine Aspirantur gemacht und dort 1990 meine Dissertation verteidigt. Dann gab es eine sehr lange Pause von 25 Jahren, doch nun habe ich mir, aus vielen Gründen, vorgenommen, mich wieder intensiver mit Russland und den Entwicklungen hier zu befassen.

Ich nehme an dem Forum teil, auch um ein Gefühl zu bekommen, wie sich die zur Debatte stehenden Fragen aus russischer Sicht, aber aus der Sicht anderer Teilnehmer darstellen. Weil Wolgograd auf historischem Boden steht, habe ich die Chance ergriffen, die mir die Phase relativer Ruhe nach der Bundestagswahl bot, hierher zu kommen. Ich hatte nicht erwartet, dass auf dem Forum sehr konkrete Schritte vereinbart werden, sondern wollte die Atmosphäre bei den Diskussionen und in der Stadt aufnehmen.

Wie haben Sie diese Verbindung von Forum und Stadt empfunden?

Man wird sehr demütig, wenn man vom Oberbürgermeister Wolgograds an die historischen Stätten der Schlacht, vor allem auf den Mamajew-Hügel, geführt wird, wo viele der Hunderttausenden, die während der Kämpfe ihr Leben verloren, ihre letzte Ruhestätte haben. Die Toten dieser als Wende im zweiten Weltkrieges bezeichneten Schlacht – Russen, Deutsche, Rumänen, Ungarn und andere – müssen uns und das spürt man auf diesem Blut getränkten Boden deutlich, eine ständige Mahnung sein, Derartiges nie wieder zuzulassen. Unsere Aufgabe ist es, diese Erkenntnis aus der Geschichte auch an die kommenden Generationen weiterzugeben. In diesem Sinne beeinflusste die Aura der Stadt die Diskussionen auf dem Forum.

Welche waren für Sie die wichtigsten Themen der Veranstaltung?

Für mich war vor allem interessant, wie in diesen Zeiten politischer Funkstille unterhalb der Regierungsebene die Verbindungen aufrechterhalten und auch ausgebaut werden. Ich habe gehört, mit welchen Schwierigkeiten jene, die sich für den Austausch einsetzen, sowohl in Deutschland als auch in Russland zu kämpfen haben. Hier sehe ich die Aufgabe für uns Politiker, dass wir denen, die sich hier engagieren, nicht noch Steine in den Weg legen.

Es war für mich die wichtigste Erkenntnis, dass es unterhalb der großen Politik so viele lebendige Verbindungen zwischen den Menschen unserer Länder gibt, ob in Kultur, Lehre und Wissenschaft oder auch im Sport. Ich bewundere alle, die ihre Kraft dafür einsetzen, dass das Eis in den zwischenstaatlichen Beziehungen nicht noch dicker wird. Dies alles sind Mosaiksteinchen, um auf den langen Weg zur Normalität zu kommen. Die Positionen zu den politischen Streitfragen, wie Krim oder Donbass, sind klar, aber es hilft uns nicht weiter, diese zu wiederholen. Ich habe große Sorge, dass der heranwachsenden Generation das Bild eines kriegslüsternen Russlands vermittelt wird, was in keiner Weise der Realität entspricht, wie man sie hier erlebt.

Welche Rolle könnte Deutschland spielen, um wieder normale Beziehungen zu Russland herzustellen? 

Deutschland nimmt eine Schlüsselstellung ein. Schon Bismarck, der nun wirklich kein Linker war, erkannte, dass sich friedliche und wirtschaftlich fruchtbare Beziehungen zwischen Deutschland und Russland vorteilhaft auf ganz Europa auswirken. Wenn wir uns von den Sanktionen verabschieden, folgen uns die anderen europäischen Länder. Portugal, Spanien u.a. haben ihre Unzufriedenheit mit der aktuellen Situation bekundet.

Ich finde es beachtlich, dass Europa den neuen US-amerikanischen Sanktionen nicht gefolgt ist, auch wenn das vor allem wirtschaftliche Gründe hat.

Auf dem Forum war zu erleben, dass die Standpunkte von Mitgliedern der SPD und der Linkspartei sehr gleich waren. Könnte das Thema Russland zu einer Brücke in der gemeinsamen Oppositionsarbeit werden?

Wir hatten bereits in der vergangenen Legislaturperiode die Situation, dass im Verhältnis zu Russland die Positionen von SPD-Mitgliedern, auch in Regierungsverantwortung, und der Linkspartei einander am nächsten waren. Das war bei den Grünen und bei der Union anders. Ich denke zwar, man sollte Russland nicht als Brücke in der Opposition nutzen, aber es wäre gut, wenn wir in dieser Frage gemeinsam etwas auf den Weg bringen würden. Noch besser wäre es natürlich, wir könnten das in Regierungsverantwortung tun, aber diese Möglichkeit gibt es – zumindest auf Bundesebene – voraussichtlich für die nächsten vier Jahre nicht. Wie sich die neue Bundesregierung, wenn sie denn zustande kommt, auf dem Feld der deutsch-russischen Beziehungen positioniert, bleibt abzuwarten. Aber eine gewisse Skepsis ist wohl angebracht.

Das Interview führte Hartmut Hübner von russland.NEWS

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