Inszenierte Debatte über Rückkehr der Todesstrafe in Russland?Foto: russland.NEWS

Inszenierte Debatte über Rückkehr der Todesstrafe in Russland?

In einer Umfrage über die Details der Abschaffung der Leibeigenschaft in Russland vor 160 Jahren wollte das staatsnahe Meinungsforschungsinstitut WZIOM unter anderem wissen, was die Russen ihrem Präsidenten vorschlagen würden, wenn sie dessen Berater wären. Meistgenannt waren die Renten-, Steuer- und Verfassungsreform. Fünf Themenkomplexe erhielten mit zwei Prozent kaum Zustimmung, darunter die Abschaffung des Moratoriums für die Todesstrafe. Dieses Detail der Umfrage schaffte es jedoch in die Schlagzeilen der russischen Presse, nachdem Ria Nowosti titelte: „WZIOM: Russen wollen die Todesstrafe zurück und Steuern senken“.

Fontanka aus St. Petersburg schrieb über die Tatsache, dass jeder fünfzigste Russe zur Praxis staatlicher Tötungen zurückkehren will: „Gleichzeitig stand die Idee, die Todesstrafe zurückzugeben, an erster Stelle in der Rangliste der Gesetze, die man als Putins Berater im modernen Russland empfehlen würden.“ Eine tschetschenische Zeitung schlussfolgerte gar in einer Überschrift eines diesbezüglichen Artikels: „Die Todesstrafe wird von 69 Prozent der Russen als zulässig angesehen“.

In Wirklichkeit ging es in der Umfrage von WZIOM über ein historisches Datum. Im März 1861 unterzeichnete Zar Alexander II. das Manifest zur Abschaffung der Leibeigenschaft. Die Meinungsforscher wollten herausfinden, ob sich russische Bürger an dieses Datum erinnern. Ob die Abschaffung der Leibeigenschaft in ihrem historischen Gedächtnis erhalten geblieben ist.

Es stellte sich heraus, dass dreißig Prozent wissen, dass Alexander II. die Leibeigenschaft abgeschafft hat. Von den Befragten mit höherer Bildung wissen 42 Prozent davon. An das genaue Datum erinnern sich 47 Prozent der Befragten. Gleichzeitig hält die große Mehrheit der Russen die historische Entscheidung zur Abschaffung der Leibeigenschaft im Jahr 1861 für richtig (92 Prozent). Positive Auswirkungen der Abschaffung der Leibeigenschaft wurden von 82 Prozent der Befragten festgestellt, 88 Prozent derjenigen mit höherer Bildung. Dieses Ereignis hatte laut fünf Prozent der Befragten keinen Einfluss auf die Entwicklung des Landes, sechs Prozent sehen darin sogar einen negativen Einfluss. Dank der Abschaffung der Leibeigenschaft hat sich das Leben der Bauern zum Besseren verändert – dieser Meinung sind 73 Prozent der Russen, häufiger die Dorfbewohner (78 Prozent). Das Leben der Bauern hat sich in der Wahrnehmung von dreizehn Prozent der Russen nicht verändert, und acht Prozent stellen seine Verschlechterung fest.

Nach diesem historischen Exkurs stellten die Soziologen die Frage: „Welche Gesetze würden Sie jetzt aufheben, wenn Sie Berater des Präsidenten würden?“ In erster Linie würde man dem Präsidenten raten, die Rentenreform rückgängig zu machen und das Renteneintrittsalter zurückzusetzen (vierzehn Prozent). Sechs Prozent sprachen sich dafür aus, die Steuern zu senken und das Steuersystem selbst zu verändern.

Nur zwei Prozent der Befragten sprachen sich für die Abschaffung des Moratoriums der Todesstrafe aus. Es sei daran erinnert, dass die Todesstrafe in Russland nicht wirklich abgeschafft wurde. Seit 1997 gibt es jedoch ein Moratorium dafür, was bedeutet, dass die Todesstrafe nicht verhängt oder vollstreckt werden darf. 1996 wurde Russland nur unter der Bedingung der Abschaffung der Todesstrafe in den Europarat eingeladen.

Die zwei anderen großen russischen Nachrichtenagenturen Tass und Interfax würdigten die Ergebnisse der Umfrage mit Schweigen. Ria Nowosti ließ gestern der ursprünglichen Meldung drei Kommentare folgen. Cui bono?

[hrsg/russland.NEWS]

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