Informationsoperation „Schmutzige Bombe“

Informationsoperation „Schmutzige Bombe“

Das russische Militär setzt seine Kampagne über eine ukrainische „schmutzige Bombe“ fort. Gestern war Generalstabschef Waleri Gerassimow an der Reihe, seinen US-amerikanischen Amtskollegen Mark Milley und den Briten Anthony Redakin anzurufen und vor einer „schmutzigen Bombe“ zu warnen. Zuvor hatte Verteidigungsminister Sergei Schoigu mit den Verteidigungsministern beider Länder über dieselbe Sache gesprochen.

Besorgt über die angebliche Bombe äußerte sich am Montag Dmitri Peskow. „Die Bedrohung ist da, es liegt an ihnen [dem Westen], ob sie es glauben oder nicht“, so Putins Sprecher. Einen Tag später Peskow reagierte auf die ablehnende Haltung des Westens. Die Pläne zur Schaffung einer „schmutzigen Bombe“ in der Ukraine zu ignorieren, sei „inakzeptabel“. Das russische  Außenministerium fordert, „dass Kiew und die westlichen Sponsoren, die es kontrollieren, die Handlungen einstellen, die die Welt in eine nukleare Katastrophe führen“, und die Ständige Vertretung Russlands bei den Vereinten Nationen will „den Einsatz einer ’schmutzigen Bombe‘ durch Kiew als einen Akt des Nuklearterrorismus betrachten“.

Die westlichen Länder reagierten umgehend. Das US-amerikanische, das britische und das französische Außenministerium gaben eine gemeinsame Erklärung ab, in der sie „die offensichtlich falschen Behauptungen Russlands zurückweisen, dass die Ukraine eine ’schmutzige Bombe‘ auf ihrem eigenen Territorium einsetzen werde“. „Natürlich sind wir besorgt über die Anschuldigungen, die Russland vorbringt. Wir weisen diese Behauptungen zurück, sie sind einfach nicht wahr“, wiederholte der Sprecher des Weißen Hauses, John Kirby. „Die USA nehmen Berichte über die mögliche Vorbereitung einer ’schmutzigen Bombe‘ ernst“, zitierten ihn russische Staatsmedien.

Anonym behauptet das US-Militär, dass Schoigu und Gerassimow in Telefongesprächen eine „ukrainische ’schmutzige Bombe'“ als Vorwand für eine Eskalation des Konflikts anführen – „möglicherweise um nukleare, chemische oder biologische Waffen einzusetzen“. Gleichzeitig gibt es keine direkten Hinweise darauf, dass Russland beschlossen hat, in der Ukraine Massenvernichtungswaffen einzusetzen, wie US-Militärquellen gestern mehrfach wiederholten.

Die Internationale Atomenergie-Organisation ist eine autonome wissenschaftlich-technische Organisation, die innerhalb des Systems der Vereinten Nationen einen besonderen Status innehat. Die IAEO ist keine Sonderorganisation der Vereinten Nationen, sondern mit diesen vielmehr durch ein separates Abkommen verbunden.
Russland ist im 35 köpfigen Vorstand vertreten und stellt einen der fünf stellvertretenden Generaldirektoren

Gegenüber Bloomberg erklärten westliche Militärs, dass sie die russischen Drohungen für einen Versuch halten, die westlichen Verbündeten der Ukraine einzuschüchtern und sie davon zu überzeugen, die Waffenlieferungen an das Land einzustellen. Sie werden nicht aufhören, die Ukraine zu unterstützen, aber sie diskutieren privat über eine mögliche Reaktion auf eine russische Eskalation – sei es in Form des Einsatzes von Massenvernichtungswaffen oder der Sprengung des Staudamms des Wasserkraftwerks Kachowskaja.

Die Detonation einer ‚schmutzigen Bombe‘ selbst ist zwar ein ernsthafter Schritt in der Eskalation, wird aber wahrscheinlich keine großflächige radioaktive Verseuchung wie in Tschernobyl verursachen, versichern westliche Experten. „Eine ’schmutzige Bombe‘ könnte wahrscheinlich einen Raum mit einem Durchmesser von nur wenigen hundert Metern verseuchen“, schrieb der UN-Experte Pavel Podvig und meinte, dass ihr Einsatz weder militärisch noch politisch noch in anderer Hinsicht etwas ändern würde“.

Die russische Atomaufsichtsbehörde Rosenergoatom hat die möglichen Folgen der Detonation einer „schmutzigen Bombe“ so beschrieben – „mindestens zehntausende Menschen“ auf „mehreren tausend Quadratmetern“⁠ werden betroffen sein, die kontaminierten Gebiete „für 30 bis 50 Jahre nicht nutzbar“.

In der Tageszusammenfassung des amerikanischen ⁠Institute for the Study of War (ISW) heißt es, Moskaus Munitions- und Waffenarsenale, besonders Bestände an hochpräzisen Raketen und Drohnen, „seien erschöpft“, weswegen das russische Verteidigungsministerium jetzt die „schmutzige ⁠Bombe“ als Karte der „nuklearen Provokation“ ausspiele.

ISW-Experten sprechen von einer intensivierten „Informationsoperation“, glauben aber nach wie vor, dass es keine Provokation mit einer „schmutzigen Bombe“ geben werde. Militäranalysten erinnern daran, dass dies nicht das erste Mal ist, dass Russland solche Anschuldigungen erhebt, die durch keinerlei Beweise gestützt werden.

Die ukrainischen Behörden nannten die Berichte über eine „schmutzige Bombe“ eine Lüge –im Gegenteil, ihrer Meinung nach könnte Russland eine solche Bombe verwenden, um den Konflikt zu eskalieren. Das russische Verteidigungsministerium geht davon aus, dass die ukrainische Seite Moskau des Einsatzes der Bombe beschuldigen will.Russlands Narrativ von einer „schmutzigen Bombe“ der Ukraine sei nicht neu. Schon im Februar hatte Putin von solchen Plänen gesprochen, ohne je einen Beleg dafür zu liefern.

Die Internationale Atomenergiebehörde IAEO teilte am 24. Oktober mit, dass sie die Entsendung von Inspektoren zu zwei ukrainischen Standorten vorbereite. IAEO-Chef Rafael Grossi bestätigte in einer Erklärung, dass beide Standorte, die von russischer Seite genannt werden, unter Beobachtung stehen und regelmäßig von den Inspektoren der Agentur besucht wurden. Zum Ergebnis der letzten Inspektion meinte Grossi: „Die IAEO hat vor einem Monat einen dieser Standorte inspiziert und all unsere Ergebnisse stimmten mit den Sicherheitserklärungen der Ukraine überein. Dort wurde keine nicht deklarierten nuklearen Aktivitäten oder Materialien gefunden.“

Bisher wurde weltweit keine „schmutzige Bombe“ eingesetzt und es wurde auch bisher keine solche gefunden. Das Konzept der schmutzigen Bombe wird somit nur spekulativ von Sicherheitskräften und von den Medien diskutiert. Sie ist also eine spekulative Waffe, in der Sprengstoffe ohne nukleare Detonation radioaktives Material verdampfen, zerstäuben und in die Luft schleudern können sollen.

[hrsg/russland.NEWS]

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