War man bisher gewöhnt, dass im Gegensatz zu besonneneren Tönen aus der Wirtschaft die deutschen Medien unisono sich an Scharfmacherei gegen Russland überboten und durch sehr viele „kluge Spezialisten“ (selbstverständlich gegen gutes Salär) sich ihre Meinung untermauern ließen und damit gezielt die sogenannte öffentliche Meinung und die in höheren Sphären schwebende Regierung in die gewollte Richtung dirigierten, so vernimmt man jetzt doch endlich Dissonanzen.
Zwischen der zum russophoben Urgestein gehörenden FAZ und dem schon immer etwas moderateren Handelsblatt sind jetzt heftige und öffentliche Streitigkeiten über die Russlandpolitik ausgebrochen. Und da die erzkonservative Front – der Bundeskanzlerin immer den Rücken stärkend (oder vielleicht sie dirigierend?) – aufgrund der langsam jedem Normalbürger auffallenden Ungereimtheiten der USA/EU/NATO-Politik gegenüber Ukraine und Russland langsam ihre Felle davon schwimmen sieht, wird sie immer aggressiver und ersetzt Argumente durch emotionale Angriffe.
Am Montag griff Handelsblatt-Herausgeber Gabor Steingart die FAZ in seinem täglichen Morning Briefing, das als E-Mail an die Abonnenten des Handelsblatts geht, massiv an. Die FAZ fordere „unverhohlen zum Losschlagen gegen Russland auf“. Vorausgegangen war der Leitartikel der FAZ „Stärke zeigen“, der am selben Tag auf der Titelseite der FAZ erschien und in dem verlangt wurde, der Westen müsse „seine militärische Abwehrbereitschaft stärken und auch demonstrieren“. Diese Sätze läsen sich „wie geistige Einberufungsbescheide“, kritisierte Steingart. Die FAZ argumentierte nicht lange (s.o.), sondern warf Steingart Abhängigkeit von der Wirtschaftslobby und damit indirekt unmoralisches Verhalten vor.
Steingart reagierte mit dem langen Essay „Der Irrweg des Westens“, das in deutscher, russischer und englischer Sprache erschien. Er warnt eindringlich vor einem Krieg mit Russland. Er vergleicht die Kriegspropaganda der Medien mit der Situation vor dem Ersten Weltkrieg. Im US-Kongress werde über die Bewaffnung der Ukraine diskutiert, Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski empfehle, die dortigen Bürger für den Häuser- und Straßenkampf auszurüsten, und die deutsche Kanzlerin erkläre sich bereit, „tiefgreifende Maßnahmen zu ergreifen“.
Gezielt greift er das Unisono der größten Tageszeitungen Tagesspiegel, FAZ, Süddeutsche Zeitung und Spiegel an. „Blätter, von denen wir eben noch dachten, sie befänden sich im Wettbewerb der Gedanken und Ideen, gehen im Gleichschritt mit den Sanktionspolitikern auf Russlands Präsidenten Putin los.“
Aber, lesen Sie selbst die drei Teile dieses hervorragenden Artikels.
In diesem Zusammenhang sei auf einen weiteren lesenswerten Artikel in der Zeit hingewiesen: Theo Sommer, Die Wirtschaftssanktionen sind überzogen.
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