[Von Anastasia Byrka] Das russische Bildungsministerium veröffentlichte Ende Januar eine Überarbeitung der „Ordnung von Bildungsarbeitsorganisation“ für die wichtigsten allgemeinbildenden Programme. Die wichtigsten Neuerungen betreffen Privatunterricht bzw. Hausunterricht sowie vernetzte Schulformen, bei welchen verschiedenste Lehreinrichtungen (z. B. aus den Bereichen Sport, Kultur oder Wissenschaft miteinbezogen werden.
Nach Angaben des Ministeriums für Bildung und Wissenschaft der Russischen Föderation, betrug die Gesamtzahl der schulpflichtigen Kinder in den Schuljahren 2016-2017 etwa 14,5 Millionen, fast 8,5 Tausend von ihnen wurden zu Hause unterrichtet, also etwa 0,06 Prozent. In diesem Schuljahr gibt es laut der russischen Rechnungskammer etwa 16 Millionen SchülerInnen. Experten erfassen bei ihnen eine steigende Nachfrage nach alternativen Lernformaten und schätzen die Zahl der privat unterrichteten SchülerInnen auf 100 Tausend.
Was ist die Ursache für diese Entwicklung?
Etwa eine steigende Unzufriedenheit mit dem Schulsystem? Wir sprachen mit Anastasia Sedych, die mit ihrer Familie aus Sankt Petersburg nach Woronesch gezogen ist und uns ihre Geschichte erzählte. Sie hat drei Kinder, zwei von ihnen werden zu Hause unterrichtet.
„Unsere Kinder lernen von der ersten Klasse an zu Hause. Der Grund für diese Entscheidung ist ihre ausgeprägte Leidenschaft für Musik und Sport, die nur schwer mit dem Alltag in allgemeinbildenden Schulen kombinierbar ist. Wir haben es geschafft, zu Hause ein Umfeld aufzubauen, in dem das Lernen nicht immer am Schreibtisch stattfindet, sondern in Gesprächen, beim Spielen, bei Begegnungen mit interessanten Menschen oder auf Reisen,“ erklärt sie.
Jetzt sind Anastasias Jungs in der zweiten und fünften Klasse. Der Älteste, Jaroslaw, macht große Lernfortschritte im selbstständigen Lernen. Laut seiner Mutter kann er Informationen eigenständig analysieren und einander zuordnen, zum Beispiel hilft ihm das Lesen von Büchern gleichzeitig beim Lernen von Geschichte oder das Englischlernen mit Geografie. Anastasia und ihr Mann sind zufrieden, denn auf diese Weise gibt es neben dem Unterricht ausreichend Zeit für Musik und Sport, Ausflüge, Reisen und für Freunde.
„Die Jüngste, Ija, lernt tatsächlich jetzt schon mit, obwohl sie erst vier Jahre alt ist. Mit ihren älteren Brüdern Jaroslaw und Wsewolod schaut sie sich Lernfilme an und besucht Veranstaltungen zu verschiedenen Themen,” fügt die Mutter hinzu.
Sie erzählt jedoch auch, dass die erste Zeit des Hausunterrichts die Eltern viel Kraft gekostet hatte:
„Kinder müssen lernen, ihre Zeit sinnvoll zu planen, und zu erkennen, dass ihre Handlungen, ihr Engagement und ihre Arbeit zu Ergebnissen führt. Eltern müssen ihnen erklären und zeigen, dass es Fähigkeiten gibt, die man erlernen kann und diese dann aufeinander gebaut und weiterentwickelt werden können. Zum Beispiel werden Schreiben, Lesen und Kopfrechnen zu einem System zusammengefasst und dieses Wissen bereichert die Schüler, statt dass es ihnen einfach nur aufgezwungen wird. Dabei benötigt man unbedingt die Unterstützung des Vaters, ohne ihn wäre es sehr schwierig. Sie lesen und diskutieren viel zusammen. Er beantwortet den Kindern alle Fragen und diskutiert kulturelle und historische Aspekte mit ihnen. Natürlich muss man von zu Hause aus arbeiten, das ist eine Notwendigkeit. Dadurch, dass ich zu Hause arbeite, habe ich die Möglichkeit, meine Aufgaben flexibel zu planen und mit dem Lehren zu kombinieren.“
Die neue Verordnung
Was die erwähnte überarbeitete Verordnung betrifft, sind dort Vorgaben für Eltern festgelegt worden, die die schulische Ausbildung ihres Kindes auf Hausunterricht umstellen möchten.
Zum ersten Mal ist mit der Verordnung in einem Dokument klar festgelegt worden, wie genau ein Kind in eine private Bildungsform überführt werden kann, welche Dokumente hierfür benötigt werden und wo Erziehungsberechtigte diese vorzulegen haben.
Der Ablauf ist wie folgt: Zuerst informieren die Eltern die Behörde der lokalen Selbstverwaltung, dass ihr Kind in Zukunft zu Hause unterrichtet werden soll. Danach muss auf eine Bestätigung gewartet werden. Als nächsten Schritt wählt die Familie eine Schule aus, an der ihr Kind staatlich anerkannte Prüfungen absolvieren kann und bewerben sich um einen Platz. Anschließend erhalten die Eltern einen Zeitplan, wann die Zwischenprüfungen zu absolvieren sind, wonach sie schließlich ihr Kind von der alten Schule abmelden können.
Ebenso detailliert sind die Möglichkeiten der vernetzten Schulbildung festgelegt, die durch die voranschreitende Digitalisierung ermöglicht wird. Ganz genau wird hier beschrieben, auf welchem Weg Leistungen von SchülerInnen anerkannt werden können, die ohne Besuch einer allgemeinbildenden Schule erbracht werden.
Beim Thema Hausunterricht gibt es jedoch immer noch einige offene Fragen zu klären. So wird beispielsweise noch diskutiert, ob mehrere Zwischenzeugnisse oder nur eines im Jahr erstellt werden sollten. Weiterhin merkte die stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft der Staatsduma, Ljubow Duchanina, in der russischen Presse an, dass es beispielsweise noch nicht klar sei, wer und von welchem Geld die Lehrbücher zu kaufen habe – die Eltern oder die Schule? Das Gesetz spricht SchülerInnen zwar eigentlich kostenlose Lehrbücher zu, doch die Praxis zeigt, dass diese sie nicht immer auf Kosten des Staates erhalten. Angesichts der Tatsache, dass das Grundgesetz der Russischen Föderation eine kostenlose Schulbildung garantiert, sollten diese Kosten im Gesetz klar verankert werden.
[Anastasia Byrka/russland.NEWS]
Fotos: Volker06, CC 3.0 über Wikimedia Commons, https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.en, keine Änderungen
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